Bei Sommerhitze wird es vielen in ihren Wohnungen schnell zu heiß. Das Nachrüsten mit Fernkälte wäre zumindest theoretisch möglich.

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Die Pumpen drücken bis zu 1.000 Liter kaltes Wasser pro Sekunde zu den Abnehmern.

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In dem kürzlich fertiggestellten Luxusbau Palais Schottenring im ersten Bezirk in Wien können die Bewohner der hochpreisigen Wohnungen die Temperatur in ihrer Wohnung am Smartphone steuern. Während draußen an der Ringstraße Touristen unter der Hitze stöhnen, lassen sich die Altbauräumlichkeiten auf angenehme Temperaturen herunterkühlen.

Im Palais Schottenring setzt man nicht auf eine herkömmliche Klimaanlage, sondern auf Fernkälte. Sie hat zwar die Ferne im Namen, kommt aber aus der Nähe: Nur wenige Gehminuten entfernt befindet sich am Schottenring eine von 16 über die Stadt verteilten Fernkältezentralen der Wien Energie.

Wer nicht weiß, wo sie ist, wird sich schwertun, sie zu finden: Der Abgang inmitten des Gehsteigs sieht aus wie der zu einer Parkgarage. Hier gibt es keinen Hinweis darauf, was unter der Erde geschieht. Nur eine versperrte Tür, hinter der Metallstufen in die Tiefe führen – zehn Meter, um genau zu sein. Und mit jedem Schritt in die Tiefe wird es lauter. In einem fünf Meter hohen und etwa 700 Quadratmeter großen unterirdischen Saal, der 2013 gleichzeitig mit der angrenzenden Parkgarage entstanden ist, dröhnen die Maschinen derzeit besonders laut.

Es herrscht Hochsaison, denn draußen ist es heiß. Am meisten Kälte wird täglich zwischen 14 und 15 Uhr benötigt, erzählt Alexander Wallisch, Fernkälte-Experte bei der Wien Energie. Um die dröhnenden Maschinen zu übertönen, muss er fast schreien, wenn er erklärt, was hier unten passiert.

Wasser wird gekühlt

Mithilfe des nahen Donaukanals wird Kälte für Häuser im ersten Bezirk erzeugt. Und zwar auf dreierlei Art: Gut die Hälfte entsteht durch sogenannte Absorptionskältemaschinen. Die Abwärme von der Müllverbrennungsanlage Spittelau, die im Winter für Fernwärme verwendet wird, dient als Antriebsenergie, um das Wasser im Fernkältekreislauf zu kühlen.

Eine zweite Methode ist die Kältegewinnung mit Strom durch Kompressoren. Das funktioniert ähnlich wie bei einem Kühlschrank mit einem Kühlmittel. Eine dritte Methode kommt im Winter zum Einsatz, wenn beispielsweise medizinische Einrichtungen Kälte benötigen. Die Kälte des zu der Jahreszeit rund zwei Grad kalten Wassers aus dem Donaukanal wird dann direkt zur Kühlung verwendet.

Die unterschiedlichen Wasserkreisläufe kommen nie miteinander in Kontakt. Das Wasser, das dem Donaukanal temporär entnommen wird, wird gefiltert. Muscheln könnten sich theoretisch in den Leitungen anlegen. Daher werden regelmäßig kleine orange Schaumstoffbällchen durch die Leitungen gejagt, um solche Verklebungen zu lösen.

Das Wasser wird auf fünf bis sechs Grad heruntergekühlt und über mehrere Leitungen, die einen halben Meter dick sind, zu den Abnehmern im ersten Bezirk transportiert. Fünf grüne Pumpen drücken bis zu 1000 Liter Wasser pro Sekunde zu den Abnehmern.

Parlament wird angeschlossen

Auf drei Kilometer ist das Netz der Fernkältezentrale am Schottenring mittlerweile angewachsen. 26 Gebäude im ersten Bezirk werden von hier aus mit 15 Megawatt Kälteleistung versorgt, darunter beispielsweise die Nationalbank. Und nach seiner Renovierung wird auch das Parlament ans Netz angeschlossen. Dafür muss die Fernkältezentrale noch ausgebaut werden. Sie stößt mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenze.

