Die Luftabwehrraketen werden mit russischen Transportflugzeugen in die Türkei gebracht.

Foto: APA/AFP/TURKISH DEFENCE MINISTRY

Wer braucht wen mehr: die Nato die Türkei oder die Türkei die Nato? Um diese Frage dreht sich nach wie vor der Poker um das russische Raketenabwehrsystem S-400, das zum Teil in Nordzypern stationiert werden soll. Zumindest eine Folge davon ist seit Mittwoch offiziell: Die Türkei wird keine amerikanischen F-35-Kampfjets erhalten. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu reagierte umgehend: Dieser einseitige Schritt Washingtons verstoße gegen den Geist der Militärallianz. "Es ist nicht fair, einen Partner aus dem F-35-Programm zu drängen."

Eigentlich hätte die Türkei als Nato-Partner über 100 solcher Maschinen erhalten sollen. Nun aber fürchtet das Pentagon, es könnten sensible Daten in die Hände russischer Militärs gelangen. Der Rausschmiss der Türkei aus dem F-35-Programm ist ein vergleichsweise kleiner Trumpf im Eskalationspoker, den das Pentagon spielen kann.

Das Spiel aber ist gefährlich – denn im schlimmsten Fall droht der Austritt der Türkei aus dem Verteidigungsbündnis. Seit 1952 ist das Land Nato-Mitglied und unterhält dessen zweitgrößte Armee.

Patriot-Abwehrraketen abgezogen

Aus türkischer Sicht liegt die Schuld aufseiten der USA: Als die Türkei 2015 einen russischen Kampfjet abgeschossen hatte, habe das Pentagon die in der Türkei stationierten Patriot-Abwehrraketen eilig abgezogen – aus Furcht vor einer weiteren militärischen Eskalation zwischen seinem Partner Ankara und Moskau.

Der russische Präsident Wladimir Putin verlangte als Wiedergutmachung einen Waffendeal von Ankara – und zu diesem ist es schließlich auch gekommen. Gleichzeitig begannen die USA mit der Unterstützung der syrischen Kurden, die der in der Türkei verbotenen PKK nahestehen, was zu einer weiteren Entfremdung zwischen Ankara und Washington führte. Und schließlich stieß vielen in Ankara bitter auf, dass nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 keine Solidaritätsbekundungen von Nato-Partnern kamen, wohl aber vom russischen Präsidenten. Die Ankündigung Ankaras, ein russisches Abwehrsystem zu kaufen, hielt man im Pentagon dagegen jahrelang für einen Bluff und reagierte nicht.

US-Präsident Donald Trump teilt diese Sicht der Dinge wohl bis zu einem gewissen Grad. Die "Beziehungen zur Türkei seien "gut, aber kompliziert" , sagte er noch am Dienstag. Schuld an den jüngsten Streitereien trage allem die Obama-Regierung (2009–2017), die einen Kauf des US-Produkts Patriot an die Türkei verhindert habe. Aus diesem Grund verhält er sich erstaunlich konziliant. Weitere Schritte in der Eskalationsspirale aber hängen nicht von Trump ab: Der US-Kongress kann unabhängig vom Präsidenten Wirtschaftssanktionen gemäß des Countering America's Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) verhängen. Weitere Maßnahmen könnten die Türkei auch noch mehr in die Nähe Russlands treiben – und so den Zusammenhalt der Nato weiter gefährden.

Gefährdete Wirtschaftsinteressen

Doch auch innerhalb der Türkei gibt es Kritik am Vorgehen von Präsident Tayyip Erdoğan: Am Mittwoch wurde bekannt, dass eine Delegation des Unternehmerverbands Tüsiad nach Washington gereist ist, um sich mit Vertretern des Kongresses zu treffen. Der Verband steht der Opposition nahe und fühlt seine Interessen durch die Entfremdung mit den USA bedroht. (Philipp Mattheis, 19.7.2019)