Eine Jahreskarte für die Berliner Öffis soll nur mehr einen Euro pro Tag kosten. Das günstigste Jahresticket kommt derzeit auf 761 Euro.

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In den letzten Jahren konnte der Anteil des öffentlichen Verkehrs in Wien beim Modal Split nicht erhöht werden: Der Wert hat sich seit 2012 kaum verändert, er stagniert bei 38 Prozent.

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Um sein persönliches Fortkommen auf Berlins Straßen muss sich Michael Müller (SPD) keine Gedanken machen. Ihm steht als Regierendem Bürgermeister natürlich ein Dienstwagen zu. Doch die Berliner und Berlinerinnen würde er gern verstärkt in den öffentlichen Verkehrsmitteln sehen.

Im Blick hat Müller dabei das 365-Euro-Jahresticket, das es in Wien bereits seit 2012 gibt. Das will er in der deutschen Hauptstadt auch einführen. "Ich glaube, dass es ein realistisches und ein machbares Ziel ist. Das bestätigen auch viele positive Reaktionen", sagt er. Einen entsprechenden Beschluss der Berliner SPD gibt es schon seit November 2018.

Günstigstes Jahresticket in Berlin derzeit 761 Euro

Für all jene, die ein Jahresticket der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) nutzen, wäre es eine deutliche Ersparnis. Das günstigste Ticket kostet derzeit 761 Euro. Die Differenz ist also ziemlich groß, daher schlägt Müller viel Skepsis entgegen. Der grüne Koalitionspartner verweist darauf, dass "noch nicht geklärt ist, wie die Verkehrsbetriebe ihre drastischen Einnahmeeinbußen dann decken sollen".

Auch die Verkehrsbetriebe selbst zeigen sich zurückhaltend. "Klar, das ist eine schöne Idee. Die kann unser Eigentümer, das Land Berlin, treffen. Aber die Einnahmenausfälle müssen finanziert werden. Die BVG kann das nicht stemmen", sagt die Sprecherin der BVG, Petra Nelken.

Berliner Medien schreiben von einem Loch von 270 Millionen Euro, das sich jährlich auftun würde. 170 davon bräuchte die BVG, 100 die S-Bahn, die der Deutschen Bahn gehört. Und dass es eigentlich in Berlin und Brandenburg Pläne gibt, ab 2020 die Ticketpreise zu erhöhen. Für das 365-Euro-Ticket sprechen sich die Linken aus, die ebenfalls in der Koalition sitzen und eigentlich den Nahverkehr zum Nulltarif anbieten wollen. Sie finden, wie Müller, der Bund solle sich finanziell beteiligen. Schließlich sei ein stärker genutzter Nahverkehr auch ein Beitrag zum Klimaschutz.

In Bonn und in Reutlingen (Baden-Württemberg) laufen derzeit Tests mit 365-Euro-Tickets, auch Leipzig zieht dies in Erwägung.

365-Euro-Ticket in Wien seit 2012

In Wien gilt das von Rot-Grün vor siebeneinhalb Jahren eingeführte Ticket als Erfolgsmodell: Aktuell besitzen laut Wiener Linien 822.000 Personen eine solche Karte, knapp mehr als 700.000 davon sind Wienerinnen und Wiener. Bei insgesamt 1,9 Millionen Einwohnern in der Stadt ist das ein imposanter Wert. Zum Vergleich: 2011, im letzten Jahr vor der Tarifreform, wurden 363.000 Jahrestickets verkauft. Der reguläre Preis betrug damals 449 Euro.

Die 365 Euro für das Wiener Jahresticket gelten nur bei Einmalzahlung im Voraus. Bei monatlicher Abbuchung sind aktuell 396 Euro pro Jahr fällig. Aber auch diese Karte ist um mehr als 50 Euro günstiger als 2011 – und das trotz eines größeren Öffi-Netzes.

Im Vorjahr haben die Wiener Linien 966 Millionen Fahrgäste gezählt. Bis 2020 soll laut dem städtischen Unternehmen die Marke von einer Milliarde Fahrgäste geknackt werden. Ein optimistisches Ziel, denn in den letzten Jahren konnte der Anteil des öffentlichen Verkehrs beim Modal Split nicht erhöht werden: Der Wert hat sich seit 2012 kaum verändert, er stagniert bei 38 Prozent.

680 Millionen Euro Zuschuss durch öffentliche Hand

Das Öffi-Angebot lässt sich die Stadt Wien einiges an Steuergeld kosten: Für den laufenden Betrieb steuert Wien 40 Prozent der Kosten bei: 2018 waren das 327,4 Millionen Euro. 60 Prozent des Betriebs werden von den Erlösen der Wiener Linien finanziert. Ohne Zuschüsse müsste laut der Stadt das Jahresticket das Doppelte kosten, um kostendeckend wirtschaften zu können.

Der Investitionskostenzuschuss betrug 216,7 Millionen Euro. Dazu kommen die Kosten für den U-Bahn-Ausbau, die sich Bund und Stadt teilen: 2018 waren es 136,8 Millionen Euro. Die öffentliche Hand steuerte also allein im Vorjahr 680 Millionen Euro bei. (Birgit Baumann, David Krutzler, 15.7.2019)