Wichtig für Hummeln, aber stark gefährdet: Die Wiesen-Küchenschelle.

Foto: Heli Kammerer

Heli Kammerer steht vor seinem Hof auf der Leber am steirischen Schöckl und lässt den Blick durchs Grazer Umland schweifen. Verzweifelt schüttelt er den Kopf. Er blickt auf grüne Flecken in unterschiedlichen Schattierungen. "Das, was wir vielerorts sehen, ist ein ökologischer Super-GAU", sagt der 49-jährige Botaniker. "Die Wiesen sind zu Tode gemäht und völlig überdüngt, hier wächst fast nichts mehr, das einen ökologischen Mehrwert hat."

Nur zehn bis fünfzehn unterschiedliche Pflanzenarten wachsen auf diesen Böden. Zum Vergleich: Auf artenreichen Flächen kommen bis über 100 verschiedenen Pflanzenarten vor. Wäre diese Landschaft vom Menschen nachhaltiger gepflegt, würde es jetzt im Hochsommer hier in allen nur erdenklichen Farben blühen. Was läuft schief im Landwirtschaftsland Österreich?

Pfirsichblättrige Glockenblume (Campanula persicifolia)
Nikolai Atefie

Erstickte Vielfalt

Die unzähligen Kuh- und Schweineställe des Landes produzieren jeden Tag tausende Tonnen stickstoffreiche Gülle – und die müssen die Landwirtinnen und Landwirte irgendwie wieder loswerden. "Früher wurde den Rindern eigenes Heu verfüttert. Was auf dem Feld gewachsen ist, haben sie gefressen", erzählt Heli Kammerer.

"Sie haben Milch produziert und einen Teil des Gefressenen wieder ausgeschieden. Das war für das Feld ein wichtiger Dünger, eine gute Kreislaufwirtschaft." Nur wird in der konventionellen Landwirtschaft heute meist Kraftfutter zugekauft, die Palette reicht da von energiereichen Rübenschnitzeln bis hin zu Kürbiskernpresskuchen – einem Nebenprodukt der Kürbiskernölproduktion. Dadurch setzten die Tiere schneller Fett und Eiweiß in ihrem Fleisch und in der Milch an, aber es führt auch zu wesentlich mehr stickstoffhaltiger Gülle. Mehr, als die eigenen Flächen vertragen. Es entstehen sogenannte Kleegrasäcker.

Nickendes Leimkraut (Silene nutans).
Nikolai Atefie

Ein Albtraum für die Wiesen

"Hier wachsen nurmehr Klee und Gräser", sagt Heli Kammerer. Ein Albtraum für die Wiesen in Hinsicht auf Artenvielfalt. "Pflanzen, die Nährstoffe besonders gut nutzen, neigen dazu, sich explosionsartig zu vermehren. Sie stehen dicht aneinander und verdrängen dadurch Arten, die anspruchsvoller sind."

Um dem Artensterben entgegenzuwirken, hat der Staat Österreich im Jahr 1995 das Förderprogramm Öpul ins Leben gerufen, das Akronym steht für Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft, kofinanziert wird mit EU-Geldern. Die Idee ist simpel: Landwirtinnen und Landwirte, die in ihrem Betrieb auf Umweltschutz setzen, werden finanziell unterstützt.

Aufrechter Ziest (Stachys recta).
Nikolai Atefie

EU-Förderung ging nach hinten los

Das Problem dabei aus Sicht Kammerers: Die meisten geförderten Maßnahmen tragen nicht zur Erhöhung der Biodiversität bei – ganz im Gegenteil: "Wenn eine Fläche fünfmal im Jahr gemäht wird, ist da aus ökologischer Sicht nichts Gutes daran, trotzdem gibt es dafür auch Geld."

Eine der geförderten Maßnahmen ist etwa die "Pflege ökologisch wertvoller Flächen", dafür gibt es pro Jahr und Hektar bis zu 800 Euro Förderung, um artenreiche Wiesen anzulegen, zu schonen und zu pflegen. "Die Bauern gehen in den Großmarkt, kaufen Bienenweidensaatgut aus dem Ausland und richten auf Dauer mehr ökologischen Schaden als Nutzen an", sagt Kammerer.

