Nicht einmal Meinungsforscher können wissen, wie die Nationalratswahl wirklich ausgehen wird – aber die Parteien spekulieren längst darüber, wie es nach Erzielen ihres Wunschergebnisses weitergehen wird. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat die Parteilinie bekräftigt, dass sie die FPÖ als Partner ausschließt. Wie sie Kanzlerin werden will? Erst einmal eine relative Mehrheit erreichen, dann wird die Sozialdemokratie weitersehen. Dass das gelingt, mag nicht sehr wahrscheinlich erscheinen – aber der Plan von ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist ja nicht viel realistischer: Der hätte wohl am liebsten eine absolute Mehrheit – aber von der ist er auch nach den für die ÖVP günstigsten Hochrechnungen ein gutes Dutzend Prozentpunkte entfernt.
Es spekulieren Medien und Parteien
Also muss man spekulieren – ein Geschäft, das nicht nur die Medien, sondern auch die Parteistrategen betreiben. Da wird genauestens beobachtet, wer in den letzten Wochen mit wem gesprochen, verhandelt und mitgestimmt hat – politische Arbeit, die man natürlich je nach Standpunkt als "konstruktives Spiel der freien Kräfte" lobt oder als "Packelei" verunglimpft. Spannend wird es besonders, wenn die Freiheitlichen als Mehrheitsbringer dabei waren – denn die werden nicht nur von gestandenen Sozialdemokraten abgelehnt, sie genießen im schwarzen Kern der ÖVP ja auch keine besonderen Sympathien.
Ganz besonders gilt das für den blauen Klubchef Herbert Kickl: An seiner Person ist schließlich die letzte Koalitionsregierung zerbrochen. Sein Versuch, angebliche oder tatsächliche ÖVP-Netzwerke im Innenministerium aufzubrechen, hat ihn beim damaligen Koalitionspartner nicht beliebter gemacht.
Wirklich kein besserer Partner zu finden?
Sollte Sebastian Kurz nach der Wahl in die Verlegenheit geraten, eine Koalition zimmern zu dürfen, für die sich kein besserer Partner als die FPÖ findet, so wird er nicht um Kickl herumkommen. Aber dass er die Krot schluckt, Kickl wieder ins Innenministerium zu setzen, kann man eigentlich ausschließen. Dazu hat er sich schon zu sehr festgelegt.
In der Sache macht es also wenig Unterschied, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf vielfaches Nachfragen bei der Spekulation mitgemacht hat, ob er Kickl nochmals als Innenminister angeloben würde.
Nein, würde er nicht, versicherte das Staatsoberhaupt in der ZiB 2 – "für den unwahrscheinlichen Fall", dass ihm Kickl noch einmal als Innenminister vorgeschlagen würde.
Wahlkampfhilfe durch das Interview
Für die FPÖ und für Kickl selbst haben Van der Bellen und die ihn interviewende Journalistin damit unbeabsichtigt Wahlkampfunterstützung geliefert: Kickl hat sich umgehend auf die bei Rechten beliebte Opferrolle verlegt. Er habe doch nichts Böses getan, verbreitete er, und: "Was habe ich eigentlich mit Ibiza zu tun?"
Die FPÖ kann sich also hübsch empören, kann beim harten Kern ihrer Fans den Bundespräsidenten als Reibebaum präsentieren, der seinen "moralischen Kompetenzradius" überschritten habe. Es wird schon Leute geben, die das ebenso sehen und nun den Freiheitlichen die Stange halten.
Auch diese Leute muss man aber daran erinnern, dass das alles eitle Spekulation ist: Es sind noch elfeinhalb Wochen bis zur Wahl und wohl noch einmal so viele, bis im Zuge einer Regierungsbildung eine Ministerliste erstellt wird. Niemand kann absehen, ob und an welcher Stelle ein Herbert Kickl draufstehen wird. Man sollte ihn nicht wichtiger nehmen, als er ist. (Conrad Seidl, 11.7.2019)