Facebook hat im Juni offiziell verkündet, seinen eigenen Token zu launchen, und zwar auf einer Blockchain-ähnlichen Infrastruktur. Was bisher nur ein Spielplatz für Geeks, Kryptoanarchisten und Spekulanten war, ist spätestens seit der Ankündigung von Facebook zu einer Massenmarkt-fähigen Technologie geworden. Wir haben uns endlich von Schlagworten wie "Blockchain" und "Smart Contracts" verabschiedet, bei denen Unternehmen und Regierungen mit Prototypen in regulatorischen "Sandboxes" experimentieren. Das Krypto-Spiel wird ernster, jetzt da Tech-Giganten wie Facebook beginnen, die Wirtschaft zu "tokenisieren". Ein Token, von vielen auch Kryptowährung genannt, repräsentiert hierbei digitale Werte oder Zugangsrechte, die über einen Smart-Contract auf einer öffentlichen Infrastruktur wie einer Blockchain verwaltet werden.

Zukünftige Schattenbank?

Facebook, das Web2-basierte soziale Netzwerk mit fast 2,4 Milliarden aktiven Nutzern, hat hiermit einen Wechsel ins Web3 angekündigt. In den Medien konnte man lesen, dass "Facebook eine Kryptowährung startet". Die Realität ist komplexer. Facebook plant die Einführung einer eigenen öffentlichen Infrastruktur, eines sogenannten "Distributed Ledger"-Netzwerks, das einem Blockchain-Netzwerk ähnlich ist. Diese Infrastruktur soll den Libra-Token verwalten, der mit der Calibra-Wallet-Software gesteuert wird. Facebook-Nutzer sollen in Zukunft Libra-Token für Online-Einkäufe und P2P-Überweisungen über diese Wallet für "niedrige bis keine" Gebühren verwenden können. Das Whitepaper zeigt, dass der Libra-Token als sogenannter Stable-Token geplant ist, der durch verschiedene Fiat-Währungen gestützt ist.

Der Libra-Token und die Infrastruktur, auf die der Token aufbaut, hat das Potential ein ernsthafter Konkurrent für Fin-Technologie-Anbieter und Kreditkartenunternehmen zu werden, die von Händlern, und somit letztendlich auch von Endkunden bis zu 2,5 Prozent oder mehr für Einkäufe berechnen. Sie könnte auch mit jenen Unternehmen konkurrieren, die Einwanderer auf der ganzen Welt nutzen, um Gelder an Freunde und Familie in ihre Heimatländer zu senden, und hierbei oftmals bis zu zehn Prozent an Gebühren verlangen. Es ist davon auszugehen, dass Facebook durch die Hintertür der Wallet-Software, mit dem die Tokens verwaltet werden, eine marktbeherrschende Stellung bei der Verwaltung globaler digitaler Identitäten und digitaler Werte einnehmen will. 

Analyse des Netzwerks und des Token 

Die mediale Berichterstattung der letzten Wochen über diesen neuen Token ist oftmals dogmatisch geprägt, entweder euphorisch oder überkritisch. Dieser Blogbeitrag ist ein Versuch aufzuschlüsseln, was genau das von Facebook geleitete Konsortium rund um den Libra-Token plant, und um einen kurzen Abriss über die technischen und wirtschaftlichen Aspekte des Vorhabens zu geben. Ein weiterer Beitrag wird dann tiefer auf die wirtschaftlichen Aspekte vor allem aus globaler Wettbewerbssicht eingehen.

