Das menschliche Abwehrsystem ist unsichtbar, eine Art innerer Mantel, der Feinde von außen bekämpft und Fehler im Körper austariert.

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Es macht seine Arbeit still und unauffällig, meist arbeitet das Immunsystem unter der Wahrnehmungsgrenze. Dringen jedoch Bakterien oder Viren in den Körper ein, wird die Produktion zahlreicher Immunbotenstoffe angekurbelt. Es sind vor allem sogenannte Zytokine, die unsere Immunantwort regulieren. Zu ihnen zählen etwa Interferone, die Zellen dazu bringen, Proteine zu bilden, die sie gegen virale Infektionen widerstandsfähiger machen. Eine weitere Gruppe sind Interleukine, die für die Kommunikation zwischen den Zellen zuständig sind und Fieber auslösen.

Die körpereigene Abwehr kämpft aber nicht nur direkt gegen Eindringlinge von außen, sie greift auch in den Stoffwechsel des Gehirns ein und beeinflusst damit unser Erleben und Verhalten. "Zwischen dem Immun-, dem Hormon- und dem Nervensystem gibt es eine ausgeprägte Kommunikation. Wird das Immunsystem durch einen Infekt aktiviert, sendet es Zytokine aus, die über die Beeinflussung der Gehirnaktivität eine psychische Veränderung hervorrufen", erklärt Christian Schubert, Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie an der Med-Uni Innsbruck.

Energie für den Kampf

Forscher sprechen von einem immunologischen sechsten Sinn. Wir fühlen uns krank und ziehen uns zurück, im Fachjargon "Sickness Behavior" genannt. Ein kranker Mensch ist antriebslos, müde, hat keinen Appetit auf gutes Essen oder Sex und will vor allem eines: Ruhe. Der Organismus spart so Energie, die er für die Bekämpfung der Infektion benötigt. Verursacht wird dieses Rückzugsverhalten durch Zytokine, die auf die Amygdala, die für die emotionale Bewertung und Analyse von Gefahren zuständig ist, einwirken. Sie hemmen außerdem die Produktion des Glückshormons Serotonin.

Die Zytokine wirken aber auch auf Gehirnareale, die zum Belohnungssystem gehören, etwa das ventrale Striatum. Das führt dazu, dass wir uns im Fall einer Krankheit nicht völlig isolieren, sondern von vertrauten Menschen umsorgen lassen. Sobald eine Infektion abklingt oder Wunden heilen, drosselt der Körper die Ausschüttung der Zytokine. Damit hat auch das Sickness-Behavior ein Ende. "Bleibt der Zytokin-Spiegel erhöht – etwa durch einen chronischen Entzündungsherd, psychosozialen Stress oder eine Autoimmunerkrankung -, setzt sich auch das Sickness-Behavior fort", sagt der Psychoneuroimmunologe.

Es mehren sich die wissenschaftlichen Befunde, dass Immunprozesse durch die Bildung von Zytokinen auch Depressionen triggern können. Bereits Anfang der 1990er-Jahre fand der niederländische Psychiater Michael Maes heraus, dass sich im Blut von depressiven Patienten zum Teil erhöhte Mengen von Zytokinen nachweisen lassen. "Bei dieser atypischen Depression handelt es sich wahrscheinlich um Sickness-Behavior", sagt auch Christian Schubert.

Auf dem falschen Weg

Im März 2015 veröffentlichten kanadische Forscher eine Studie im Fachblatt JAMA Psychiatry, in der ebenfalls ein Zusammenhang zwischen Entzündungen und Depressionen festgestellt wurde. Die Wissenschafter verglichen die Gehirne von depressiven Patienten mit jenen von gesunden Probanden via Positronen-Emissions-Tomografie. Es zeigte sich, dass Entzündungszellen bei den Depressiven deutlich aktiver waren als in der Kontrollgruppe.

In mehreren Studien wurde diese Form der Depression bereits mit antientzündlichen Schmerzmitteln behandelt. Die Ergebnisse sind widersprüchlich, nur ein Teil der Patienten profitierte davon.

Christian Schubert hat dazu eine Erklärung. "Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass Depressionen rein auf immunologischen Prozessen beruhen. Wir reden hier ausschließlich von dem zugrunde liegenden Mechanismus und nicht von der Ursache der Depression." Nichtsteroidale Antirheumatika bekämpfen demnach nur die Symptome, der tatsächliche Auslöser bleibt unbehandelt. Das Fazit des Experten: "Entzündungshemmer sind hier nicht der richtige Behandlungsweg. Wir können auf diese Weise nicht unsere belastete Biografie wegtherapieren." (Günther Brandstetter, 13.7.2019)