Ohne eine begleitende, große Informationskampagne inklusive elektronische Impfregister seitens der Gesundheitspolitik, ist der Erfolg von verpflichtenden Maßnahmen äußerst unsicher", sagt Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien.

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Wien – Im Zuge der diesjährigen Masernausbrüche in Österreich ist – auch von der Österreichischen Ärztekammer – eine Impfpflicht für die im Impfplan empfohlenen Immunisierungen gefordert worden. Wiener Expertinnen plädieren in einem Editorial von "Eurosurveillance" hingegen für eine differenzierte Vorgehensweise. Eine Impfpflicht sollte an die jeweilige Situation im jeweiligen Land angepasst werden.

"Man kann zum Beispiel eine Impfpflicht regional und temporär und nur für die jeweilige Zielpopulation, in der die größten Impflücken vorliegen, einführen, wenn es zu einem Krankheitsausbruch kommt – zum Beispiel bei Masern", sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie der MedUni Wien. Sie hat gemeinsam mit der Wiener Virologin Heidemarie Holzmann eine Übersicht über die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern mit Impfpflichten geschrieben. Unumgänglich im internationalen Konsens ist, dass "Angehörige des Gesundheitswesens verpflichtet sein sollten, die empfohlenen Impfungen zu absolvieren", betont Wiedermann-Schmidt.

Vor allem die Masernproblematik in Europa hätte in mehreren Staaten zu intensiven Debatten über die Einführung genereller Impf-Verpflichtungen geführt, schreiben die Expertinnen. Befürwortern stünden Experten gegenüber, die ein Erstarken von radikalen Impfgegnern durch solche Maßnahmen befürchten würden.

Pflicht und Empfehlung

"Verpflichtende Impfungen können unterschiedliche Strategien verfolgen – abgängig vom sozialen und kulturellen Hintergrund eines Landes oder auch von der epidemiologischen Situation", schreiben Ursula Wiedermann-Schmidt und Heidemarie Holzmann.

Aus Frankreich liegt ein Beispiel vor, bei dem es zunächst nur drei "Pflicht-Immunisierungen" gegen Diphtherie, Tetanus und Polio gab. Empfohlen wurden die Impfungen gegen MMR (Masern-Mumpfs-Röteln), Keuchhusten, Streptokokkus pneumoniae, Hepatitis B, bakterieller Meningitis (MenC) und Haemophilus influenzae bei Kindern.

"Die Unterscheidung von verpflichtenden und empfohlenen Impfungen führte aber dazu, dass die empfohlenen offenbar als weniger wichtig angesehen wurden. Das brachte nicht ausreichenden Impfschutz. Dieser wachsende Widerstand und Masernausbrüche in Frankreich führte dazu, dass man in Frankreich die Impfpflicht für Kinder auf alle diese elf Impfungen ausdehnte", erklärt Ursula Wiedermann-Schmidt. Die vermehrten MenC-Impfungen hätten dabei bereits zu einem Rückgang der Zahl der Fälle von invasiven Meningkokokken-Erkrankungen in Frankreich geführt.

Aufklärungsarbeit notwendig

Die Gründe für die Einführung der Impfpflicht in Frankreich hatte Daniel Levy-Bruhl, Experte von der französischen Behörde für öffentliche Gesundheit im April dieses Jahres bei einem internationalen Impfsymposium in Wien geäußert. "Bei uns in Frankreich war das eine ganz pragmatische Entscheidung", sagte der Experte.

Es gab laut dem Fachmann zumindest Teilerfolge: "Im Vergleich zu 2017 (vor dem Programm; Anm.) ist bei uns beispielsweise die Durchimpfungsrate gegen die Meningokokken von 34 auf 76 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen." Für eine Beurteilung der Situation bei den Masern sei es noch zu früh. Doch besonders interessant ist, dass auch die Durchimpfungsraten für Impfungen wie HPV, die nach wie vor nicht verpflichtend sind, deutlich gestiegen sind. Levy-Bruhl erklärte weiters, dass die Annahme der Impfpflicht in der Bevölkerung deshalb gelungen ist, weil der Staat viele Ressourcen in eine verbesserte Aufklärung, wie etwa eine Website des Gesundheitsministeriums, an die sich die Bevölkerung mit Fragen direkt wenden können, gesteckt hat.

Weiterhin Widerstand in Italien

Eine ähnliche Situation war in Italien, wo es ebenso seit vielen Jahren verpflichtende Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie und Polio gab, bevor 2017 aufgrund der großen Masernausbrüche das verpflichtende Impfprogramm auf zehn Impfungen erweitert wurde. "Kinder können ohne Impfungen nicht in Krabbelstuben, Kindergärten und Schulen. Darüber hinaus gibt es finanzielle Sanktionen für die Eltern oder Betreuenden bei Kindern im Alter zwischen sechs und 16 Jahren, wenn sie den Impfpflichten nicht nachkommen", schreiben Ursula Wiedermann-Schmidt und Heidemarie Holzmann in ihrem Editorial.

"Innerhalb von zwei Jahren kam es zu einer Steigerung der Durchimpfungsraten um drei bis sieben Prozent. Bei den Masern wurde innerhalb dieses Zeitraums die geforderte Durchimpfungsrate von 95 Prozent (zwei Impfungen; Anm.) fast erreicht. Aber es gibt trotzdem noch heftige Diskussionen über diese Maßnahmen in bestimmten Regionen, welche die jetzige Regierung in Italien über Einschränkung der Impfpflicht nur gegen Masern diskutieren lässt", so die Wiener Vakzinologin.

Es hänge also von den jeweiligen Umständen eines Landes ab, ob, wann und bei wem das Verhängen einer Impfpflicht sinnvoll und durchführbar ist. "Ohne eine begleitende, große Informationskampagne inklusive elektronische Impfregister seitens der Gesundheitspolitik, ist der Erfolg von verpflichtenden Maßnahmen äußerst unsicher – das gilt aber nicht für das Gesundheitspersonal wo der Schutz der Patienten und das Allgemeinwohl zweifelsfrei über dem individuellen Entscheidungsrecht steht ", betont Ursula Wiedermann-Schmidt. (APA, 16.7.2019)