Ältere Prothesen-Modelle bereiten den Patientinnen und Patienten oftmals Probleme.

Foto: Maria von Usslar

Seit rund 50 Jahren gibt es sogenannte myoelektrische Hand- bzw. Armprothesen, die über Muskelimpulse gesteuert werden. Bisher wurden die Impulse an der Haut abgenommen, was Probleme macht. Das Unternehmen Otto Bock hat jetzt ein System mit implantierbaren Sensoren entwickelt. Plastische Chirurgen der Medizinischen Universität- und des AKH Wien konnten gute Erfolge bei der klinischen Erprobung an drei Patienten beobachten.

"Ich bin felsenfest überzeugt, dass eine derartige Technologie für die Patienten Vorteile bietet", erklärte Hans Dietl, aus Wien stammender Science Officer des deutschen Orthopädietechnik-Konzerns.

Durchbruch in Sicht

"Ich bin sicher, dass ich den Durchbruch der drahtlosen Technologie in der Prothesensteuerung zu meinen Lebzeiten noch erleben werden", fügte Oskar Aszmann, plastischer Chirurg und Leiter jener Forschungsgruppe an der MedUni Wien im AKH, welche in den vergangenen Jahren mit dem deutschen Unternehmen auch bionische, gedankengesteuerte Armprothesen entwickelt hat.

Die Erfahrungen mit den implantierbaren Sensoren hat jetzt ein Autorenteam um Stefan Salminger von der Wiener Universitätsklinik für Chirurgie mit Dietl und US-Wissenschaftern sowie britischen Experten als Co-Autoren in "Science Robotics" veröffentlicht.

Normalerweise werden myoelektrische Prothesen von den Patienten – ob nun "bionisch" oder nicht – über elektrische Muskelsignale gesteuert. "Das funktioniert seit 50 Jahren. Aber man versucht, das System zu verbessern", sagte Dietl, der ehemals bei Otto Bock in Wien die erste myoelektrische Kinderhand-Prothese entwickelt hat.

Implantierte Sensoren

Normalerweise liegen die Sensoren zur Steuerung auf der Haut auf. Schweiß und Bewegung können das Funktionieren behindern. In Wien wurde bei dem Konzern beispielsweise schon vor einigen Jahren ein auf Textilien basierendes Tragesystem für die Sensoren entwickelt, was eine Verbesserung darstellte. Doch perfekt ist das noch immer nicht.

Die Trage- und Ableitungsprobleme will man mit implantierbaren Sensoren umgehen. Das US-Unternehmen Alfred Mann Foundation entwickelte implantierbare Sensoren für die Muskelreize. "Sie sind mit Keramik umhüllt", erklärte Aszmann. Das gleiche den Herzschrittmachern, nur seien sie viel kleiner.

In den vergangenen Jahren wurden drei Patienten mit Amputationen an einem Oberarm auf diese Weise mit gedankengesteuerten "bionischen" Prothesen versorgt. Dabei werden Nerven für die Steuerung der Prothese chirurgisch umgeleitet. "Wir haben diese Umleitung von Nerven in einer Operation mit der Implantierung der Sensoren vorgenommen. Zwei Patienten erhielten sechs Sensoren implantiert, einer fünf."

Bessere Signale

"In den Prothesenschaft ist eine magnetische Spule integriert, die einerseits die Sensoren mit Energie versorgt, andererseits die Signale abnimmt", stellte Dietl das System dar. Die erste Beobachtung der Wissenschafter: Mit den Oberflächensensoren dauert es im Rahmen der Rehabilitation von Patienten etwa sechs Monate, bis für die Prothesensteuerung verwertbare Signale abgenommen werden können.

"Die implantierten Sensoren greifen die Signale aber direkt an der Quelle ab. Damit verkürzt sich die Zeitspanne bis zum Funktionieren auf rund drei Monate", erklärte der Techniker und Forschungsmanager. "Wir erreichen damit eine Steuerung der Bewegung der Prothese in drei Freiheitsgraden", fügte Aszmann hinzu. Das umfasst das Schließen bzw. Öffnen der künstlichen Hand, Rotation sowie Heben und Senken des Unterarms via Prothesen-Ellbogen.

Probleme umgehen

Die Beobachtungszeit im Rahmen der ersten Studie betrug im Mittel 2,5 Jahre. "Die Patienten zeigten ein substanziell besseres Funktionieren mit dem implantierbaren System im Vergleich zu den Oberflächensensoren", schrieben die Autoren der wissenschaftlichen Arbeit in "Science Robotics". Das Mensch-Maschinen-Interface sei deutlich verbessert worden. Die Vorteile bestehen einerseits in höherer Signalstärke, weiters gab es – während der Erprobungsdauer – auch kein Verrutschen oder sonstige Probleme.

Die Sache hat allerdings (noch) ein Manko: Industriell ist diese Forschungsarbeit derzeit noch nicht umsetzbar. Die Schwierigkeiten liegen laut Dietl derzeit in den extrem aufwendigen und teuren Zulassungsverfahren der EU-"Medical Device Regulation", in der notwendigen Funkzulassung – weil das System ja eine Antenne für die Signale aufweist – sowie in der Qualitätssicherung.

Deshalb wurde die Weiterentwicklung 2017 vorerst einmal gestoppt. Alle auf diesem Gebiet arbeitenden Wissenschafter verfolgen derzeit die unterschiedlichsten Strategien, wie man trotz der Probleme besser und exakter steuerbare myoelektrische Prothesen schaffen könnte. (APA, 17.7.2019)