Am Meidlinger Markt konnte man schon bisher gut essen, jetzt kocht hier auch eine der besten Köchinnen des Landes.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalbsbutterschnitzel mit gebratenen Erdäpfel und Kohlrabi-Rahm-Salat

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es sind die mit Abstand mächtigsten Standeln am Meidlinger Markt, die Bauunternehmer Hans Jörg Ulreich da in den vergangenen Monaten hergestellt hat. Im Vergleich zu den bescheidenen Hütten, die hier sonst für gutes Essen sorgen (allen voran natürlich das zum Schreien köstliche Saigon Bistro), wirken sie fast ein bissl überdimensioniert. Andererseits müssen bei so einem Neubau halt ganz andere Auflagen betreffend Lüftung, Isolierung etc. eingehalten werden, als das früher der Fall war. Und dass eine Köchin von Rang wie Heidi Neuländtner eine ordentliche Küche braucht, wenn man sie schon aus den Sphären der feinen Küche nach Meidling locken will, versteht sich auch.

In einem Standl wird gekocht und gegessen, im anderen sind neben dem Kühlhaus eine Vinothek und ein großer Gemeinschaftstisch für zwölf Personen untergebracht. Heidi Neuländtner hat schon in Kalifornien gekocht, sie war Küchenchefin in der Blauen Gans in Salzburg und im Knappenhof in Reichenau, vor allem aber war sie im Badeschiff über Jahre die rechte Hand von Großmeister Christian Petz. Dass die Frau die Wiener Küche mit Finesse und Aktualität zu erfüllen weiß, wie es sich etliche, auch hochdekorierte Kollegen nur wünschen dürfen, kann man seit ein paar Wochen hier erleben – und zu mehr als demokratischen Preisen noch dazu.

Wiener Küche mit scharf

Geeiste Joghurt-Gurken-Suppe um vier Euro ist so ein Fall: Die nominell bescheidene Suppe wird unter Neuländtners kundiger Hand zu einem vielschichtigen, geradezu explosiv frischen Tonikum, bei dem sich feine, prickelnde Säure und souveräne Würzung die Hand geben – fantastisches Zeug, in diesem Sommer schon gar. Der Meidlinger Markt ist seit Jahrzehnten migrantisch geprägt, die große Köchin hat das offenbar als Aufforderung verstanden, sich in bester Wiener Küchentradition von den Gewürzen der Nachbarn inspirieren zu lassen.

Bei der Gurkensuppe ist es nur ein Hauch Harissa. Beim lauwarmen Kalbskopf auf zwei Arten, einer schwebend leichtfüßigen Kreation, geht Neuländtner einen Schritt weiter: Die Kernölemulsion, die den saftigen, aller Derbheit entledigten Kalbskopf umspielt, ist markant mit Kreuzkümmel gewürzt. Dazu legt Neuländtner einen knusprig saftigen Börek vom Kalbskopf, bei dem sich die Herrlichkeit der türkischen und der Wiener Küche vergnügt die Hand geben – so soll zeitgemäße Hauptstadtküche schmecken.

Türkisch Schnitz

Oder das Kalbsbutterschnitzel: ein Monument von einem klassisch wienerischen Butterschnitzel, bei aller Feinheit von fleischiger Kraft (und nicht etwa die anderswo gepflogene, mit endlos aufgeweichten Semmeln ins Cremige gestreckte Variante), mit satt buttrigem Natursaftl – und mit ein paar knusprigen Zwiebeln, denen Neuländtner mittels Sumach kecke Leichtigkeit verpasst. Auf Püree wird wegen der Sommerhitze verzichtet, stattdessen gibt es ein paar gebratene Erdäpfel und kühlen, knackigen Kohlrabi-Rahm-Salat dazu (siehe Bild).

Manches, wie die fantastisch knusprigen Innviertler Grammelknödel in hauchdünnem Mehlteig mit Speckkrautsalat, darf unrenoviert bleiben. Und bei anderem, etwa dem Marillen-Marzipan-Strudel, bei dem fruchtige Säure und süßer Schmelz eine hinreißende Liaison eingehen, sind die fremdländischen Anleihen, mittels derer die Wiener Küche zu ihrer Größe fand, schon so lange her, dass man sie gar nicht mehr durchdeklinieren braucht. Aber zu Neuländtner essen gehen und merken, wie toll Wien inzwischen schmecken kann – das sollte man schleunigst tun. (Severin Corti, 19.7.2019)