Seit einigen Wochen ist auch das eingangs erwähnte Palais Schottenring am Netz angeschlossen. Eineinhalb Minuten dauert es, grob geschätzt, bis das kalte Wasser aus der Zentrale hier eintrifft. Der Fußweg dauert länger. Im Gebäude selbst muss man vorbei am freundlichen Concierge und durch das prunkvolle Entree, dann geht es zwei Stockwerke in die Tiefe. Vorbei an Kellerabteilen, die nicht wie bei Normalsterblichen mit alten Ski und Plunder gefüllt sind, dann durch den Heizungsraum.

Dahinter befindet sich die Übergabestation des Hauses. Hier kommt das kalte Wasser aus der Fernkältezentrale an und wird auf drei Wärmetauscher aufgeteilt. Zwei für die Luxusapartments, einen für die Bank of China im Erdgeschoß. Von hier wird die Kälte im Haus verteilt, indem das kalte Wasser aus der Fernkältezentrale das Wasser im Kühlkreislauf des Palais Schottenring kühlt, direkten Kontakt haben die beiden Kreisläufe dabei nicht.

Die Wohnungen im Palais Schottenring werden, je nach Lage im Haus, mittels Deckenkühlung bzw. Fan Coils, also Lüftungen in der Decke oder am Boden, gekühlt. Das auf etwa zwölf Grad erwärmte Wasser fließt wieder zurück in die Zentrale am Schottenring. Der Kreislauf beginnt von vorn.

Weniger Platz

Die Fernkälte wird von vielen als ökologische Alternative zu Klimageräten gesehen. Kommen Absorptionskältemaschinen zum Einsatz, dann lassen sich damit im Vergleich zu herkömmlichen Klimaanlagen bis zu 50 Prozent CO2 einsparen. Dieses Argument kommt an, ist Wallisch überzeugt: Damit werde auch immer öfter von den Kunden geworben. Günstiger als die Klimaanlage ist die Fernkälte allerdings nicht unbedingt.

Ein großer Vorteil ist aber, dass die Fernkälte weniger Platz benötigt. Herkömmliche Klimaanlagen brauchen Rückkühler, die meist auf dem Dach untergebracht werden. Dabei spießt es sich oft mit dem Denkmalschutz – und mit Plänen der Immobilienentwickler, auf dem Dach hochpreisige Penthäuser zu entwickeln.

Ein Allheilmittel ist die Fernkälte trotzdem nicht, betont Thorsten Urbaneck von der Technischen Universität Chemnitz. Schon gar nicht für den Wohnbau: "Die beste Lösung ist, so zu bauen, dass man gar keine Kühlung braucht", sagt er. Denn auch bei der Fernkälte kommen Kältemittel zum Einsatz, die schlecht für die Ozonschicht sind und den Treibhauseffekt verstärken. Auch wenn die zentrale Produktion in großen Kältezentralen ökologischer als das individuelle Klimagerät ist.

Schwieriger Ausbau

Der Ausbau des Netzes in Städten ist schwierig, weil die Leitungen verlegt werden müssen. Weltweit setzen Städte dennoch immer öfter auf die Technik, um ihre Gebäude zu kühlen: In München sind mittlerweile 24 Kilometer an Leitungen verlegt. In Paris wird die Seine und in Toronto der Ontariosee zur Kühlung verwendet.

Es sind hauptsächlich Gewerbegebäude, die an die Netze angeschlossen werden. Wohngebäude mit Fernkälteversorgung gibt es in Wien noch kaum. Das wird sich ändern. Die Sommerhitze macht die Kühlung zum Thema im Wohnen. Vor kurzem ging ein Neubauprojekt mit 80 Wohnungen im Althan-Park im neunten Bezirk ans Netz.

Auch die Nachrüstung von bestehenden Gebäuden ist theoretisch möglich. Hitzegeplagte brauchen dafür aber noch Geduld. Sie müssen vorerst weiterschwitzen. (Franziska Zoidl, 13.7.2019)