Fünf Romane und zwei Essaybände hat Thomas Stangl bereits geschrieben. Kompromisse hat er dabei keine gemacht.

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In einem Essay in der NZZ schrieb Thomas Stangl im Jahre 2017, dem Terror der Sätze, den irgendwelche "Möchtegerndiktatoren" von der Türkei über Ungarn bis in die USA in die Welt hinaus twittern oder sonst wie in die Welt prügeln, sei nicht mit Gegenterror beizukommen. Vielmehr, so der 1966 geborene Wiener Autor, gehe es darum, dem Lärm und Selbstbehauptungsterror einen Raum der offenen Rede und des Zuhörens entgegenzustellen. Und zwar mit "Vernunft und Verzweiflung, uneitel, (...) jeder Rhetorik misstrauend, und uneinig, sogar mit sich selbst".

Auch Lektüre kann laut Stangl bei dergleichen helfen, weil sie es ermöglicht, "eine Vielfalt von Ideen und Wirklichkeiten" aufzunehmen und "nicht auf seiner eigenen Position" zu bestehen, die übrigens immer hinterfragungswürdig sei.

Nicht leicht konsumierbar

Fragende Suchbewegungen und sprachliche Entdeckungsreisen sind auch Stangls Bücher. Fünf Romane und zwei Essaybände hat dieser kompromisslose Autor bisher geschrieben. Dabei ist er weder gewillt, den Literaturmarkt mit leicht konsumierbarer Literatur zu bedienen, noch ästhetisch Kompromisse zu machen.

Seine Unbeirrbarkeit hat Stangl viele Preise eingebracht, zuletzt – für die Erzählung Die Toten von Zimmer 105 – den mit 35.000 Euro dotierten Wortmeldungen-Literaturpreis.

Die ausgezeichnete Erzählung ist nun einer von 28 kurzen Prosatexten in Stangls Erzählband Die Sprache der Körper. Worum es in dem Buch geht? Das ist eine Frage, die bei Stangl wie in jeder guten Literatur kaum spontan beantwortbar ist. Es geht um alles. Um das, was war, was ist und was sein könnte. Es geht um das Spiel, um Liebe, Schönheit, Licht – um den Tod und um Erinnerungen, die zu Staub zerfallen und durch Imagination ersetzt werden.

Eine Welt mit Sprache schaffen

Stangl ist keiner, der es darauf anlegen würde, die Welt durch Sprache realistisch abzubilden, er will eine neue Welt mit Sprache erschaffen. Immer wieder verschwimmen daher in seinen Erzählungen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Körper und Außenwelt, Vergangenheit und Gegenwart.

Wittgenstein schrieb, dass wir unser Leben meist im Tiefschlaf verbringen und nur in besseren Stunden so weit aufwachen, "dass wir erkennen, dass wir träumen". Von solchen Aufwachmomenten handeln Stangls Erzählungen, die Traumtüren in andere Welten öffnen.

Zuweilen handelt es sich auch um Albträume: Eine Familie wartet in der Dämmerung auf Monster, ein Dieb nistet sich in der Wohnung eines alten Mannes ein, ein junges Mädchen tanzt vor Publikum in einem Raum mit unheimlichen Maschinen. Gibt es diese Monster wirklich? Ist der Dieb wirklich der Wiedergänger eines verstorbenen Freundes des Alten, der ihm die Frau ausgespannt hat? Und das Mädchen, ist es eine Art Alter Ego eines Ich-Erzählers, der Schriftsteller ist, wie in einer anderen Erzählung angedeutet wird? Die Antwort lautet immer "ja" und "nein".

Sie ergibt sich erst nach und nach bei der Lektüre aller über ein paar Figuren (Anna) und Motive (Körper, Zeit, Gleichzeitigkeit) kunstvoll verzahnten Erzählungen, die kurz genug sind, dass man sie zwei Mal lesen kann, um alle Anspielungen und Zusammenhänge zu erkennen.

Im Altenheim mit Damen

Der Band hält indes auch griffige, in sich geschlossene Texte bereit, etwa die schon erwähnten Toten von Zimmer 105. Darin wird ein Zivildiener und Ich-Erzähler im Altenheim mit der Welt einiger Damen konfrontiert, denen ihre Erinnerungen abhandenkommen. Mehr als eine stirbt, unter anderem Frau Petters, die im Zimmer zusammenbricht und den Zivildiener bittet, bei ihr zu bleiben.

Er eilt trotzdem los, um Hilfe zu holen. Die Frau stirbt – und der Erzähler schreibt: "Es gibt ein paar Sekunden, endlose Sekunden für Frau Petters. Wenn diese Sekunden noch da sind und nicht auszulöschen, die ungeheure Angst, die sie in diesen Sekunden spürte? Ich kann mir diese Angst vorstellen, (...) seit jeher, sie ist das Ziel aller meiner Vorstellungen oder eher: sie ist das, was ich mit allen Sätzen, die ich schreibe, (...), mit jedem Moment Sonnenschein, den ich erlebe und für endlos halten möchte, wegzuschieben versuche. Sie ist das, was nicht zum Spiel gehört." (Stefan Gmuender, 15.7.2019)