Wiener-Börse-Chef Boschan hofft, dass die neue Regierung mehr Anreize für den Kapitalmarkt schafft.

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Christoph Boschan leitet die Wiener Börse seit drei Jahren. Im Herbst sitzt er bereits dem vierten Finanzminister gegenüber. Gedanken über die Politik im Lande und darüber, wie man die Österreicher für den Kapitalmarkt interessieren könnte.

STANDARD: Im Herbst sind Sie drei Jahre Chef der Wiener Börse. Ihr Resümee zum Kapitalmarkt?

Boschan: Der österreichische Kapitalmarkt hat sich gut entwickelt. Preislich wie infrastrukturell. Auch von der Einstellung und Gefühlslage der Anleger her. Aber es gibt noch viel zu tun.

STANDARD: Welche Änderungen konnten Anleger wahrnehmen?

Boschan: Wir haben verfügbare Infos ausgebaut, Audio- und Videoformate wie den Austrian Stock Talk gestartet, das Auslandssegment erfolgreich etabliert, das KMU-Segment gelauncht, den Handel an Feiertagen ausgebaut. Wir hatten einige Börsengänge – zuletzt Frequentis – und haben einen absoluten Zulassungsrekord bei Anleihen. Neue Handelsteilnehmer wurden an unsere Systeme angeschlossen, das Handelssystem modernisiert sowie neue Märkte für unsere IT-, Daten- und Indexdienstleistungen erschlossen.

STANDARD: Wie sind die ersten Feiertage mit offenem Handel gelaufen?

Boschan: Super. Am ersten Feiertag haben wir 150 Millionen Euro Handelsumsatz gemacht, zu Fronleichnam 200 Millionen Euro. Das sind ziemlich genau zwei Drittel eines normalen Handelstags und deutlich mehr als zustande kommt, wenn Österreich offen hat und UK oder USA einen Feiertag haben. Da machen wir dann nur rund 100 Millionen Euro. Bei einer Börse, die 86 Prozent ihrer Orders aus dem Ausland bekommt, verwundert das aber auch nicht weiter.

"Der Hebel für Wohlstandssicherung und -ausbau ist da und, wer das nutzen will, muss den Kapitalmarkt in den Blick nehmen", sagt Boschan.
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STANDARD: Und bei welchen Punkten gibt es noch etwas zu tun?

Boschan: Alle unsere Punkte – technische wie strukturelle – müssen konsequent weiterverfolgt werden. Auch für die Emittenten haben wir viel gemacht, hier wollen wir das Servicepaket weiter ausrollen. Wir machen Roadshows in Europa und den USA, das werden wir weiter bestreiten; und wir werden dranbleiben, die volkswirtschaftlichen Vorteile einer Börse zu betonen.

STANDARD: Die da wären?

Boschan: Seit Bestehen des ATX hat der Index im Schnitt sieben Prozent pro Jahr gemacht. Wer einen ATX-ETF-Sparplan startet und monatlich 50 Euro einzahlt, hat nach 30 Jahren ein veranlagtes Kapital von 70.000 Euro, bei 50 Jahren sind es 270.000 Euro. Wer 100 Euro einzahlen kann, liegt nach 50 Jahren bei ca. 545.000 Euro veranlagtem Kapital – vor Abzug der Gebühren. Diese Headline muss man sich mal vorstellen: Jeder Österreicher geht mit einer halben Million Euro zusätzlich in Pension. Das hat aber Bedingungen: langfristig veranlagen, hoch diversifiziert und risikoadjustiert. Da spielt der Staat mit Bildung und Steueranreizen eine Rolle.

STANDARD: Lehrpläne und Steuerkonzepte kann man aber nicht selber umsetzen. Dazu braucht es eine Regierung. In Ihren drei Jahren im Amt bekommen Sie in Kürze die vierte Regierung ...

Boschan: Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Bei Pitches im Ausland betone ich immer die politische Stabilität in Österreich. Ich halte aber trotz aller Turbulenzen daran fest. Denn Österreich hat sich auch jetzt als stabil erwiesen. Es gibt eine strukturelle und administrative Stabilität in diesem Land, die auch über so eine Phase trägt. Es ist ein Unterschied, ob so eine turbulente Phase in Österreich passiert oder anderswo.

STANDARD: Wir erinnern uns an die Shutdowns in Amerika ...

Boschan: Genau. Die schaffen es ja sogar während der Legislaturperiode und ohne Regierungswechsel, das Land einfach mal kurz abzuschalten. Als Betroffener von Verwaltung kann ich nur sagen, die Administration ist auch jetzt immer erreichbar, Gesprächsbasis da, Stabilität gegeben.

