Im Gastkommentar macht Kulturwissenschafter Christoph Landerer deutlich, dass die Liste Jetzt ihren Wahlkampf erneut bei der Stunde null beginnt.

Für einen Nachruf zu Lebzeiten ist es zu früh. Politik ist eine Angelegenheit mit wenig Kontinuität, die relevanten Ereignisse in einem Zeitraum von mehr als zehn Wochen sind nicht prognostizierbar. Dennoch ist die Liste Jetzt in keiner beneidenswerten Position. Aber wie kommt es überhaupt, dass die Partei von Peter Pilz, den aktuellen Prognosen nach, in weniger als zwei Jahren ganze drei von vier Wählern verloren hat, und das noch dazu als Oppositionspartei?

Ebenso wie bei ihrem aktuellen Neustart ist die Liste Pilz im Juli 2017 ein Produkt der Eile. Für Profilbildung hat die junge Partei keine Zeit; Pilz bemüht sich um kompetente Kandidaten, deren breites thematisches Spektrum definiert das Programm. Aber die als Provisorium wahrgenommene Situation ist keines, sondern die Endausbaustufe des politischen Projekts. Die Liste Pilz will nicht mehr sein als ein Parlamentsklub und überhaupt ein Klub freier Geister, ohne Klubzwang, ohne echte Parteistrukturen, ja selbst ohne eigentliches Programm. Die parallel daneben bestehende Partei hält sie sich als Melkkuh, für die Verwendung dieser Gelder gibt es keine klaren Pläne. Die Liste hat zu diesem Zeitpunkt vier Mitglieder – jene Mindestzahl, die sich aus den Bestimmungen des Parteiengesetzes ergibt.

Zwei-Firmen-Theorie

Das Vorgehen ist ungewöhnlich – der einzige Präzedenzfall ist die Sechs-Mitglieder-Partei der Liste Stronach in ihrer Frühphase -, aber nicht im strengen Sinn illegitim, die Begründung nicht völlig unverständlich: Tatsächlich wird das politische Leben der Republik von Parteiapparaten dominiert, die die Idee des freien Mandats untergraben und damit die eigentliche Grundlage des Parlamentarismus schwächen. Doch die Liste Pilz entwickelt keine alternative politische Konzeption. Stattdessen legt sie sich eine Zwei-Firmen-Theorie zurecht, die so kompliziert ist, dass man sie wahrscheinlich selbst den eigenen Mandataren erklären musste.

Klub und Partei werden penibel getrennt, aber der Klub sichert sich (jedenfalls bis zur Statutenreform im Mai letzten Jahres) ein Durchgriffsrecht auf die Partei. Ein Antrag auf Mitgliedschaft in der Partei ist formell möglich, doch nach Aussagen von Pilz ist sie ein "closed shop" (Hubert Sickinger) – und damit das elitärste politische Projekt Österreichs. Kaum ein Klubmitglied ist zugleich Mitglied der Partei. Im Konflikt mit Martha Bißmann treten Mandatare in die Partei ein, kurz danach wieder aus; kein Wähler ist in der Lage, diese Vorgänge auch nur annähernd zu verstehen.

Die Neuregelung der Parteienfinanzierung begründet Peter Pilz launig mit dem Ziel, die "Wurstroute" zu schließen. Ob seine Partei bei der Wahl im September die Vier-Prozent-Hürde schaffen wird, ist allerdings offen. Umfragen zufolge geht's um die Wurst.
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Dürrer "Wertekatalog"

Ein Programmprozess wird vermieden. Zuletzt hatte der Klub ausgearbeitete "programmatische Leitlinien" für die parlamentarische Arbeit, die Partei dagegen nur einen dürren siebzehnsätzigen "Wertekatalog". Da allerdings diese – und nicht der Klub – im September zur Wahl antritt und der Klub selbst zudem zerfallen ist, verfügt die Liste Jetzt aktuell über kein Programm.

An der Partei selbst ist aber ohnehin niemand im Parlamentsklub der Liste wirklich interessiert. Irgendwann im Lauf des letzten Jahres wird sie (nach dem Versiegen privater Spendenquellen) als Mittel genutzt, um den vom Mandat getrennten Parteivorsitz von Pilz zu finanzieren. Mit dessen Rücktritt vom Rücktritt beginnt schließlich eine medial äußerst nachteilige Reise nach Jerusalem um das fehlende Mandat.

Mit Personalia im Gespräch

Da der Parteivorsitz mit einem Abgeordnetenbezug verbunden ist, wird er als Verschubmasse eingesetzt, erst Bißmann, dann Maria Stern angeboten; die Umfragewerte der Partei gehen nach unten. Der letzte medienwirksame Akt ist die halbherzige, aus der Partei selbst ausgelagerte Unterstützung von Johannes Voggenhuber bei der Europawahl mit desaströsem Ergebnis. Sie konsolidiert die Prognosen der nunmehrigen Liste Jetzt bei einem Prozent.

Da Jetzt vor allem mit ungeschickten Weichenstellungen und mit Personalia im Gespräch ist, kann die Liste ihre Trümpfe nicht ausspielen: Dazu zählen Ausschussarbeit, Sachpolitik – und vor allem der Umstand, dass sie als wahrscheinlich einzige österreichische Partei gänzlich auf jene Hinterbänkler verzichtet, die die österreichischen Parteiapparate als Platzhalter und Durchlaufposten in die politischen Vertretungskörper entsenden.

Kein stimmiges Profil

Aber sie nutzt ihre Zeit nicht, sich ein stimmiges Profil zu geben; die verschiedenen thematischen und sachpolitischen Stränge ergeben in der Innenwahrnehmung der Mandatare wohl ein Ganzes, doch der Wähler ist kaum in der Lage, sie in eine unverwechselbare Marke zu integrieren. Die Liste Jetzt steht für Kontrolle, sie ist sachpolitisch irgendwie links, in der Person ihres Gründers nicht frei von populistischen Anwandlungen und will im Grunde gar nicht mehr sein als Opposition. Auch diese Ansage dürfte in Zeiten eines verschärften Lagerwahlkampfes nicht nur vorteilhaft sein.

Die Liste Jetzt hatte Startschwierigkeiten, die vorgezogene Neuwahl reduziert den Planungshorizont auf dramatische Weise. Hätte sie von Anfang an auf dieses Ziel hingearbeitet, dann hätte sie sich zu einer pragmatischen, thematisch wendigen Linkspartei entwickeln und damit ein im Verhältnis zur SPÖ ähnlich gelagertes politisches Angebot schaffen können, wie es etwa die Neos in ihrer ideologischen Beziehung zur ÖVP sind. Doch diese Chance wurde verpasst, und wieder fehlt die Zeit.

Personen als Programm

Pilz setzt, wie bereits 2017, auf Personen als Programm – hier Tierschutz, dort Asylrecht und Wahlreform, daneben die klassischen Themen Soziales und Kontrolle. Das könnte sogar für den Einzug reichen, zumindest ist ein solcher nicht ausgeschlossen. Aber damit es nicht weitergeht wie bisher, muss die Liste Jetzt nachholen, was sie nicht geleistet hat, und das möglichst noch während der Wahlauseinandersetzung. Nach zwei Jahren bei der Stunde null zu beginnen ist keine erstrebenswerte Perspektive. (Christoph Landerer, 16.7.2019)