Ähnlich turbulent wie der sommerliche Parlamentskehraus gestaltete sich das Gespräch mit Wolfgang Sobotka (ÖVP): Gleich mehrmals erhebt der Nationalratspräsident beim Argumentieren seinen Zeigefinger – was DER STANDARD prompt thematisiert. Bei der Debatte rund um anstehende Koalitionen nach der Neuwahl moniert dann Sobotka, dass die Interviewerinnen beim Insistieren auf die Tischplatte klopfen. Am Schluss bilanziert der temperamentvolle ÖVP-Politiker aber: "Das ist eh okay."

"Ich komme immer in Fahrt. Hören Sie, ich bin Politiker mit Leidenschaft! Anders geht's nicht": Wolfgang Sobotka über sein streitbares Temperament.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Sind Sie bereit, über die heimische Parteienfinanzierung zu reden – oder riskieren wir damit, dass Sie wieder sehr wütend werden?

Sobotka: Natürlich bin ich bereit, ich freue mich sogar darauf.

STANDARD: Neulich im Parlament ist Ihnen aber der Kragen geplatzt, als SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried gesagt hat: "Die, die reich sind, richten es sich mit bestechlichen Parteien." Wieso hat Sie das so in Rage gebracht?

Sobotka: Wenn man bei einer solchen Rede angeschaut und auf einen gezeigt wird, fühlt man sich angesprochen. Leichtfried hat seine Aussage später auch zurückgenommen. Grundsätzlich möchte ich dazu festhalten, dass man keine der im Parlament vertretenen Parteien generell als korrupt oder bestechlich darstellen kann.

STANDARD: Laut Geschäftsordnung sollte ein Nationalratspräsident für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Sitzungssaal sorgen. Finden Sie, dass Ihnen das an dem Tag gelungen ist?

Sobotka: Bitte, das ist ein wesentlicher Unterschied: Ich saß dort als Abgeordneter, nicht als Präsident. Und von der Abgeordnetenbank aus forderte ich: "Nehmen Sie das zurück!" Aber ich gebe zu, ich war zu emotional und würde das so auch nicht mehr machen. Beleidigend war ich aber zu keinem Zeitpunkt.

STANDARD: Fakt ist: Inzwischen hat der Rechnungshof auch die ÖVP beim Parteiensenat angezeigt. Mehrere Unternehmer haben etwa meldepflichtige Spenden über 50.000 Euro in Teilbeträge gestückelt, sodass bis vor kurzem keine Transparenz herrschte. Was macht das für ein Bild?

Sobotka: Nach allem, was ich weiß, hat sich die ÖVP an den Gesetzestext gehalten. Und da, wo man sich nicht daran gehalten hat, wird Strafe bezahlt – nämlich wegen der Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze (um sechs Millionen Euro, Anm.). Alle Spenden, also Einnahmen, müssen freilich völlig transparent sein, bis zum letzten Heller.

STANDARD: Bei der ÖVP wurden aber auch bei weitem nicht alle Spenden über 3.500 Euro auf der türkisen Onlineliste genannt – obwohl bisher anders behauptet.

Sobotka: Da bin ich der falsche Ansprechpartner. Das müssen Sie den Generalsekretär fragen. Wenn das passiert ist, war es ein Fehler. Wenn es absichtlich passiert ist, ist es aufzuklären, keine Frage.

"Es war vorher kein gutes Gesetz, und jetzt ist es nicht besser geworden":
Sobotka qualifiziert die herabgesetzte Einnahmengrenze für Parteien als nicht verfassungskonform.
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STANDARD: Mit der Reform der Parteienfinanzierung haben Rot, Blau und Jetzt verfügt, dass kein Spender mehr als 7.500 Euro im Jahr geben, keine Partei mehr als 750.000 Euro einnehmen darf ...

Sobotka: Das ist meines Erachtens nicht verfassungskonform. Das Limit für Einzelspender könnte laut meinen Experten halten, aber die Einnahmengrenze für Parteien nicht: Was, wenn der 444. Spender zwar nur zwanzig Euro geben will, damit aber die Obergrenze von 750.000 Euro überschritten wird? Das widerspricht doch dem, dass man über sein Eigentum frei verfügen kann. Ich will sagen: Es war vorher kein gutes Gesetz, und jetzt ist es nicht besser geworden. Daher bin ich dafür, dass sich alle Fraktionen außerhalb von Wahlkampfzeiten an einen Tisch setzen, damit es zu einer besseren Lösung kommt.

STANDARD: Sonst zieht die ÖVP vor den Verfassungsgerichtshof?

Sobotka: Das denke ich nicht. Das wäre aus meiner Sicht dann doch etwas überschießend.

STANDARD: Seit dem Ibiza-Skandal rund um Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache gilt FPÖ-Klubchef Herbert Kickl in der ÖVP als nicht ministrabel. Warum eigentlich erst jetzt?

