Das Jonglieren zwischen den Welten in der Kindheit und Jugend, die Fremdheit, die man auf der Universität spürt, die Selbstzweifel und die Entfremdung – das alles kostet enorme Kraft.

Foto: christian fischer

Wir unterhielten uns über ein Schulprojekt, und die Augen meines Gegenübers blitzten auf: Sehr aufgeweckte und kluge Kinder seien es gewesen, sie hätten sich offen für die Rechte der Homosexuellen ausgesprochen, hätten gegen Erdoğan gewettert, und überhaupt seien sie wohl ganz anders als die Elterngeneration, so emanzipiert. Ich verstand ihre Freude, ein Teil von mir freute sich mit meinem Gegenüber, einer sehr engagierten, klugen Person.

Ein anderer Teil wurde sehr nachdenklich und still, traurig und ein wenig wütend. Noch Tage später dachte ich immer wieder an unser Gespräch über das Schulprojekt. Ich freue mich auch sehr, wenn ich sehe, dass Jugendliche gegen jede Form (!) von Nationalismus auftreten, wenn sie für eine offene Gesellschaft einstehen, wenn sie eloquent sind. Wenn sie aus klassischen Arbeiter- und Migrantenfamilien kommen, freue ich mich umso mehr, denn ihre Offenheit wird ihnen vielleicht neue Welten eröffnen und das Leben vielleicht etwas einfach machen, als es das für ihre Eltern war.

Das bessere Leben

Viele Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis teilen die Erfahrung, die einige dieser Jugendlichen machen werden. Sie werden, anders als ihre Eltern, einen Schulabschluss haben, werden vielleicht studieren, werden in Jobs arbeiten, die keine schwere körperliche Anstrengung erfordern. Sie werden mehr verdienen, sie werden sich mehr leisten können, sie werden einen anderen Lebensstil und -rhythmus haben. Sie werden andere Gespräche führen, sie werden ganze andere (und wahrscheinlich weniger) Sorgen haben.

Sie werden, anders als ihre Eltern, keine Gäste auf Lebenszeit in diesem Land sein. Sie werden selbstbewusst durch diese Stadt gehen, werden ein Teil der Gesellschaft sein und nicht am Rand stehen. Und sie werden wahrscheinlich das erleben, was jeder soziale Aufstieg seit jeher mit sich bringt: Entfremdung und mitunter Einsamkeit. Wenn der soziale Aufstieg auch gleichzeitig mit der Emanzipation aus einer Einwandererfamilie einhergeht, dann sind große Konflikte unumgänglich.

Wenn Eltern wollen, dass die eigenen Kinder "es einmal besser haben", und gleichzeitig an alten Traditionen, Denkmustern und Erziehungsmethoden festhalten, prallen bald Wertekataloge und Wünsche aneinender. Was folgt, geht über die übliche Pubertätskrise der Rebellion und Emanzipation hinaus. Wenn man am Vormittag am Magistrat für seine Eltern die mürrischen Anweisungen des Beamten übersetzt und Formulare ausgefüllt hat, dann bekommt am Abend das Gespräch über Ausgehzeiten und Taschengeld eine mitunter absurde Dimension. Und später mischt sich die Dankbarkeit für die Eltern, die sich an Baustellen und beim Putzen den Rücken krumm gearbeitet haben, mit Trauer und schlechtem Gewissen, weil man einander nichts mehr zu sagen hat.

Eribon und die Melancholie

Das alles machen die Jugendlichen, vor denen meine Bekannte irgendwo in Ottakring oder Favoriten gestanden ist, vielleicht durch. Sie fechten Kämpfe aus, von denen die Mehrheitsgesellschaft kaum Notiz nimmt. Und wie denn auch. Sie sind in Österreich – auch im intellektuellen Milieu – kein wirklich großes Thema. Bis auf eine Ausnahme. Didier Eribons autobiografischer Rückblick auf seine Kindheit, "Rückkehr nach Reims", wurde und wird sehr angeregt diskutiert.

Nicht nur wegen der brillanten Analyse des linksintellektuellen Milieus und des Rechtspopulismus, sondern auch wegen der Einblicke in Eribons Familiengeschichte. Als Sohn einer Arbeiterfamilie – "wenig Bildung, harte Arbeit" – schafft er dank erfolgreicher Bildungskarriere den Sprung in eine vollkommen andere Welt. Er lebt als Homosexueller in Paris ein selbstbestimmtes Leben und hat auf den ersten Blick keinerlei Berührungspunkte mehr mit seiner Herkunft. Eribon schreibt sehr offen über Stolz und Scham und über die Melancholie, die aus einem "gespaltenen Habitus" (Bourdieu!) resultieren.

Das Jonglieren zwischen den Welten in der Kindheit und Jugend, die Fremdheit, die man auf der Universität spürt, die Selbstzweifel und die Entfremdung – das alles kostet enorme Kraft, die andere so nicht aufbringen müssen. Diese Kollateralschäden des sozialen Aufstiegs begleiten die "Aufsteiger" durchs Leben. Sie sind gleichzeitig eine Kraftquelle und ein Hemmschuh. (Olivera Stajić, 16.7.2019)