Im Gastkommentar spricht sich der sexualpädagogische Moderator Horst Stein gegen das Verbot der externen Sexualpädagogik in Schulen aus.

ÖVP und FPÖ verbannen die externe Sexualpädagogik und damit alle entsprechend ausgebildeten Expertinnen und Experten aus den Schulen. Dieser Entschließungsantrag, im Nationalrat vor der Sommerpause mit den Stimmen von Türkis und Blau angenommen, geht nicht nur auf Kosten der Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen, denen per Gesetz de facto ein Berufsverbot erteilt wird. Er geht auch auf Kosten der Kinder- und Jugendlichen, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und letztlich der Gesellschaft.

Wo – in aufgeklärten Ländern – gibt es eine vergleichbare beispiellose Vernichtung von Kompetenzen und Freiräumen unter dem Deckmantel einer altersgerechten Sexualerziehung? Nirgendwo, außer hier in Österreich durch den Schulterschluss von FPÖ und ÖVP, die dies als Reform und Umbau des Landes verstehen. Und doch ist es bloß ein Ablenkungsmanöver, das das Problem eines Vereins – Anlassfall war die Causa Teenstar – auf eine ganze Zunft ausdehnt.

Sexualpädagogik an Schulen ist kein marginales Thema.
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Keine Frage der Ideologie

Wie es ultrakonservativen Kräften innerhalb dieser beiden Parteien gelingen konnte, die Parlamentarierinnen und Parlamentarier von diesem eklatanten bildungspolitischen Rückschritt zu überzeugen, ist mir ein völliges Rätsel. Schaltet doch alle drei großen H gleichzeitig frei, wie die Sexualpädagogik empfiehlt, das Hirn, das Herz und die Hand! Es ist keine Schande, seine Meinung zu ändern, zu erkennen, dass etwas nicht in seiner vollen Bandbreite bedacht wurde. Mein Appell an alle Politikerinnen und Politiker, die bei der Nationalratssitzung, aus welchen Gründen auch immer, dafür gestimmt haben: Verschließt nicht die Augen! Es ist kein marginales Thema – es ist ein entscheidendes.

Hier geht es nicht um Ideologie. Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche in ihren Bedürfnissen und in ihrem sozialen wie medialen Umfeld ernst genommen werden. Ihnen darf nicht die Chance genommen werden auf eine neutrale, fundierte und zeitgemäße Sexualpädagogik, die die Privatsphäre schützt und in einer respektierenden Atmosphäre stattfindet.

Erzwungener Rollenkonflikt

Die externe Sexualpädagogik in Schulen versteht sich eben nicht als alleiniger und allwissender Vermittler, sondern als gleichberechtigter – wiewohl nicht austauschbarer – Partner. Auch von Lehrerinnen und Lehrern, die meist ohne sexualpädagogische Ausbildung und nun per Gesetz in einen Rollenkonflikt getrieben werden. Ein Missstand, der sie entweder zu Grenzüberschreitungen zwingt, weil sie als bewertende Instanz zu tief in intime Fragenbereiche der Schülerinnen und Schüler vordringen sollen, oder der letztlich zu Vermeidungsverhalten auf beiden Seiten führt.

Ich moderiere seit 20 Jahren Workshops in Schulen, arbeite zudem auch immer wieder mit Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern im Kontext sexualpädagogischer Projekte. Vieles blieb ähnlich, sehr vieles hat sich über die Jahrzehnte grundlegend geändert. Das wissen auch fast alle Eltern, blieb aber auf seltsame Weise den beiden Parteien verborgen. Nur wenige Eltern sind der Meinung, sie allein oder die Lehrerinnen und Lehrer könnten alle sexuellen Themen mit ihren Kindern exklusiv besprechen.

Generation Porno

Beispiel Pornokonsum: Ob schüchtern oder forsch, egal, junge Burschen sind heute viel mehr als vor 20 Jahren mit der Herausforderung konfrontiert, wie sie ihren oft sehr früh einsetzenden und intensiven Pornokonsum im Internet oder am Handy und die damit verbundenen Fragen, Ängste, Werte, Rollenbilder, Körpernormen oder Prägungen mit ihrer gelebten Sexualität und ihren (zukünftigen) Partnerschaften so in Beziehung setzen können, dass er für sie nicht schädlich oder beeinträchtigend ist und ihnen nicht das Gefühl für den Unterschied von Realität und Fantasie nimmt.

Mädchen, die auch, aber in geringerem Ausmaß Pornos schauen und diese wie die Burschen zudem als Infoquelle für ihre Fragen nützen, geraten durch allgemeine Auswirkungen der "Generation Porno" unter Druck. Sie werden sehr oft ausschließlich über ihren Körper bewertet. Sie werden vom handelnden Subjekt wieder zum Sexualobjekt degradiert, und sie beginnen, sich für ihren nicht der Norm entsprechend optimierten Körper zu schämen.

Geschützte Freiräume

Wer glaubt, dass hier die Mädchen und die Burschen alles für sie Relevante und Wichtige mit Lehrerinnen, Lehrern und Eltern besprechen und beide Geschlechter hier mal – salopp gesagt – nicht ihre Klappe halten, ist völlig weltfremd oder macht sich etwas vor.

Ein für alle Mal: Gefühle, Sexualität und Lust sind keine Gefahr! Vor allem dann nicht, wenn die Menschen auch befähigt werden, darüber zu reden. Aber dazu braucht es über den normalen Schulalltag hinaus geschützte Freiräume, wie sie eine externe, qualitätsgeprüfte Sexualpädagogik bietet. (Horst Stein, 18.7.2019)