Facebooks neuer Token Libra.
Foto: REUTERS/Dado Ruvic/Illustration/File Photo
  • Libra-Token, ein Stable-Token
    Im Gegensatz zu Bitcoin-Token oder Ethereum-Token wird der Libra-Token nicht dann erzeugt, wenn man einen Nachweis für Sicherheitsleistungen für das Netzwerk bringt. Beim Libra-Token handelt es sich um einen sogenannten Stable-Token, der durch andere Vermögenswerte gesichert wird. Ähnlich wie beim Tether-Token (ebenfalls ein Stable-Token), werden Libra-Tokens regelmäßig ausgegeben und zerstört, um auf Nachfrageschwankungen zu reagieren und den Wechselkurs stabil zu halten. Ein stabiler Wechselkurs ist eine Voraussetzung dafür, dass jeder Token als Tauschmittel langfristig nützlich sein kann und ein großer Vorteil gegenüber anderen Token wie Bitcoin, die keine eingebauten Preisstabilitätsmechanismen haben.
  • Datenschutz
    Im Whitepaper heißt es: "Das Libra-Protokoll verknüpft Konten nicht mit einer realen Identität. Ein Benutzer kann mehrere Konten erstellen, indem er mehrere Schlüsselpaare generiert. Konten, die von demselben Benutzer kontrolliert werden, haben keine offensichtliche Verbindung zueinander." Das gewähleistet Pseudonymität für Benutzer und ist der Funktionsweise von Bitcoin und Ethereum ähnlich. So eine Teil-Anonymität der Nutzer relativiert sich aber in dem Augenblick, in dem Nutzer der Calibra-Wallet mit offiziellen Dokumenten verifiziert werden müssen. Es ist derzeit unklar, ob Drittanbieter andere Wallet-Anwendungen im Libra-Netzwerk ausführen dürfen, die nicht den gleichen Geldwäscheregelungen unterworfen sind wie die Nutzer der Calibra-Wallets.
  • Infrastruktur
    Libra läuft auf einem öffentlichen Infrastruktur, einem sogenannten Distributed-Ledger-Netzwerk, das von einem Konsortium mehrerer Organisationen verwaltet wird. Dieses Netzwerk ist insofern einer Blockchain ähnlich, als dass es die Daten verteilt verwaltet, das heißt dass keine Organisation das Monopol auf die verschlüsselten Daten hat. Anders als öffentliche Blockchains aber verwendet dieses von Facebook geleitete Netzwerk keine "Kette von verschlüsselten Datenblöcken" als Sicherheitsmechanismus. Sicherheit wird durch Rechtsverträge zwischen bekannten Akteuren des föderierten Netzes gewährleistet. Eine Kette von verschlüsselten Datenblöcken ist aber bei öffentlichen Netzwerken wie Bitcoin oder Ethereum ein unumgänglicher Sicherheitsmechanismus, damit unbekannte Akteure Transaktionen im Netzwerk vertrauenswürdig validieren können.
  • Konsens Algorithmus
    Da Libra auf einem konföderierten Netzwerk aufbaut, wo sich alle Kontenbetreiber kennen und vertrauen, kann das Libra-Netzwerk einen effizienteren Konsensalgorithmus verwenden, da die Transaktionshistorie bei einer Einrichtung von vertrauenswürdigen Netzwerkakteuren viel weniger wahrscheinlich manipuliert wird. Libra verwendet hierbei eine optimierte Version von Practical Byzantine Fault Tolerance (BFT), einem bewährten und bekannten Algorithmus. LibraBFT ist eine Variante dessen und scheint vom HotStuff-Konsensusprotokolls inspiriert.
  • Smart-Contracts
    Das Libra-Netzwerk soll mit Smart-Contract-Funktionalitäten ausgestattet sein. "Move" ist die Programmiersprache, die dafür verwendet werden soll. Die Frage, ob es Sinn macht, eine neue Programmiersprache zu verwenden, ist derzeit unklar, ebenso wie entwicklerfreundlich und umfangreich diese Programmiersprache ist. Beide Aspekte würden Fragen der Sicherheit von Smart-Contracts sowie Netzstabilität beeinflussen. Ähnlich wie beim Ethereum-Netzwerk muss man in Zukunft für die Ausführung des Codes von Libra Smart-Contracts-Netzwerkzahlungen tätigen, und zwar in Libra-Tokens. Das heißt auch, dass bei jeder Überweisung von Libra die Netzwerkdienstleister Libra,Tokens verdienen.
  • Verwaltung des Netzwerks
    Als privater Distributed-Ledger können nur Mitglieder des Netzwerks Transaktionen validieren. Gründungsmitglieder des Netzwerks sind bekannte Organisationen wie Mastercard, Visa, eBay, Lyft, Xapo, Paypal, Uber, Women's World Banking, Mercy Corps, Risikokapitalgesellschaften wie Andreessen Horowitz und Thrive Capital und Non-Profit-Organisationen. "Es ist daher unwahrscheinlich, dass sie korrupt handeln", heißt es im Whitepaper. Mit bisher fast 30 Mitgliedsorganisationen hat das Libra-Konsortium seinen Sitz in Genf. Für Änderungen der Netzwerkregeln ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Die Frage ist, wie sicher das System ist, wenn ein potentieller Angreifer die Mehrheit der kryptografischen Schlüssel der Gründungsmitglieder knackt und eine neue Transaktionshistorie neu schreibt. Laut eigenen Angaben soll innerhalb der ersten fünf Jahre das föderierte Netzwerk zu einem öffentlichen Netzwerk umgestellt werden. Sicherheit im zukünftigen öffentlichen Netzwerk soll mit dem Konsensmechanismus "Proof-of-Stake" erfolgen.
  • Netzwerkgebühren
    Laut FAQ auf der Webseite soll die Calibra-Wallet niedrige Transaktionsgebühren verlangen. Die Frage ist aber, ob dieses Versprechen in Zeiten hoher Netzwerkauslastungen tatsächlich eingehalten werden kann.
  • Wird Libra wirklich offen für Entwickler sein?
    Laut dem  Whitepaper soll langfristig ein öffentliches Netzwerk zur Verfügung gestellt werden: "Jeder Endkunde, Entwickler und jedes Unternehmen kann das Libra-Netzwerk nutzen, Produkte dafür entwickeln und mit seinen Dienstleistungen davon profitieren. Durch diesen offenen Zugang werden Innovationen und geringe Zugangsbeschränkungen gewährleistet und es wird ein gesunder Wettbewerb gefördert, wovon die Verbraucher profitieren."
  • On-Chain-Governance
    Ähnlich wie bei beim Tezos Netzwerk erhalten Gründungsmitglieder sogenannte Libra-Investment-Tokens (ein zweiter Token-Typ im Netzwerk), die das Stimmrecht im Netzwerk repräsentieren. Diese Stimmrechts-Tokens können von Konsortialmitglieder verwendet werden, um über Änderungen der Netzwerkregeln abzustimmen. Dies wird in Zukunft erforderlich sein, um neue Mitglieder aufzunehmen und um  von LibraBFT auf Proof-of-Stake umzusteigen.
  • Einweg-Ledger
    Einfache Benutzer im Netzwerk müssen keinen Voll-Knoten betreiben, sondern können bloß einen Nachweis über den letzten Block bringen, den sie auf einem kleinen Gerät wie einem Smartphone leicht überprüfen können. Dies ist wichtig, um sicherzustellen, dass sie mit einer gültigen Kopie der Transaktionshistorie interagieren. Dies ist ein benutzerfreundliches  Feature, da historische Daten im Laufe der Zeit zu groß werden könnten, um von einem einzelnen Server oder einem kleinen Gerät verarbeitet werden zu können. 
  • Entwicklerteam 
    Das Libra-Whitepaper wird von über fünfzig Personen aus der ganzen Welt unterzeichnet, unter anderem aus dem Bereich der Informatik und der künstlichen Intelligenz: Christian Catalini, Ben Maurer, George Danezis, François Garillot, Ramnik Arora und viele mehr.