STANDARD: Im vergangenen Regierungsprogramm standen viele Themen den Kapitalmarkt betreffend. Die Branche war hoffnungsvoll. Was davon wurde umgesetzt?

Boschan: Die große Tragik des vorzeitigen Regierungsendes ist, dass zwar die Reiterstaffel demnächst durch den Volksgarten galoppiert, die Steuerreform aber in der Luft hängt und in der Folge alle Ableitungen für den Finanzmarkt. Aber die politische Hinwendung zum Kapitalmarkt hat sich manifestiert. Gelungen ist der Neustart des Direct Market, dafür brauchte es ja die Gesetzesänderung, weil das vorherige Segment für Neuzugänge verschlossen war.

STANDARD: Was wünschen Sie sich vom neuen Finanzminister?

Boschan: Die Anlegerbildung gehört gestärkt, damit die Menschen die Chancen einer Börse erkennen, aber auch ein Verständnis für die Risiken am Markt entwickeln können. Bildung zahlt sich aus, ist aber gleichzeitig der beste Anlegerschutz. Der Hebel für Wohlstandssicherung und -ausbau ist da und, wer das nutzen will, muss den Kapitalmarkt in den Blick nehmen. Finanz- und Wirtschaftsbildung gehören verpflichtend in die Lehrpläne. Österreich sollte zumindest auch eine Roadmap entwickeln, um künftig beim Pisa-Test auch beim Teil Financial Literacy mitzumachen. Fiskalische Anreize würden auch helfen, etwa die Einführung einer Behaltefrist von ein, zwei, drei Jahren. Danach sollten Aktiengewinne steuerfrei sein. Das wäre die richtige Maßnahme, weil sie Investition belohnt und Spekulation sanktioniert. Auch die Anpassung der Kapitalertragsteuer von 27,5 auf 25 Prozent fordern wir seit langem.

STANDARD: In Europa gibt es die Tendenz zur Vereinheitlichung. Braucht es eine gesamteuropäische Börse?

Boschan: Es stimmt, dass Europa bei der Anzahl der Börsen sehr ausdifferenziert ist. Einheitsbörsen sind aber maximal wettbewerbsschädlich, da hat man sofort Monopolrenditen und Modernisierungsrückstaus. Wir wollen ein vitales Wettbewerbsumfeld. Hier liegt die Herausforderung – denn der Wettbewerb findet jetzt weniger zwischen den Börsen statt, sondern zwischen dem börslichen und dem außerbörslichen Handel, der aber exakt die gleiche Dienstleistung anbietet, nur mit weit weniger regulatorischem Gepäck. Hier gehört dafür gesorgt, dass Mifid II (Regelung zur Stärkung der Transparenz des Handels, Anm.) umgesetzt wird. Seit der Einführung von Mifid haben wir mehr außerbörslichen Handel denn je.

STANDARD: Der österreichische Privatanleger gilt trotz allem als kapitalmarktscheu. Wie kann man ihn wachrütteln?

Boschan: Das Bildungsthema ist hier essenziell. Und natürlich engagieren sich derzeit die Leute am Markt, die die finanzielle Freiheit dazu haben und Risiken auch tragen können. Hier ist es schon Staatsaufgabe, Anreize zu setzen. Denn die am Markt nachweislich produzierten Überrenditen kommen den ohnehin Besitzenden zugute. Der Kapitalmarkt könnte eine Wohlstandsverteilungsmaschine sein. Heuer werden 3,22 Milliarden Euro an Dividenden ausgeschüttet. Das ist neuer Rekord – der Großteil davon geht halt ins Ausland. Die Leute müssen auch die Transferleistung hinbekomme: Sie stehen nachts vorm Apple-Store und warten auf das neue iPhone, warum beteiligen sie sich nicht auch durch Aktien am Erfolg des Unternehmens? Oder warum schaut man nur auf Netflix, nascht durch eine Investition am Erfolg aber nicht mit?

STANDARD: Dem Kapitalmarkt fehlt eine ausgeprägte Szene für Private Equity und Venture-Capital. Wie sehr spürt das die Börse?

Boschan: Die Börse steht ja erst am Ende der ganzen Finanzierungsschritte. Je weniger Aktivitäten es in diesem Zuflusskanal gibt – also bei Early Stage Investments, Private Equity und Co -, desto weniger Börsengänge folgen. Wenn die Staustufensystematik beim Zugang zum Börsensee nicht funktioniert, spürt das die Börse. (Bettina Pfluger, 13.7.2019)