Cindy Sherman lädt zum Baden ein. Die amerikanische Künstlerin, deren außergewöhnliche Fotos nicht nur dem New Yorker Museum of modern Art eine Retrospektive Wert war, bietet Platz zum Planschen. Auf einer silbermetallicfarbenen Luftmatratze, die einem Smartphone ähnelt, zeigt sich die Fotografin mit einem digital bearbeiteten, stark verzerrten Selfie.

Luftmatratzen sind mittlerweile Galerie und Laufsteg zugleich, Angeberteil und nicht mehr nur dazu da, oberflächlich zu plätschern. Die schwimmende Matratze zeigt mitunter ein persönliches Profil in der analogen Wasserwelt. Da können fantasiebegabte Tierliebhaber aus einem enormen Sortiment wählen, um auf der Float-Welle mitzuschwimmen. Längst blickt der alternde Schwimmring vom Beckenrand verschämt auf gigantische Flamingos, Einhörner oder Hummer.

Luftmatratzen folgen den Trends und setzen selbst Zeichen. Einst halfen sonnengleißende Urlaubsfotos mit aufgeblasenen Einhörnern in den sozialen Medien dem Märchentier nicht nur im Internet zum internationalen Durchbruch als Duschgel-, Schokoriegel- oder Kopfkissenbezugfigur. Die glänzende Karriere der Gehörnten geht goldig weiter.

Von Einhorn bis Ananas: Luftmatratzen unterliegen Trends.
Foto: apa/keystone

Viel heiße Luft

Konnte ein Mann früher leicht zeigen, was für ein toller Kerl er ist, indem er die Luftmatratze für die Liebste mit dem Mund aufblies, brauchte er jetzt bei den ausladenden Badelandschaften, gerne Pool-Floats genannt, mindestens eine Doppelhubkolbenpumpe, was weit weniger Eindruck schindet. Als Krönung des grellen Badekitsches bietet sich eine goldbronzene Gummikrone an, ein Kussmund als treibendes Dating-Portal, manch Pfau soll schon auf dem gleichnamigen Tier gesehen worden sein.

Die Idee für die Luftmatratze entstand bereits im ausgehenden Mittelalter. Ein Mann, der allerlei modernste Kriegstechnik erdachte, wollte für seine Kämpfer eine Schwimmhilfe zum Überwinden von Flüssen. Der Entwurf zeigt ein luftgefülltes Kissen mit vier Ecken, drei davon so fest verschnürt, dass sie dicht waren und nichts entweichen konnte. In den vierten Winkel pumpte ein Blasebalg die Luft. Das war eine feine Vorstellung, allein es brauchte noch fast 500 Jahre, bis Ende des 19. Jahrhunderts das erste luftgefüllte Ding mit Latexhaut auf dem Wasser schwimmen konnte.

Erste Tests

Zuvor heißt es noch in Ben Johnsons Stück The Alchemist aus dem Jahre 1610: "Ich möchte alle meine Betten aufgeblasen und nicht gestopft haben." Der Wunsch war verständlich – denn gestopft waren Matratzen damals mit organischen Materialien wie Stroh, Laub, Tannennadeln oder Schilf, was sie zu exzellenten Schimmel- und Wanzenburgen machte. Die ersten aufblasbaren Boote moderner Prägung dienten dann allerdings militärischen Zwecken: 1839 testete der Duke of Wellington den ersten aufblasbaren Ponton, kurz darauf entwarf der Engländer Thomas Hancock aufblasbare Schiffe. Er beschrieb sie später in seinem Buch The Origin and Progress of India Rubber Manufacture in England.

1839 entdeckte der Amerikaner Charles Goodyear zwar die Vulkanisation und konnte aus dem spröd und klebrig schwankenden Kautschuk elastischen, haltbaren Gummi machen, doch dauerte es noch circa 30 Jahre länger, bis man die Segnung des neuen Materials wirklich erkannte.

Chipstüte oder Donut

Der Chirurg Benjamin Franklin Goodrich war es, der die Erfindung an Frau und Mann brachte: als Erstes in Form des Feuerwehrschlauchs aus gummierter Baumwolle. Dann verging vergleichsweise wenig Zeit, bis die Luftkissen beim Planschen im Pool auch zur Präsentationsplattform für hippe Partygirls und aufgeblasene Typen dienten, die sich auch in kulinarische Gefilde treiben lassen.

Nicht mit vollem Magen ins Wasser, diese wohlgemeinte Mahnung gilt für Matratzen nicht. Fett schwimmt oben. Wer will, legt sich auf überdimensionale Chipstüten, Donuts oder auf eine Portion Pommes – in einer verdächtig werberelevanten roten Box. Gut macht sich in der Fressalien-Show eine Pizza, entweder als dreieckiges Einzelstück oder als rundes Ganzes mit Oliven, Champignons und Salami, inklusive eingebauten Getränkehalters. Darauf eine aufgeblähte Flasche Sauvignon Blanc, oder es gibt zum ordentlichen Nachspülen auf Ex das aufgepustete Plastikpils mit Superschaumkrone.

Luftmatratzen gibt es von brav-bieder bis geschmacklos.
Foto: Rechte: Getty Images/iStockphoto/ PeskyMonkey

Geschmacklos

Andere produzieren heiße Luft leicht bis schwer geschmacklos. So ist der Kothaufen zwar eines der meist gesendeten Emojis der Social-Media-Messages, als Relaxlager in aufgeblähter Form bleibt er eine verzichtbare Geschmacklosigkeit. Zwei kanadische Designer wiederum kamen auf die Idee, einen pinken aufblasbaren Sarg samt passendem Deckel zu entwerfen. Ein makaberes Kunstobjekt.

Jetzt halt aber mal die Luft an, möchte man den Posern auf den Plastikinseln zurufen. Nichts scheint mehr zu peinlich für die schwimmende Selbstdarstellung, für die Präsentations-Show auf dem Wasser. Ist ja auch psychologisch toll, sich auf so einer pompösen Plattform zu zeigen, da verschwimmen manchen Unzulänglichkeiten ganz von selbst, lange nachdem die alte gummierte Luftmatratze auch als Campingplatzutensil und Gästebett herhielt. Heute zeigen sich luftbefüllte Gummihäute auch weniger aufgebläht als Windeltaschen, Hüllen für Laptops oder Tablets. In Erfurt fertigt der Upcypling-Designer Thomas Heer aus ihnen Etuis und Portemonnaies.

Selbst DJs stehen auf Luftmatratzen: Paul-David Rollmann war vor seinen ersten Gigs auf der Suche nach einer idealen Tragetasche für die Vinylplatten. Der Musiker fand "ein nachhaltiges und stabiles Material, meist noch mit guten Erinnerungen behaftet", wie er über den Werkstoff Luftmatratze sagt. Die "classic 12Inch" für das klassische Album war sein erstes Modell. Später folgten "10Inch" und "7Inch". Die Luftmatratze ist auch quadratisch praktisch – und auch hier voll auf der Welle. Man sieht, die Luftmatratze ist weit mehr als ein Behältnis für heiße Luft, das nur einen natürlichen Feind kennt – alles, was spitz ist.

(RONDO, 23.7. Oliver Zelt & Caroline Wesner)