Die Firma Reisswolf ist auf die Vernichtung von Datenträgern spezialisiert und konnte auch dem Kanzleramt beim Schreddern behilflich sein.

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Im Mai wurde ein Lkw der Firma Reisswolf vor dem Innenministerium gesichtet. Herbert Kickl musste damals sein Büro räumen, die zu vernichtenden Unterlagen waren reichlich.

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Wien – So gesehen hat Sebastian Kurz Glück, nicht mehr Kanzler zu sein: Er muss die Fragen, die die Opposition im Zuge der "Operation Reisswolf" an ihn hat, formal nicht mehr beantworten. Dafür ist seine Nachfolgerin Brigitte Bierlein zuständig. Sie sieht sich mit einer Flut an Anfragen konfrontiert, die SPÖ, FPÖ, Neos und Liste Jetzt nach der Schredderaktion angekündigt haben.

Ein Mitarbeiter aus dem Büro von Kurz hatte die Festplatte aus einem Drucker im Kabinett des Kanzlers zur Firma Reißwolf gebracht und dort schreddern lassen, wie der Kurier berichtete. Der Mann gab dabei einen falschen Namen an. Aber seine richtige Telefonnummer. Die Rechnung von 76 Euro zahlte er nicht, deshalb gab es eine Betrugsanzeige. Über die Telefonnummer wurde der Mann ausgeforscht, er ist mittlerweile in die ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse übersiedelt. Dort wurde er am Donnerstagabend von der Polizei abgeholt, er wurde einvernommen, auch seine Wohnung wurde durchsucht.

Der Mann ist geständig und kooperativ, nur eines dementieren er wie auch die Sprecher von Exkanzler und Volkspartei heftig: dass es einen Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre gebe. Von diesem war die Polizei nämlich ausgegangen. Der Zeitpunkt der Schredder-Aktion legte das nahe: Die Festplatte aus dem Drucker war wenige Tage nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre demontiert worden.

Der Drucker, mit dem man auch kopieren und scannen kann, speichert auf bestimmte Zeit alle Inhalte. Das kann eine Woche zurückgehen, aber auch einen Monat, bis der Speicher voll ist.

Keine Gerüchte anheizen

Das Team von Kurz erklärt, es sei ein "völlig üblicher Standardvorgang", dass persönliche Arbeitsunterlagen oder Daten, die nicht Bestandteile von Akten sind, bei einem Ressortwechsel gelöscht oder geschreddert werden. Dass der Mitarbeiter bei der Firma Reißwolf einen falschen Namen angegeben habe, sei schlicht eine Dummheit gewesen. Er habe kein Aufsehen erregen und keine Gerüchte anheizen wollen.

Der Mitarbeiter ist bei Kurz für Fotos, Videos und Social Media zuständig, er habe keine strategischen Aufgaben und sei auch nicht für Inhalte zuständig. Sein Vorgehen sei im Übrigen mit anderen Mitarbeitern des Kanzleramts abgesprochen, der Mann sei besonders technikaffin. Warum ausgerechnet diese eine Festplatte so umständlich außer Haus geschreddert wurde und andere nicht, dafür gibt es keine Erklärung. Die zerstörten Teile der Festplatte waren übrigens wieder im Kanzleramt abgegeben worden.

Am Sonntagnachmittag erklärte auch Kurz selbst vor Journalisten auf seiner Silicon-Valley-Reise, die Datenvernichtung sei ein "üblicher Vorgang". Der Mitarbeiter habe zwar "schlampig agiert", sich aber mittlerweile entschuldigt – und die offene Rechnung beglichen.

Übergabe durch Kern

Die Mitarbeiter von Kurz verweisen darauf, dass auch bei der Übergabe von Christian Kern im Dezember 2017 leere Büroräumlichkeiten und keine Datenträger oder Unterlagen aus der Ära Kern vorgefunden worden seien, also ein üblicher Vorgang.

Tatsächlich können Akten nicht gelöscht werden, ansonsten ist es aber üblich, dass Unterlagen aus den Vorgängerressorts mitgenommen oder vernichtet werden. Das gibt es in unterschiedlichen Intensitäten. Als Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 Kanzler wurde und bis dahin von der SPÖ geführten Ressorts an ÖVP oder FPÖ gingen, waren Büros nicht nur leergeräumt, sondern teilweise auch verwüstet. Computer- und Telefonanschlüsse waren aus der Wand gerissen worden.

Die Firma Reisswolf war zuletzt auch an anderer Stelle zum Einsatz gekommen: Als Herbert Kickl im Mai sein Büro im Innenministerium räumen musste, fuhr ein Lastwagen der Firma Reisswolf in der Herrengasse vor. Da wurden offensichtlich Unterlagen in größerem Ausmaß vernichtet. Aus einem anderen Ressort, das 2017 von der FPÖ übernommen wurde, wird berichtet, dass nicht nur alle Unterlagen mitgenommen wurden, sondern auch das Klopapier.

Einschlägige Erfahrungen

Die Mitarbeiter von Kurz erklären das penible Vorgehen bei der Vernichtung von Unterlagen damit, dass sie bereits negative Erfahrungen hätten. Offenbar war das Strategiepapier, in dem Kurz und sein Team die Machtübernahme skizziert hatten, 2017 von einer Druckerspeicherplatte heruntergeladen und dann einer Zeitung zugespielt worden.

Im Kanzleramt sei man auf Schritt und Tritt beobachtet worden, erzählt ein Mitarbeiter von Kurz; die SPÖ habe auch das Privatleben des ÖVP-Chefs ausspionieren lassen. Im Kanzleramt sei man überdies mit einer Vielzahl an roten Mitarbeitern und roten Sektionschefs konfrontiert gewesen. Immer wieder seien Unterlagen rausgespielt worden, auch direkt an die SPÖ-Zentrale.

Ibiza nicht im Kanzleramt

Mit der Ibiza-Affäre habe der aktuelle Vorgang definitiv nichts zu tun. Sollte es da überhaupt Unterlagen geben, könne wohl niemand so blöd sein, diese im Kanzleramt abzuspeichern.

Peter Pilz und Hans-Jörg Jenewein von der FPÖ vermuten, dass es sehr wohl einen Zusammenhang mit dem Ibiza-Video von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus gibt. Die ÖVP selbst habe auf angeblich gefälschte E-Mails von Kurz und seinem Kanzleramtsminister Gernot Blümel hingewiesen. Möglicherweise seien die Mails gar nicht gefälscht, sie würden nahelegen, das Kurz und Blümel schon viel früher Bescheid wussten. (Michael Völker, 22.7.2019)