Sobotka: Es sind zwischenzeitlich schon Dinge vorgefallen. Herbert Kickl war zudem zur Zeit der Entstehung des Ibiza-Videos Generalsekretär der FPÖ und damit Herr über die Finanzen seiner Partei. Dass er nicht Innenminister bleiben konnte, dem Ermittlungsbehörden unterstehen, war klar.

STANDARD: Vom Ausreisezentrum Traiskirchen bis zum Anzweifeln der Menschenrechtskonvention: Hat die ÖVP vorher versucht, auf Kickl wegen seiner fragwürdigen Amtsführung einzuwirken?

Sobotka: In einer Koalition kann man nicht in jeder Situation, in der man nicht mit dem Partner übereinstimmt, mit dem Ende der Zusammenarbeit drohen. Man hat sich aber schon zu Wort gemeldet und rote Linien gezogen. Auch ich habe das getan. Nach dem Publikwerden des Ibiza-Videos blieb uns dann nur das Koalitionsende – egal wie man die zuvor geleistete Arbeit bewertet.

STANDARD: Sollen das Innenministerium und das Verteidigungsministerium keinesfalls mehr in die Hände einer Partei gelegt werden?

Sobotka: Das ist eine Frage, die der Bundespräsident entscheidet, wenn er den Regierungsbildungsauftrag erteilt und den Weg für Koalitionsverhandlungen eröffnet.

STANDARD: Bis heute schließt die ÖVP eine Koalition mit der FPÖ nicht aus. Doch werden die Provokationen der Blauen je ein Ende finden? Zuletzt wurde etwa Martin Graf, Burschenschafter bei der rechtsextremen Olympia, in das Kuratorium des Nationalfonds geschickt, der die Opfer des Nationalsozialismus unterstützt.

Sobotka: Die Entsendung von Graf habe ich definitiv als Provokation empfunden. Das wäre einfach nicht notwendig gewesen. Die FPÖ sieht das anders. Da sind wir unterschiedlicher Meinung.

STANDARD: Also ist das so hinzunehmen?

Sobotka: Schauen Sie, jeder kann sich wandeln. Auch die FPÖ sagt, sie hat sich gewandelt. Aber diese Maßnahme ist keine, die dahingehendes Vertrauen schafft. Ich habe mit dem Abgeordneten Graf sonst gar kein Problem, aber in diesem konkreten Fall habe ich sehr wohl eines – weil ich weiß, aus welcher Ecke er kommt und welche einschlägigen Aussagen er schon getätigt hat.

STANDARD: Trotz allem ist und bleibt die FPÖ ein möglicher Koalitionspartner?

Sobotka: Wir haben uns das 2017 nicht leicht gemacht, aber den absoluten Stillstand mit der SPÖ wollten wir nicht mehr.

STANDARD: Jetzt dient sich die SPÖ aber schon fast als Koalitionspartner an. Können sich die Sozialdemokraten überhaupt Hoffnungen machen?

Sobotka: Sie loten halt aus, was möglich ist. Das kann man erst beurteilen, wenn man in ernsthafte Regierungsverhandlungen eintritt. Derzeit beurteile ich das Verhalten anderer Parteien nicht. Sonst müsste ich permanent von neuen Koalitionen reden, die seit dem Misstrauensvotum überraschend gemeinsame Beschlüsse im Parlament fassen.

STANDARD: Anders als die ÖVP hat SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner eine Koalition mit der FPÖ dezidiert ausgeschlossen. Warum bemühen Sie also das rot-blaue Schreckgespenst? Um Ihre Wähler zu mobilisieren?

Sobotka: Dafür brauche ich kein rot-blaues Schreckgespenst. Aber ich weise darauf hin: Die SPÖ hat hier schon lange eine Doppelstrategie, siehe Burgenland, siehe Linz.

"Das ist eine polemische Frage! Ich habe den Klimaschutz nicht erst seit den Fridays for Future entdeckt": Sobotka zu seinem Umweltengagement.
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STANDARD: Abschließend: Was ist Ihr Beitrag zum Klimaschutz? Sie sind ja Hobbygärtner – hilft Ihnen das auch beim Herunterkommen?

Sobotka: Das ist eine polemische Frage! Ich habe den Klimaschutz nicht erst seit den Fridays for Future entdeckt, für so wichtig ich dieses Engagement auch erachte. Das Gärtnern ist eine absolut umweltpolitische Lebensaufgabe. Wer zu Hause im Kreislauf wirtschaftet, ist auch bereit, für große umweltpolitische Zusammenhänge seine Stimme zu erheben. Ich habe als Landesrat die Klimabündnisgemeinden in Niederösterreich und die Initiative Natur im Garten ins Leben gerufen. Es ging mir seit jeher darum, zu sensibilisieren.

STANDARD: Sie kommen also auch bei dem Thema in Fahrt?

Sobotka: Ich komme immer in Fahrt. Hören Sie, ich bin Politiker mit Leidenschaft! Anders geht's nicht. Das ist das Salz in der Suppe. (Karin Riss, Nina Weißensteiner, 18.7.2019)