Samenmischungen: Gut gemeint

Die Samenmischungen kommen oft aus Übersee bis Neuseeland und würden sogar Arten enthalten, die in Österreich nicht heimisch sind. So schleichen sich falsche Blüten ein und gefährden damit das ökologische Gleichgewicht. "Das Saatgut ist nicht an unsere klimatischen Bedingungen angepasst, heimische Sorten vermischen sich genetisch mit Pflanzen, die in Übersee gezüchtet wurden, und breiten sich hier aus." Früher haben die Bauern einfach die Samen aus dem eigenen Heu – sogenannte Heublumen – verwendet, doch durch Futterzukauf und Siloballen stirbt die Methode allmählich aus.

Gegen diese Entwicklung kämpft Heli Kammerer nun seit bereits zwölf Jahren an. Auf seinem Hof auf 700 Meter Seehöhe in einer Nachbargemeinde von Graz vermehrt er autochthone Wildpflanzen. Im Hochsommer summt und brummt es über den knallig bunten Wiesen, die Insekten laben sich genüsslich an Steinnelken (leuchtende pinke Blüten), Margeriten (weiß blühend) und Wiesensalbei (dunkelblaue Lippenblüten). Daneben stehen selten gewordene Arten wie das Steppen-Lieschgras, die Natternzungen und die vom Aussterben bedrohte Küchenschelle. Über den Ländereien fliegt das Blaukernauge, ein Schmetterling, und der Neuntöter. Diese Vogelart braucht abwechselnde Strukturflächen auf kleinster Fläche. Seine Nahrung – Großinsekten – wiederum brauchen artenreiche Kleinstrukturen, damit sie in größerer Zahl vorkommen.

Wiesensalbei (Salvia pratensis).
Nikolai Atefie

Eigenen Garten selten mähen

Im Sommer und Herbst kämmt Heli Kammerer mit einer australischen Spezialmaschine über seine Wiesen, um aus den Pflanzen die reifen Samen herauszubürsten. Das getrocknete Saatgut verkauft er an Landwirte und interessierte Privatpersonen, die dem Artensterben entgegenwirken möchten. Allerdings nur innerhalb der Steiermark: "Die Regionalität einer Pflanzenart ist enorm wichtig, weil sie sich genetisch an das Klima ihres speziellen Standortes angepasst hat, auch wenn das mit dem freien Auge nicht erkennbar ist", sagt Kammerer.

Im ganzen Land gibt es nur eine Handvoll Vermehrer von Wildpflanzensaatgut. Das hat zur Folge, dass es für ganze Bundesländer kein geeignetes Saatgut gibt, das für einen nachhaltigen Einsatz der Öpul-Maßnahmen verwendet werden kann. Die Politik schaut seit Jahren zu.

Dabei könnte jede und jeder Einzelne aktiv werden: Mehr Wertschätzung für den Bauern nebenan und mehr Bioprodukte im eigenen Kühlschrank wären ein erster Schritt, sagt Kammerer. "Der eigene Garten sollte so selten wie möglich gemäht werden, am besten, man legt Inseln an, die man der Natur überlässt. So können sich Wildpflanzenbestände erholen und Insekten einen wichtigen Lebensraum finden."

Es gibt kein Unkraut

Überhaupt sei Unkraut die falsche Bezeichnung, denn jedes Individuum habe eine wichtige Aufgabe im Ökosystem, man muss es nur schätzen lernen. Wer selbst eine autochthone Wildblumenwiese anlegen möchte, sammelt die Samen am besten in freier Natur und sät sie auf dem eigenen Boden für das nächste Jahr aus. Selbst Blumenkisten mit den richtigen Pflanzen auf dem Balkon können in der Stadt wertvolle Mikrobiotope schaffen.

Auch Aufklärungsarbeit bei den Heimatgemeinden wäre wichtig: Vor allem das immer häufiger betriebene Mulchen ist Gift für eine artenreiche Flora und Fauna. Die zerhäckselten Grashalme verrotten und töten alle Insekten, die Biomasse bleibt liegen, der Boden verfilzt, das Mooswachstum wird begünstigt und nur anspruchslose Gräser überleben. Mit dem richtigen Saatgut braucht es kein Mulchen und keinen englischen Rasen, naturnahe Flächen können wahre Augenweiden sein. (Nikolai Atefie, X.7.2019)