Einer der Letzten seiner Art: der Feuilletonist Claudius Seidl.

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Feuilleton. Ist das nicht etwas fürs Pressemuseum? Für Zeitungsarchive? Oder für Seminare in kommunikationswissenschaftlichen Studiengängen, wenn sich Erst- oder Zweitsemestrige über Texte beugen, deren Form antiquiert ist?

Feuilleton ist ein antiquarisches Genre. Historische Namen fallen einem da ein, Heine und Börne, Walter Benjamin, Kurt Tucholsky, eventuell Felix Salten – oder vielleicht der mutmaßlich letzte Vertreter dieser Zwitterform zwischen Journalismus und Literatur: Heinz Knobloch aus Berlin-Ost. Einer der vielen Bände des 2003 verstorbenen Autors trug denn auch den programmatisch feinen Titel Die schönen Umwege.

35 Texte hat nun der Journalist Claudius Seidl, der im Juni seinen sechzigsten Geburtstag feierte, in einem Buch versammelt. Es besteht aus Feuilletons der letzten zehn Jahre, darunter ein zwar nicht peinliches, doch reichlich überflüssiges, das er wenige Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schrieb. Die Themen? Weit gefasst. Sie reichen von der Führerscheinprüfung, die er mit 50 macht, übers Rauchen bis zu Multikulturalismus, Einwanderung, Konsumieren und Film.

Kolumnistenclowns

Man realisiert deutlich, dass Seidl, der in den späten 1970er- Jahren nach München kam, diese Stadt auf dem hedonistischen Höhepunkt erlebte und als Filmkritiker begleitete. Er bildete in der Süddeutschen Zeitung mit Michael Althen und Fritz Göttler eine legendäre Jungtürken-Kritikergruppe. Dann ging er zum Spiegel, bevor er zur Süddeutschen zurückkehrte, um seit 2001 dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin vorzustehen.

In nicht wenigen Texten fällt auf, dass der Satzbau leicht verschachtelt ist. Und dass sich dies einer bewusst intellektuellen Anstrengung verdankt, Bildung und Wissen zu platzieren. Nicht selten ist, was er schreibt, klug, und man streicht es sich an. Dann wiederum arbeitet er sich an Kolumnistenclowns wie Henryk Broder ab oder bringt nicht ganz Unbanales zu Papier.

Erst wenn Seidl einnehmend autobiografisch eingefärbt über Film und dessen Magie schreibt, beginnen seine Sätze zu leuchten. So ist denn auch das schönste Feuilleton jenes über John Wayne; über die zwei Hommagen an Quentin Tarantino lässt sich wie über anderes trefflich streiten.

Nahezu klassisch

Wenig schlüssig bis rätselaufgebend mutet die dramaturgische Reihenfolge an. Sie ist weder thematisch noch chronologisch. Dass der Film durch den ersten und den letzten Text eine Klammer bildet, leuchtet noch ein, da naheliegend. Selten allerdings hat man in jüngerer Zeit einen solch missratenen Umschlag gesehen. Es soll wohl "nahezu klassisch" wirken, eine alte Zeitungsseite zu imitieren. Das "nahezu klassisch", also haarscharf vorbei, bezieht sich im Inneren zudem darauf, dass Fremdsprachiges, bevorzugt in französischer Sprache, durchweg falsch geschrieben wird. (Alexander Kluy, 17.7. 2019)