Ein 64-jähriger Arzt wurde am Mittwoch im ehemaligen Kaiser-Franz-Josef-Spital, das nun SMZ Süd heißt, niedergestochen. Manch Spitalsträger nimmt nun ein steigendes Aggressionspotenzial wahr.

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Wien – Er habe "innere Stimmen" befolgt. Dieses Motiv gab am Donnerstag jener 33-Jährige an, der am Mittwoch einen Oberarzt im Wiener SMZ Süd niedergestochen und schwer verletzt haben soll. Der Mann zeigte sich laut Landespolizeidirektion geständig. Die psychische Verfasstheit des subsidiär Schutzberechtigten aus Sierra Leone, der seit 2004 in Österreich lebt, wird bei Gericht ein Sachverständiger klären müssen. Auf die Polizei habe er bei der Einvernahme keinen verwirrten Eindruck gemacht.

Der Arzt, der mit dem Messer angegriffen worden war, sollte am Donnerstag als Zeuge kurz befragt werden. Der 64-Jährige hatte sich am Mittwoch zuerst in Lebensgefahr befunden und konnte in einer Notoperation stabilisiert werden.

Kammer will Sicherheitsschleusen

Die österreichische Ärztekammer fordert nach dem Übergriff im Wartebereich einer Ambulanz, Krankenhäuser wie Gerichte zu sichern – inklusive Sicherheitsschleusen, Metalldetektoren und des Durchsuchens auf gefährliche Gegenstände. Außerdem fordert die Kammer, Angriffe auf Gesundheitspersonal wie bei Polizisten, Gutachtern oder Beamten strafrechtlich als schwere Körperverletzung zu ahnden.

"Jeder Bürger soll sich überlegen, wie das wäre, wenn er rasch Hilfe braucht und in eine Ambulanz geht und dann durch eine Sicherheitsschleuse muss", entgegnet Harald Stefan, beim Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) Experte für Gewaltprävention. Ob die Zahl der Übergriffe in Spitälern zunimmt, wagt man beim KAV nicht zu sagen: "Es ist mehr Thema, weil es mehr wahrgenommen wird", sagt Stefan. Mehr als 90 Prozent der Übergriffe seien verbal, 99 Prozent der Patienten "vollkommen friedlich".

Zurückhaltend mit Zahlen

Daten über Gewaltvorfälle in Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbunds werden zwar seit 2006/2007 erhoben, der KAV will damit aber nicht an die Öffentlichkeit gehen, um Patienten und Ärzte nicht zu verunsichern, wie es am Donnerstag hieß. Aktuell läuft eine KAV-interne Befragung bezüglich verbaler und körperlicher Übergriffen am Arbeitsplatz und darüber, wie belastend diese waren.

Bei einer wissenschaftlichen Erhebung 2010 gaben mehr als drei Viertel der Bediensteten von Gesundheitseinrichtungen des KAV an, schon verbal angegriffen worden zu sein. 44 Prozent hatten tätliche Übergriffe im Beruf erlebt. Mit Abstand die meisten – und die gefährlichsten – Fälle ereigneten sich in der Psychiatrie, viele auch in der Geriatrie und in Unfallambulanzen und Notaufnahmen. Achtzig Prozent der Vorfälle betreffen das Pflegepersonal.

Mehr Aggressionen?

Die Niederösterreichische Landesklinikenholding teilte am Donnerstag mit, dass das Aggressionspotenzial steige: Voriges Jahr sei es zu 2562 Übergriffen gekommen. Bei über 40 Prozent handle es sich um verbale Angriffe durch Bedrohen oder Schimpfen, mehr als 30 Prozent seien körperliche Attacken oder Spucken. Auch die Mitarbeiter der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, die seit 1,5 Jahren Übergriffe dokumentieren, nehmen eine deutliche Zunahme an Meldungen wahr.

Es sei wichtig, Aggressionspotenziale rechtzeitig wahrzunehmen, dafür brauche es die Deeskalationstrainings, sagt Sicherheitsexperte Stefan. KAV-weit hätten tausende Mitarbeiter diese Trainings seit 2003 besucht. Zusätzlich müsse man die Basics in den Ausbildungen verankern. (Gudrun Springer, 11.7.2019)