Analyse und Ausblick

Der Libra-Token kann nicht mit Bitcoin oder anderen Protokoll-Token von öffentlichen Blockchains verglichen werden, da es ein Konsortialnetzwerk ist, bei denen nur eingeladene Mitglieder Transaktionen verifizieren dürfen und es höchstwahrscheinlich strengen Geldwäscheregelungen unterliegen wird. Andererseits erlaubt diese private Infrastruktur höhere Skalierbarkeit. Des weiteren hat Facebook bereits eine Nutzerbasis von über zwei Milliarden Menschen, was Tokens erstmals Massenmarkt-kompatibel machen könnte. Außerdem hat Facebook genug Kapital und somit Entwicklerpower, um eine dringend benötigte Wallet-Usability zu ermöglichen. 

Facebook hat durch das Libra-Netzwerk und den Libra-Token das Potenzial, zu einer Schattenbank zu werden, zumindest für die zwei Milliarden Menschen, die weltweit keine Bankkonten haben. Die Frage ist, ob das Bestreben, das Netzwerk öffentlich zu machen, authentisch oder zumindest realistisch ist. Viel eher scheint das Projekt als ein Versuch, durch die Hintertür der Web3-Wallets in zwei neue Branchen vorzudringen: Identitäten und Banking. Da Facebook neben Google der größte Ad-tech-Anbieter ist, könnte der Libra-Token auch dazu genutzt werden, den zukünftigen Werbekonsum abzuwickeln. Wie so etwas aussehen könnte kann man sich anhand des Projekt rund um den Basic-Attention-Token (BAT) ansehen, das versucht, die Rollen in einer von vielen intermediären besetzten Werbebranche umzukehren.

Die US-amerikanischen Behörden sehen diese Ankündigung von Facebook als kritisch und es laufen derzeit Anhörungen im US-Senat zu dem Thema. Politiker in den USA und weltweit werden sich durch diese Ankündigung zwangsläufig mit dem Thema Blockchain, Web3 und Tokens beschäftigen müssen, um zu verstehen, welchen Regulierungsbedarf es hier überhaupt gibt. Die Wissenslücke bei vielen Politikern und in der allgemeinen Bevölkerung über die Mechanismen und Auswirkungen von Web3 sind aber noch enorm.

Anmerkung

Begriffe wie "Kryptowährung", "Krypto-Anlagen", “Krypto-Assets” und "Token" werden sehr oft synonym verwendet. Medien neigen meist dazu, diese neuen digitalen Werte als "Kryptowährungen" zu bezeichnen, die viele unterschiedliche Werte und Zugangsrechte repräsentieren können: physische Güter, digitale Güter, Sammelobjekte, Lizenzgebühren, digitale Gutscheine, oder ein Ticket für ein Konzert. Der Begriff "Kryptowährung" ist daher nicht ideal, da viele dieser neuen digitalen Werte niemals mit der Absicht ausgegeben wurden, Geld darzustellen. Der Begriff "Token" ist generischer, und umfasst alle Token-Arten. (Shermin Voshmgir, 24.7.2019)

Literaturhinweise

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