Kein klarer Ausblick: China steckt im Handelskrieg und sitzt auf einem Schuldenberg, gleichzeitig wollen Millionen Uniabsolventen einen Job.

APA / Johannes Eisele

Im letzten Jahr des Schweins lief Chinas Wirtschaft noch saugut: 2007, vor dem weltweiten Finanzcrash, vermeldete Peking Wachstumsraten von über 14 Prozent. Zwölf Jahre später haben sich die Raten mehr als halbiert. Im zweiten Quartal dieses Jahres wuchs das Bruttosozialprodukt (BIP) mit 6,2 Prozent, wie das Statistikamt am Montag mitteilte. Das ist zwar immer noch beachtlich, aber der niedrigste Wert seit knapp drei Jahrzehnten.

Als Hauptursache gilt der Handelskrieg mit den USA. Schließlich geht der Wachstumsrückgang mit einem noch deutlicheren Einknicken im Außenhandel einher. Allein im Juni – nachdem der Großteil der US-Strafzölle in Kraft trat – sanken die Exporte um vier Prozent.

Vor diesem Hintergrund twitterte Trump am Montag: "Deshalb will China mit den USA ins Geschäft kommen, und es wünschte, es hätte in erster Linie die ursprüngliche Vereinbarung nicht gebrochen." Die US-Zölle hätten einen "Haupteffekt" auf die Konjunktur in der Volksrepublik gehabt. Zugleich drohte der US-Präsident China, womöglich werde noch "viel mehr" kommen.

Aber das niedrigste Wachstum seit Jahrzehnten verzeichnet das Land seit mindestens fünf Jahren (siehe Grafik), also schon lange vor Trumps Strafzöllen.

Steckt hinter dieser Entwicklung ein strukturelles Problem, das womöglich die Keimzelle der nächsten globalen Krise birgt? Oder hat die bevölkerungsmäßig größte Volkswirtschaft der Welt ein Wohlstandsniveau erreicht, auf dem die niedrig hängenden Früchte des Wachstums geerntet wurden und nun so eine Art Normalität der Wirtschaftsdynamik einkehrt? Beobachter sind sich uneins über das Risiko einer Bruchlandung. Klar ist, mit welchen Gefahren China und damit der Rest der Welt konfrontiert ist.

Mögliche Schuldenfalle

Ökonomen am Kieler Institut für Weltwirtschaft haben jüngst berechnet, dass Chinas Rolle als weltweiter Gläubiger in offiziellen Statistiken massiv unterschätzt werde. Ausstehende Verbindlichkeiten seien in Wahrheit doppelt so hoch. Peking agiert vor allem als Kreditgeber in der Dritten Welt. Strenge Konditionen eröffnen Peking zwar mehr Rechte, auf lokale Ressourcen zuzugreifen, aber die Verflechtung exponiert die Volksrepublik in zahlreichen, durchaus volatilen Märkten. Weil die Auslandskredite de facto staatlich und intransparent vergeben werden, können Ratingagenturen sie auch nicht in ihren Bonitätsprüfungen berücksichtigen. Hier lauert zumindest ein Unsicherheitsfaktor, der im Krisenfall wie ein Verstärker wirken könnte.

Gleichzeitig sitzen Chinesen auf einem Schuldenberg, der laut Bloomberg auf 271 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen ist – von 164 Prozent vor 2008. Vor allem die staatsnahen Großkonzerne stehen tief in der Kreide. Zwar sind ihre Gläubiger wiederum staatsnahe Banken und nicht internationale Geldgeber, aber die mit Krediten aufrechterhaltenen, meist ineffizienten Konzerne lähmen die Wirtschaft, während sich private Unternehmen mit Investitionen zurückhalten.

"Peking hat das Problem vor zwei Jahren erkannt und gegengesteuert", sagt Max J. Zenglein vom Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics) im Gespräch mit dem STANDARD. Er ist tendenziell optimistisch: "Es gibt keine Anzeichen für einen drohenden China-Crash." Die Schwierigkeit liege eher darin, dass Pekings Konjunkturprogramme nicht mehr so effektiv seien wie früher.

Weniger Löschwasser

Nach der Finanzkrise wurde massiv Geld in Infrastruktur wie Hochgeschwindigkeitszüge und Flughäfen gesteckt. Diese sind nun in Betrieb, so viele ähnlich produktive Projekte gibt es nicht mehr. Darum versucht Peking nun über Steuer- und Abgabensenkungen private Unternehmen zu Investitionen anzuregen. Bisher mit wenig Erfolg, sagt Zenglein. Obwohl der Handelskrieg mit den USA schmerzt, blickt Peking vor allem nach innen.

Mehr als acht Millionen Menschen im Jahr (Rekordabsolventenzahl) strömen von Chinas Unis auf den Arbeitsmarkt. "Früher ist ein Wanderarbeiter, der seinen Job auf dem Bau verloren hat, in sein Dorf zurückgekehrt." Der neue Mittelstand hat ganz andere Erwartungen. Der Staat will sie erfüllen. Dabei gibt es eines zu bedenken, sagt Zenglein: Im Jahr 2021 feiert die Kommunistische Partei ihr 100-Jahr-Jubiläum. Die Regierung werde alle Hebel umlegen, damit ein Abschwung nicht damit zusammenfällt. (Leopold Stefan, 15.7.2019)