Lange Staus an den Grenzen, hohe Zölle und Schmiergelder sollen mit dem neuen Abkommen für Freihandel der Vergangenheit angehören. Der innerafrikanische Handel soll um 60 Prozent steigen.

AFP / Y. Chiba

Während sich der Rest der Welt derzeit regelrechte Handelsschlachten liefert, geht Afrika seinen eigenen Weg – in die Gegenrichtung. Die Staatschefs des Kontinents riefen auf ihrem Gipfeltreffen in der nigrischen Hauptstadt Niamey soeben die Afrikanische kontinentale Freihandelszone (AFCTA) ins Leben, die in den kommenden Jahren die meisten Zölle zwischen den Staaten des Kontinents aufheben soll. Die Initiative, die von 54 der 55 afrikanischen Regierungen getragen wird, schafft den größten Handelsverband seit Gründung der Welthandelsorganisation (WHO) 1995 und soll Afrikas Wirtschaftskraft in den nächsten elf Jahren von heute rund drei Billionen Euro auf über sechs Billionen verdoppeln.

Die Gründung der kontinentalen Freihandelszone wurde von verschiedenen Staatschefs als "historischer Durchbruch" beim wirtschaftlichen Aufschwung des Kontinents gepriesen. Von dem Schritt wird in den nächsten drei Jahren eine Steigerung des innerafrikanischen Handels um rund 60 Prozent erwartet. Derzeit gehen nur 17 Prozent der Exporte afrikanischer Güter in andere Länder des Kontinents – in Europa macht der binnenkontinentale Handel fast 70 Prozent aus.

Stehzeiten und Schmiergelder

Wer die Grenzen innerhalb Afrikas kennt, weiß, welcher wirtschaftliche Schaden dort angerichtet wird: Lastwagen stehen oft tagelang an den Schlagbäumen und kommen erst nach Zahlung heftiger Zölle und Schmiergelder wieder frei. Ein Wegfall der Handelsbeschränkungen käme der Industrialisierung zugute, meint der Direktor des Instituts für Sicherheitsfragen in Pretoria, Jakkie Cilliers: Bisher bestehen drei Viertel der Exporte aus Afrika aus unverarbeiteten Bodenschätzen.

Der Jubel der Handelsliberalen über das Abkommen ist allerdings nicht unumstritten. Manche meinen, die Staatschefs hätten "den Wagen vor den Esel gespannt". Erst hätte der Industrialisierung des Kontinents auf die Beine geholfen und dann der Handel liberalisiert werden müssen, meint der ehemalige südafrikanische Handels- und Industrieminister Alec Erwin. Ähnliche Bedenken hielten auch die Regierung der größten Ökonomie des Kontinents, Nigeria, zunächst von einer Unterzeichnung des Vertragswerks ab. Der westafrikanische Staat befürchtet, dass sein Markt mit mehr 200 Millionen Menschen von ausländischen Anbietern überschwemmt werden könnte. Erst im letzten Augenblick setzte auch der nigerianische Staatschef Muhammadu Buhari seine Unterschrift unter die Vereinbarung. Jetzt fehlt nur noch Eritrea, das Bedenken wegen seines wirtschaftlich übermächtigen Nachbarn Äthiopien hat.

Noch immer sind auch wesentliche Bestandteile der Abmachung offen; etwa die Frage, ab welcher Verarbeitungsstufe eine Ware das Siegel "made in Africa" tragen kann und damit zollfrei gehandelt werden muss. Ist dies schon bei chinesischen Hemden der Fall, die lediglich in Kenia verpackt werden? Oder erst wenn ein chinesischer Stoff in Afrika zugeschnitten und zusammengenäht wird? Offen ist auch noch, welche Behörde den Handel überwacht und welches digitale Datensystem für die Verwaltung des kontinentalen Güterverkehrs eingeführt wird. Bislang haben sich die Staatschefs nur auf den Sitz des Sekretariats der Handelsbehörde in der ghanaischen Hauptstadt Accra verständigt.

Ausnahmen als Schutz

Das Regelwerk sieht auch Ausnahmen von der Zollbefreiung vor – vor allem in Fertigungsbereichen, die ein Staat in ihrem Anfangsstadium schützen will. Diese Ausnahmen können bis zu zehn Prozent des Güterverkehrs ausmachen, sollen jedoch in den nächsten zehn Jahren allmählich abgeschafft werden. Ungeklärt ist auch noch die Frage, ob dieser Prozentsatz von den Ärmsten der Armutsstaaten, den sogenannten Least Developed States, über einen längeren Zeitraum überschritten werden darf. Fachleute weisen darauf hin, dass die Handelsliberalisierung vor allem auf dem Kontinent vertretenen multinationalen Konzernen sowie bereits leidlich industrialisierten Staaten wie Südafrika zugutekommen wird, während wirtschaftlich schwache Staaten befürchten müssen, von Importen überflutet zu werden.

Außerdem geben Experten zu bedenken, dass Zölle nicht das einzige Handelshindernis zwischen den afrikanischen Staaten darstellen. Mindestens genauso hinderlich wirken sich ihnen zufolge die Defizite bei der Infrastruktur des Kontinents aus: schlechte Straßen und Eisenbahnlinien oder mangelnde Hafenkapazitäten. Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank müssten die Staaten des Kontinents mehr als 100 Milliarden US-Dollar im Jahr investieren, um die Mängel in der Infrastruktur aus dem Weg zu räumen – eine Summe, die die finanziellen Verhältnisse des Erdteils bei weitem übersteigt. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 12.7.2019)