Dem geneigten Fan der Salzburger Fußballkunst könnten heuer regelrecht die Grausbirnen aufsteigen. Da hat sich Serienmeister Red Bull Salzburg im zwölften Anlauf endlich für die Champions League qualifiziert und dann versteht es der Krösus just in diesem historischen Moment nicht, einen empfindlichen Aderlass zu vermeiden. Verlor man doch für dieses prestigeträchtige Unternehmen nicht nur den Wunderwuzzi auf der Trainerbank, Marco Rose, sondern mit ihm auch eine Reihe von Leistungsträgern wie Munas Dabbur (FC Sevilla), Fredrik Gulbrandsen (Basaksehir), Stefan Lainer (Mönchengladbach), Xaver Schlager (Wolfsburg) oder auch Hannes Wolf (Leipzig). Zudem ist der Verbleib von Diadie Samassekou noch nicht gesichert.
Kein Grund zur Panik
Mit den Transfereinnahmen der vergangene Jahre sind die Bullen in Dimensionen vorgestoßen, die hierzulande früher unvorstellbar schienen. Würde der Verein von einem Vereinspräsidenten alten Schlags aus einer Schottergrubendynastie geführt, so ließe der sich bestimmt nicht lumpen, würde einen Großteil der Erlöse von rund 60 Millionen Euro zur Freude der Spielervermittler in ein, zwei hochkarätige Altstars reinvestieren und die erregten Gemüter damit besänftigen. In Salzburg gibt es ob der Abgänge aber keine Panik, große Transfers sind nicht geplant. Sportdirektor Christoph Freund: "Es ist für den Klub nicht so einfach, die Abgänge zu verkraften, aber es ist genug Qualität vorhanden und ich glaube, dass die Mischung trotzdem sehr gut passt. Geld spielt nicht Fußball, es erleichtert aber schon einiges. Wir werden deshalb aber nichts Verrücktes machen."
Schnelles Reifen
Freund wird nicht bange, er verweist auf Spieler wie Takumi Minamino, Smail Prevljak oder Hee-Chan Hwang, die nun auch schon entsprechend gereift und zudem allesamt A-Nationalteamspieler seien wie auch Patson Daka oder Enock Mwepu. "Sie sind keine Nachwuchsspieler mehr, die in die erste Mannschaft reinschnuppern, sie sind im besten Fußballeralter."
Wichtig sei, dass die jungen Spieler regelmäßig zum Einsatz kommen. "Auch Xaver Schlager, Hannes Wolf oder Amadou Haidara waren vor zwei, drei Jahren ganz junge Burschen und haben es sehr schnell geschafft, wichtige Rollen in der Mannschaft zu übernehmen, weil wir ihnen die Chance gegeben haben."
Parken in Liefering
Freund ist guter Dinge, was die Aussicht auf die neue Saison betrifft. Man habe die Champions League erreicht, weil man den eingeschlagenen Weg der letzten Jahre mit großer Überzeugung und Konsequenz gegangen sei und man wolle sich davon auch jetzt nicht abbringen lassen. Heißt: Weiterhin nach Talenten Ausschau halten und in den kostengünstigen Nachwuchs investieren, diesen mitunter beim Kooperationsverein FC Liefering in der zweiten Liga parken, wie eben geschehen im Fall des 16-jährigen dänischen Talents Maurits Kjaergaard von Lyngby BK oder des gleichaltrigen slowenischen Talents Benjamin Sesko von NK Domzale. Für beide Spieler wurden insgesamt knapp mehr als fünf Millionen ausgegeben.
Um in der Königsklasse zu reüssieren, wäre es von Vorteil, eine gut eingespielte und harmonierende Elf zur Verfügung zu haben. RB Salzburg ist aber nicht der FC Liverpool, sondern Zwischenstation. "Wenn wir so Fußball spielen, wie die letzten Jahre, dann werden immer wieder Spieler rausgerissen. Das tut unserem Klub ja auch gut, weil sich Junge entwickeln können und immer wieder gute Transfererlöse erzielt werden", so Freund.
Nachhaltiges Scouting
Das Scouting funktioniere auch deshalb so gut, "weil wir genau wissen, was wir wollen, wo wir scouten, welche Spielertypen wir wollen. Wir kaufen keine älteren Spieler, sind meist sehr früh dran, und nicht erst, wenn die breite Öffentlichkeit weiß, dass einer gut ist." Es sei wichtig, nachhaltig zu belegen, dass gut gearbeitet werde, die Weiterentwicklung funktioniert. "Darum gelingt es uns immer wieder, gute Talente von uns zu überzeugen." Es gebe viele gute Beispiele für die gut funktionierende Plattform zur Weiterentwicklung in Salzburg, die es ermögliche, auch die nächste Generation wieder für den Klub zu interessieren.
Dieses Rad gelte es weiterzudrehen, betont Freund. "Wir brauchen diese positiven Beispiele wie Xaver Schlager, Hannes Wolf, Stefan Lainer, Konrad Laimer und auch die, die wir aus der ganzen Welt dazu holen wie Amadou Haidara, Sadio Mané, Naby Kaita, Dayot Upamecano oder auch Munas Dabbur. Es ist wichtig, nachhaltig zu belegen, dass wir gut arbeiten, darum gelingt es uns immer wieder, gute Talente von uns zu überzeugen." Dass vor dem Saisonstart noch neue Spieler verpflichtet werden, schließt Freund nicht aus. Allerdings sei es gar nicht so einfach, passende zu finden, zumal die Qualität in den Reihen ohnehin sehr hoch sei.
Auf der Suche nach den Richtigen
Neo-Trainer Jesse Marsch, der das schwere Erbe von Rose übernommen hat, sieht sich mit einem Luxusproblem in der Talentschmiede konfrontiert. Bei seiner Vorstellung sagte er: "Unser größtes Problem ist, dass wir zu viele Talente auf jeder Position haben". Man hat also die Qual der Wahl und die Schwierigkeit besteht nun darin, die Richtigen zu finden. Freund: "Jetzt gilt es, diejenigen herauszufiltern, die das Gerüst der Mannschaft bilden, eine Mischung zu finden, die Bestand hat und Sicherheit ausstrahlt." Freund beschreibt Marsch als "sehr offen und kommunikativ, alle schätzen ihn sehr. Er wird seinen Weg wie Óscar García und Rose gehen."
Der seit Jahren praktisch chancenlosen nationalen Konkurrenz könnten ob der düsteren Aussichten die Grausbirnen aufsteigen, man klammert sich freilich an den dünnen Strohhalm, dass das runderneuerte Werkl zu Beginn stottern könnte. Freund sieht die Salzburger "als Lokomotive, ein absolutes Zugpferd, von dem auch andere Vereine profitieren können", weil durch die Erfolge der Bullen mehrere Vereine die Chance auf ein internationales Engagement erhalten.
Freund des Ligaformats
Das neue Ligaformat sieht er positiv. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass Rapids Präsenz die Relegationsgruppe vor dem gänzlichen Ausschluss der Öffentlichkeit bewahrt hat. "Wir haben eine sehr spannende Zeit erlebt, als es darum gegangen ist, wer oben bleibt und wer unten dabei ist. Wir sollten dem Format eine Chance geben. Wir werden sehen, wie sich das untere Play-off entwickelt, zumal der erste Platz sehr viel wert sein kann und die Abstiegsfrage auch oft bis zum Schluss spannend bleibt. Schauen wir uns das einmal drei, vier Jahre an." (Thomas Hirner, 13.7.2019)