Der erste Kontakt ist da – auch wenn konkrete Resultate des Telefonats zwischen Wladimir Putin (li.) und Wolodymyr Selenskyj noch fehlen.

Foto: AFP / Tiziana Fabi, Ludovic Marin

Wir müssen reden: Vor Tagen schon hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über die sozialen Netzwerke ein Dialogangebot nach Moskau verschickt – damals allerdings mit der Forderung verknüpft, dass an den Verhandlungen zwischen ihm und Russlands Präsident Wladimir Putin auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und – zusätzlich zu diesem Normandie-Vierer – auch US-Präsident Donald Trump und Großbritanniens Premierministerin Theresa May teilnehmen sollten. Nun hat Selenskyj ganz ohne Vermittler die Nummer des Kremls gewählt.

Es ist der erste Kontakt zwischen den beiden, Putin hatte einen Glückwunsch an Selenskyj nach dessen Wahlsieg vermieden. Inhaltlich ging es vor allem um die Freilassung der 24 ukrainischen Seeleute, die seit dem Vorfall in der Meerenge von Kertsch in russischer Gefangenschaft sind.

Mehr als nur schöne Worte

Für Selenskyj ist das Thema sehr wichtig: Der ukrainische Präsident hat stets betont, dass er als ersten Schritt zur Befriedung des Donbass einen Gefangenenaustausch erreichen will. Die Freilassung der Seeleute wäre kurz vor der Parlamentswahl ein wichtiges Signal, dass Selenskyj mehr als nur schöne Worte zu bieten hat.

Bei der Wahl am 21. Juli ist Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" Favorit. Doch laut dem Umfrageinstitut Rating reicht der Stimmenanteil nicht, um allein regieren zu können: 22,4 Prozent würden demnach für die "Diener des Volkes" stimmen, 19,1 Prozent für Julia Timoschenkos Vaterlandspartei und 15,8 Prozent für Petro Poroschenkos "Solidarität". Daneben kämen mit der Oppositionsplattform (10,2 Prozent), der Zivilen Position (7,9 Prozent) und der Radikalen Partei (6,1 Prozent) drei weitere Parteien in die Rada. Das Wort "schwierig" würde bei dieser Konstellation eine nötige Koalitionsbildung nur sehr milde umschreiben.

Russland bleibt unter Druck

Doch auch Moskau ist an einer Entspannung interessiert. Ohnehin hatte es bereits nach der Rückkehr Russlands in den Europarat Spekulationen gegeben, dass ein Deal hinter den Kulissen, bei dem sich der Kreml zur Freilassung der ukrainischen Seeleute verpflichtete, den Weg freimachte. Offiziell wird eine solche Einigung natürlich von allen Seiten bestritten, doch wäre sie zumindest ganz im Sinne der von Moskau so gern anstelle von Idealen und Moral eingeforderten "Realpolitik".

Angesichts der angeschlagenen Wirtschaft wäre für Moskau eine Lockerung des Sanktionsdrucks willkommen. Anzeichen dafür hatte es in den letzten Monaten gegeben: In Europa wurden Stimmen nach einem Abbau der Sanktionen lauter, nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sogar Finanzsanktionen der EU gegen den ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch und sechs hochrangige Beamte seiner Ära wegen Veruntreuung und Unterschlagung aufgehoben. Das Gericht begründete den Entschluss damit, dass unklar sei, ob der Prozess gegen Janukowitsch und Co in der Ukraine völlig rechtsstaatlich erfolgt sei.

Sanktionen gegen Staatsanleihen

Doch während die Betroffenen nun auf ein Ende der gegen sie gerichteten Sanktionen hoffen können, sieht sich Moskau neuen Sanktionen gegenüber: Das US-Repräsentantenhaus hat bei der Verabschiedung von Nachbesserungen beim Militärhaushalt auch gleich noch Sanktionen gegen russische Staatsanleihen mitbeschlossen. US-Bürger dürfen demnach nicht mehr mit russischen Obligationen handeln. Noch ist das Gesetz nicht durch, sowohl der Senat als auch Präsident Donald Trump müssen zustimmen.

Doch die Unruhe auf dem russischen Markt ist nach Monaten trügerischer Ruhe wieder da. Die Chefvolkswirtin der Alfa-Bank, Natalja Orlowa, sprach gegenüber dem STANDARD von einem "gefährlichen Präzedenzfall", sollte das Gesetz durchkommen. (André Ballin aus Moskau, 12.7.2019)