Donald Trump verfolgt eine Politik der Abschottung, das Amerika, das er groß machen möchte, ist ein Wasp-Amerika, so Lateinamerika-Experte Gerhard Drekonja-Kornat im Gastkommentar.

Mit Beginn des massiven Abschiebens illegaler Hispanos – "um sie legal hinauszuschmeißen" – öffnet US-Präsident Donald Trump sein Herz bis auf die tiefsten Fasern, wo ein "heart of darkness", ein Herz grausamer Düsternis, wie Joseph Conrad seinen Kongo-Bericht betitelte, pocht. Denn es geht nicht nur um den Slogan "Make America Great Again", es geht auch um "Make America White Again", um die Absicherung der Vorherrschaft des weißhäutigen Wasp-Amerika (White Anglo Saxon Protestant), das von multikulturellen Zuwanderern "verschmutzt wird".

Wasp-Mehrheitsrechnungen

Bereits vor eineinhalb Dekaden begannen Prognostiker die Bevölkerung der USA zielgerecht hochzurechnen. Es kam dabei tentativ heraus: Um 2050 würde, bei Fortsetzen der aktuellen Migrationswellen, die Wasp-Mehrheit infolge von Afroamerikanern, Latinos, Asiaten und auch Indigenen verloren gehen. Unaufhaltsam würde diese Entwicklung auch deswegen sein, weil illegal aus Lateinamerika eingewanderte Frauen in Massen "Ankerbabys" zur Welt brächten, denen automatisch die US-Staatsbürgerschaft zusteht.

Addiert man Zahlen und Prognosen, brauchte Trump allerdings gar nicht auszuflippen: Die USA zählen heute an die 330 Millionen Köpfe. Weiße machen davon immer noch 60 Prozent aus. Hispanos rücken mit etwa 18 Prozent nach. Afroamerikaner bringen 15 Prozent auf die Waage, Asiaten sechs Prozent. Um nicht die "Native Americans" – die indianischen Ureinwohner – zu vergessen: zwei Prozent.

Lateinamerikanische Migranten überqueren den Río Suchiate im Grenzland zwischen Mexiko und Guatemala. Ihr Ziel sind die USA.
Foto: APA/AFP/PEDRO PARDO

Einwanderung – nach Lateinamerika

Somit wird es für Wasp-Amerika mit der Zeit knapp, aber nicht hoffnungslos. Offen ist freilich die Zahl der nichtregistrierten Hispanos – angeblich sind davon elf Millionen illegal im Land –, was die Statistik fordert. Das spielte auch schon in der vergangenen Obama-Regierung eine Rolle, während der die Rekordzahl von 400.000 Hispanos ohne Aufenthaltsgenehmigung abgeschoben wurde.

In der behäbigen Zeit früher Lateinamerika-Forschung war eines der beliebtesten Themen das der Einwanderung von Europäern nach Lateinamerika. Ja, der Subkontinent nahm Millionen von Europäern auf – bis etwa 1940. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg kam eine Wende: kaum noch Einwanderung aus Europa, aber dafür eine immer intensivere Bindung des Subkontinents an die USA. Zuerst in Form der Lieferung von Rohstoffen und Energie (womit der Krieg gewonnen werden konnte). Eduardo Galeano, Uruguays – inzwischen leider verstorbener – Historiker-Poet, schrieb damals den Bestseller "Las venas abiertas de América Latina". Diese "offenen Adern Lateinamerikas" begeisterten vor allem Europas Studenten der 1970er-Jahre und bekehrten sie zu resoluten Antiimperialisten.

Offene Adern

Allerdings, mit den Jahren verlor Lateinamerikas traditionelles Exportangebot seinen strategischen Wert. Extraktives Wirtschaften griff nicht mehr voll. Deswegen blieben auch dynamische Entwicklungen à la Südkorea oder Taiwan, später à la China aus. Lateinamerika blieb "unterentwickelt", was Regierungen am Leben hielt, bei denen Missmanagement, Korruption und Bandenkriminalität das Leben für untere Einkommensgruppen – siehe exemplarisch das "Armutsdreieck" Honduras, El Salvador und Guatemala – zur Hölle machten.

So blieb den Nachwachsenden nur die Flucht nach vorn, nach Norden, in die USA (oder Kanada). "Wir exportieren heute nicht mehr Rohstoffe, sondern Jugendliche", schrieb Galeano kurz vor seinem Ableben, die "offenen Adern Lateinamerikas" damit revidierend.

Karawanen der Armut

Zu den wagemutigen Jungen gesellen sich Mütter mit Kindern und bilden die "Karawanen der Armut", die sich heute durch Mexiko wälzen, um an der Grenze zu stranden oder in US-Anhaltelagern zu vegetieren. Wie sagt doch Trump: Das wird ihnen beibringen, gar nicht erst zu kommen!

Ohne Zweifel, so kann die doch recht dünne Wasp-Dominanz gehalten werden. Vor einigen Jahren Teilnehmer an einer Migrationstagung an der Universität Passau, überraschte uns Europäer ein nordamerikanischer Kollege mit seinem Forschungsthema: Er publiziert über das Schicksal mexikanischer Bürger, die nach dem verlorenen Mexikanisch-Amerikanischen Krieg 1846–48, als riesige Nordwestterritorien an die USA abgetreten werden mussten, einfach eingemeindet wurden, ohne offizielle Registrierung. Theoretisch waren und blieben sie somit "illegal" – was in den Halbwüsten des Bundesstaates New Mexico keine Rolle spielte. Kinder und Kindeskinder wurden dann doch wahrgenommen. Aber genau dort fand im Juni 1945 der erste Test mit einer experimentellen Atombombe statt. Da man über Radioaktivität noch nichts wusste, blieb die dortige Streubevölkerung, Nachkommen der 1848 eingemeindeten Mexikaner, ihrem Schicksal überlassen. Jahrzehnte später eingereichte Ansuchen auf Entschädigungszahlungen blieben, da von der Bürokratie vergessen, ohne Antwort aus Washington. (Gerhard Drekonja-Kornat, 17.7.2019)