Vor der ersten globalen Überprüfung des Fortschritts bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung im September in New York betont die stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen, Amina Mohammed, im Gastkommentar die Notwendigkeit, die wachsende Exklusion und Ungleichheit zu beseitigen.

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Amina Mohammed: Inklusion ist für unser Überleben wichtig.
Foto: AP/Bebeto Matthews

Unsere Welt steht vor einem entscheidenden Augenblick. Nach Jahrzehnten der relativen Stabilität steuern wir unsicheren und instabilen Zeiten entgegen. Die globale Zusammenarbeit ist rückläufig; die Wachstumsraten sind gesunken. Die Antwort mancher Länder und Regionen ist ein Blick nach innen, mit Betonung auf Spaltung und Ausgrenzung; aber dieses kurzfristige Denken vertieft nur die globalen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen.

Viele dieser Herausforderungen liegen in den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die wir über Jahrhunderte oder sogar ein Jahrtausend aufgebaut haben, basierend auf Ausschluss und Diskriminierung. Vom Kolonialismus bis zur Klimakrise erleben wir die Konsequenzen der Ausgrenzung, Intoleranz und eines Mangels an Respekt für das Unterschiedliche – und das tötet uns.

Ungleichheit steigt

Es gibt eine hohe Ungleichheit, und sie steigt weiter. Bis 2030 könnte ein Prozent der reichsten Menschen zwei Drittel des Wohlstands auf der Erde kontrollieren. Die Rechte von Minderheiten und marginalisierten Menschen, besonders von Flüchtlingen und Migranten, werden regelmäßig nicht beachtet. Mit Gewalt wird das Patriarchat durchgesetzt, und Millionen Frauen und Mädchen erleben jeden Tag Unsicherheit und Verletzungen ihrer Menschenrechte. Ausgaben für militärische Zwecke steigen an, gleichzeitig versagen Gesellschaften dabei, ihren Menschen Basisleistungen zu bieten.

Der Klimawandel richtet in manchen der meistgefährdeten Länder verheerenden Schaden an, während andere die Treibhausgasemissionen weiter erhöhen. Abholzung, Überfischung und Luftverschmutzung verursachen einen noch nie dagewesenen Schaden. Kurzfristige Profite für wenige werden gegenüber den Rechten und Interessen aller priorisiert.

Vorteile der Inklusion

Wir haben unser gemeinsames Menschsein und die gegenseitige Abhängigkeit aus den Augen verloren – für einander und für den Planeten, der uns das Leben gibt. Diese Prinzipien werden zwar über alle großen Glaubensgemeinschaften und Traditionen geteilt, aber wir haben den Bezug dazu verloren.

Vor vier Jahren kamen alle Länder zusammen und hatten sich einstimmig auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geeinigt – unser umwälzender Strategieplan für Menschen, Planeten, Wohlstand, Frieden und Partnerschaften. Die Agenda zentriert sich auf Inklusion, Pluralismus und die Rechte aller. Sie basiert auf der Evidenz, dass eine größere Diversität und Inklusion, besonders für Frauen, mit nachhaltigem Wirtschaftswachstum und besseren Perspektiven für Frieden und Stabilität korreliert. Sie fordert eine fundamentale Umstrukturierung unserer ökonomischen, politischen und sozialen Systeme, damit wir die Vorteile der Inklusion ernten können, die durch stärkere und widerstandsfähigere Gemeinschaften und Gesellschaften entstehen, basierend auf Menschenrechten und menschlicher Würde für alle.

Politischer Wille

Solch ehrgeizige Bemühungen können funktionieren, wenn sie von politischem Willen unterstützt werden. Dank multilateraler Maßnahmen ist die Lebenserwartung heute gestiegen, die extreme Armut sinkt, die Alphabetisierung ist auf einem historisch hohen Niveau, und wir flicken das Loch in der Ozonschicht. Die Millenniumsentwicklungsziele, die Vorläufer der Agenda 2030, halfen, mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut herauszuholen, gegen Hunger einzugreifen und mehr Mädchen als je zuvor in die Schulen zu bringen. Aber der Multilateralismus könnte ein Opfer seines Erfolges sein. Wir haben angefangen, dies als selbstverständlich anzusehen, anstatt es als eine sich verändernde Herausforderung zu betrachten, zu pflegen, zu fördern und neu zu beleben. Ohne multilaterale Unterstützung für inklusive Lösungen sind wir zu Verliererökonomien, zunehmender Ungleichheit und einer Klimakatastrophe verurteilt.

Die Lösungen, die wir für die Ambitionen der Agenda 2030 brauchen, zentrieren sich auf Würde, Wohlbefinden und Chancen für alle, ohne Diskriminierung. Während diese Qualitäten nicht über das Bruttoinlandsprodukt gemessen werden können, sind sie wichtige Maßnahmen für eine erfolgreiche Steuerung.

Falsches Nullsummendenken

Wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen. Inklusion verbindet überall Menschen: in Unternehmen, Schulen, Kliniken, in den Medien und in der Zivilgesellschaft. Wir brauchen eine grundlegende Umstellung in Richtung Lösungen, die auf gegenseitige Vorteile statt auf Nullsummendenken basieren; in Richtung widerstandsfähiger, inklusiver und gerechterer Gesellschaften statt mehr Waffen und dichtere Grenzen, in Richtung Wirtschaftssysteme, die ein Anreiz für die Nachhaltigkeit unseres Planeten sind und nicht auf Profite durch Ausbeutung und Zerstörung abzielen.

Inklusion kann nicht länger als ein zusätzliches oder optionales Extra dargestellt werden: Sie ist eine dringende politische und wirtschaftliche Notwendigkeit für unser eigenes Überleben und das unseres Planeten. (Amina Mohammed, 29.7.2019)