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Nie hat das verpönte "Schrankwand-Bürgertum" grüner empfunden als in den Tagen einer ökologischen Energiewende. Bloß alles Tünche?

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Kein deutschsprachiger Bürger von Welt, der dieser Tage nicht "grün" empfindet und für eine umweltschützende Energiewende eintritt. Vorbei die Epoche der Zottelbärte und Schurwollfanatiker, die vor bald 40 Jahren dem Protestmilieu von Friedensbewegten, Linken und Umweltschützern entsprangen.

Seit die Klimaveränderungen auch notorischen Öko-Verächtern drastisch bemerkbar geworden sind, drängt "Grün" in die neue Mitte. Stillschweigend wurde die ökologische Idee um alle sektiererischen Anteile bereinigt. "Grün", das belegen aktuelle Politumfragen in Deutschland und auch in Österreich eindrucksvoll, ist die Bezeichnung für eine moralisch verantwortliche Haltung geworden. Längst hat man die Birkenstocksandale im Rahmen der letzten Altstoffsammlung mit entsorgt. Der Mainstream der Mittelschichten fühlt sich, seitdem er merkbar ins Schwitzen geraten ist, gegenüber Mutter Erde verantwortlich. Der sentimentalen Anhänglichkeit an die Natur, die aus dem letzten Loch pfeift, müssen sich auch geschworene Parteigänger des Neoliberalismus nicht mehr schämen.

Leuchtturmmedien wie das Hamburger "Kursbuch" widmen dem Grün-Hype neuerdings monothematische Ausgaben. "konkret", das letzte funktionstüchtige Sturmgeschütz des publizistischen Marxismus in Deutschland, spricht auf seinem aktuellen Cover angewidert von einer "Mitläufer-Partei".

Symbolische Politik

Tatsächlich würde eine immer größer werdende Masse von Bundesdeutschen Robert Habeck, den Bundesvorsitzenden der Grünen, gerne im Bundeskanzleramt regieren sehen. Habeck erfüllt mustergültig das Kriterium für alle, die sich von der Politik in unseren auf Wachstum konzentrierten Demokratien permanent gefrotzelt fühlen. Er sieht vielleicht einem Autor ähnlich, womöglich dem Sänger einer coolen Deutschrockband. Nur wie ein Berufspolitiker, der den Lobbyinteressen einer im digitalen Wandel befindlichen Industrie willfährt, schaut er nicht aus.

"Grün" besäße ohne Zweifel die Kraft, die leer gewordene Mitte in der politischen Arena zu besetzen. Tatsächlich sind die Träger eines "grünen" Lebensgefühls nicht immer von vornherein bereit, die Widersprüche des eigenen Denkens einzubekennen. Das schöne Bewusstsein, weltbürgerlich zu sein, findet im Auswaschen des Joghurtbechers häufig genug den authentischsten Ausdruck.

Demgegenüber fällt die Klärung der ökologischen Verschuldensfrage weitaus weniger ins Gewicht. Der (bundesdeutsche) Atomausstieg, von vielen Grünbewegten als echter Erfolg verbucht, ist mit dem Betrieb klimaschädlicherer Kohlekraftwerke erkauft. Kulturgrüne, die sich strikt gegen das Autofahren verwehren, würden sich ihren kleinen Städteflug zwischendurch von keinem Rechthaber der Welt vermiesen lassen. Nur dumm, dass die Kohlendioxidemissionen solcherart weiterhin bedenklich ansteigen.

Eigenes Hochgefühl

Reflexivere Gemüter wie Wolf Lotter (brand eins) beklagen die Neigung, mit der Androhung von Verboten dem eigenen moralischen Wohlbefinden zuzuarbeiten, anstatt die dicken Politikbretter zu bohren. Das "tugendhafte Weltbürgerleben", das sich um die Gleichstellung von Minderheiten verdient macht, schwelgt vornehmlich im Bewusstsein eigener Höherwertigkeit. Die Liberalisierung der Gesellschaft wird dankend in Kauf genommen.

Nur die Formulierung eines "gesamtgesellschaftlichen Angebots" (Robert Habeck), das auch die Gekränkten und Beleidigten und von Populisten Verführten mit ins Boot holt, steht aus. Schwer zu glauben, dass man die gesellschaftlich Abgehängten durch "reparatives Sprechen" (Heinz Bude), durch "zugewandtes Zuhören" (Peter Unfried) für einen ökologischen Rückbau unserer Wachstumsgesellschaft begeistern wird können.

Es ist die globale Ungleichverteilung des Wohlstands, die den von den Grünen vertretenen Universalismus mitunter allzu rhetorisch wirken lässt. Dagegen verpuffen auch die schönen Fortschritte, die das "Urban Gardening" in Mittelstädten wie Leipzig oder Nantes macht. Die Feier gemeinsamer Pflanz- und Ernteerlebnisse im städtisch nachgerüsteten Hochbeet ersetzt selbstredend keine Lösung drängender Welternährungsfragen. Bleibt noch die alte Streitfrage, was man sich denn, bitte schön, unter "Natur" überhaupt vorzustellen habe? Das grüne Naturbild entspricht häufig genug dem Ideal bürgerlicher Hauswirtschaft.

In schöner Selbstbescheidung: mit selbst gerührter Hagebuttenmarmelade, mit Schoßhündchen, die aufs Wort folgen, als streichelweichem Wildtierersatz. (Ronald Pohl, 13.7.2019)