Es mag überraschen, wenn man nur die politischen Debatten und Schlagzeilen verfolgt. Aber die Migrationspolitik der EU ist ein Erfolg. Die massive illegale Einwanderung, die mit dem Arabischen Frühling 2011 eingesetzt hatte, wurde gestoppt. Das Türkei-Abkommen, die Schließung der Balkan-Route, die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen, die Eindämmung der Seenotrettung im Mittelmeer – all das hat Wirkung gezeigt. Immer weniger Menschen aus Afrika und Asien machen sich auf den Weg nach Europa. Offenbar hat es sich in den sozialen Netzwerken herumgesprochen, dass die Chancen, die EU zu erreichen, gering sind – und die Chancen, dort ein besseres Leben zu finden, noch geringer. Dadurch sinkt auch die Zahl der Todesopfer, auf See genauso wie in der Sahara.

Für jene, die seit Jahren von Sicherheit, Job und Wohnung in einem westeuropäischen Land träumen, ist dies ernüchternd und für manche tatsächlich Verfolgte tragisch. Die Mittel, zu denen die EU-Staaten griffen, sind moralisch angreifbar, allerdings auch ohne überzeugende Alternative. Denn eine anhaltende Massenzuwanderung hätte die Union politisch zerrissen – und in vielen Ländern jene politischen Kräfte weiter gestärkt, die nicht nur jede Migration, sondern auch das Projekt Europa ablehnen.

Vor der Küste Malagas geretteter Flüchtling.
Foto: JORGE GUERRERO/AFP

Dass diese Parteien bei den jüngsten EU-Wahlen weniger stark zulegten als befürchtet, lag vor allem daran, dass Migration nicht mehr das politische Hauptthema ist. Wenn die FPÖ im September Stimmen verliert, so wird das wohl weniger dem Ibiza-Video geschuldet sein als dem Umstand, dass das Flüchtlingsthema im Wahlkampf weniger zieht als noch 2017.

Starke Sogwirkung

Doch kein politisches Lager will diesen Erfolg eingestehen, weder in Österreich noch anderswo in der EU. Die Flüchtlingskrise von 2015/16 hat zwar offenbart, dass eine liberale Flüchtlingspolitik eine starke Sogwirkung erzeugt und dass dies in Demokratien nicht mehrheitsfähig ist. Diese Erkenntnis lehnen viele Linke und Linksliberale allerdings aus moralischen Motiven ab. Und Rechte brauchen die Angst vor der Zuwanderung für die Mobilisierung ihrer Wähler. Auch sie hüten sich davor, das Ende der Krise auszurufen.

Dazu kommt, dass es in der EU keine großen, allseits befriedigenden Lösungen gibt und auch nicht geben kann. Weder lassen sich Asylwerber verpflichtend aufteilen, noch sind die von Sebastian Kurz forcierten Anlandeplattformen in Sicht. Auch für eine Reform des Dublin-Verfahrens, das die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun verspricht, existieren keine realistischen Pläne. Möglich sind nur Ad-hoc-Lösungen. Aber die reichen meist aus, auch für die paar Dutzend Flüchtlinge, die deutsche NGO-Schiffe dieser Tage aus dem Meer fischen.

Gerade weil illegale Migration weitgehend unter Kontrolle ist, eröffnen sich nun Möglichkeiten für vernünftige Alternativen: für deutlich mehr Hilfsgelder für die Flüchtlingslager in den Regionen, neue Optionen für legale Arbeitsmigranten und für Resettlement, die Aufnahme von Flüchtlingen mit besonderen Bedürfnissen. All das könnte Österreich auch ohne EU-Beschlüsse umsetzen. Und um die Zuwanderung zu bremsen, ist es nicht notwendig, gut integrierte Lehrlinge abzuschieben oder die Sozialhilfe für größere Familien zu kappen.

Wenn es je eine Chance für eine konstruktive Migrationsdebatte abseits von Polemik gab, dann jetzt. (Eric Frey, 19.7.2019)