Österreichs Regierung nominierte Johannes Hahn.

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Wenn man Ursula von der Leyen dabei beobachtet, wie sie sich auf das Amt als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker und erste Präsidentin der EU-Kommission vorbereitet, wird einiges rasch klar.

Erstens: Hier ist nicht eine servile Kompromisskandidatin am Werk, die von den Staats- und Regierungschefs nur ausgesucht wurde, um dem Parlament eins auszuwischen, obwohl die Attacke gegen das "Modell Spitzenkandidat" dem Wunsch nach mehr Demokratie schadete. Die deutsche Langzeitministerin ist Vollprofi, da sie seit 2005 Kanzlerin Angela Merkel als Familien-, Sozial- und Verteidigungsministerin gedient hat. Mit all dieser Erfahrung wird sie auch auf europapolitischer Ebene bald in den wichtigsten Dossiers zu Hause zu sein, besondere in Außen- und Sicherheitspolitik.

Gute Voraussetzungen

Zweitens: Die 60-Jährige brennt sichtlich und spürbar für diese Aufgabe. Die Union aus ihren Spaltungen herauszuführen, die Unentschlossenheit zu beenden, die politische Union weiterzuentwickeln empfindet sie offenbar als die Aufgabe schlechthin, als die Krönung eines politischen Lebens. 1958 in Brüssel geboren, dort bis dreizehn zur Schule gegangen, dreisprachig, versprüht sie fast Enthusiasmus.

Gute Voraussetzungen. Wenn die EU nach dem zähen Jahrzehnt von Euro- und Wirtschaftskrise und zornigen Konfrontationen der Staaten wegen der Migrationspolitik jetzt eines braucht, ist das Optimismus. Und es braucht absoluten Willen, die Probleme mit Kompromissfähigkeit zu überwinden. Dem ultraerfahrenen Europapolitiker Juncker ist es seit 2014 gelungen, die weitere Talfahrt zu stoppen. Aber seine durch Witz und Schalk gebrochene Melancholie reichte nicht aus, um nationale Regierungen und Parlament zu den nächsten großen Schritten der EU zu animieren.

Das wird die Hauptaufgabe von von der Leyen sein, wenn sie denn am Dienstag in Straßburg bestätigt werden sollte. Es ist Zufall, dass das Votum am 50. Jahrestag des Starts von Apollo 11, des Fluges von US-Astronauten zum Mond, stattfinden wird. Welchen "giant leap" für die Europäer wird die erste Deutsche seit Walter Hallstein vor 52 Jahren versprechen?

Ihr Start war wegen des EU-Gipfels "holprig", wie sie selbst sagte. Und es sieht so aus, dass nationale Regierungen weitertun wollen mit ihrer schlechten Gewohnheit, die Kommission an die Kandare zu nehmen. Auch Österreich. Noch bevor von der Leyen gewählt ist, haben 14 von 28 Regierungen "ihre" Kandidaten für Kommissarsposten nominiert. Wie 2014 sind viel mehr Männer darunter als Frauen.

Bei aller Wertschätzung für Johannes Hahn: Die Regierung Bierlein hätte besser daran getan zu machen, was von der Leyen wünschte: ein transparentes Auswahlverfahren, zwei Kandidaten – einen Mann und eine Frau – nominieren, damit es in Brüssel leichter ist, Parität in der Kommission herzustellen. So aber schränkt man die Gestaltungsmöglichkeit der Präsidentin vorab ein – eine Brüskierung bzw. Missachtung des im EU-Vertrag vorgesehenen Prozederes. Dem Kommissionschef wird darin eine starke Rolle bei der Auswahl des Teams zugeteilt: Er/Sie allein legt die politischen Leitlinien fest, verteilt die Kompetenzen an Kommissare und bestimmt die innere Organisation. Kommissare sucht sie/er im Einvernehmen mit Regierungen aus.

Das muss von der Leyen durchziehen. Sie braucht dafür große, auch innere Freiräume, um das gemeinsame Europa besser zu machen. Sie muss sich diese auch nehmen. (Thomas Mayer, 14.7.2019)