Eine neue Studie von in den USA forschenden Ökonominnen und Ökonomen erzielt ein für die Wirtschaftspolitik sehr interessantes Ergebnis. Unter dem Titel "How Research Affects Policy: Experimental Evidence from 2,150 Brazilian Municipalities" untersuchen Jonas Hjort, Diana Moreira, Gautam Rao und Juan Francisco Santini, ob politische Entscheidungsträgerinnen und -träger wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre politischen Entscheidungen miteinbeziehen. Dazu führten die AutorInnen ein Feldexperiment in über 2.000 brasilianischen Gemeinden durch.

Das Ergebnis ist bemerkenswert: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister brasilianischer Gemeinden passen ihre wirtschaftspolitischen Entscheidungen an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand an, sobald sie ausreichend über diesen informiert worden sind. Zwar tun sie das nicht immer, aber doch in einer signifikanten Zahl von Fällen.

Das Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Politik ist also kein Naturgesetz. Das ist eine gute Nachricht, denn eine faktenbasierte Politikgestaltung ist einer rein ideologischen überlegen, wie im Blogbeitrag "Faktenbasierte oder ideologische Wirtschaftspolitik: Welche hat größere Erfolgsaussichten?" bereits ausgeführt wurde. Die Voraussetzung einer faktenbasierten Politik ist allerdings, dass wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt möglich sind und dass sie dann auch bis zu den politischen Entscheidungstragenden durchdringen und in die Gesetzgebung einfließen.

Daten sind die Voraussetzung faktenbasierter Politik

Woran die Bereitstellung wissenschaftlicher Evidenz bereits scheitern kann, sind also die Rahmenbedingungen für die Forschung. Österreichs Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Renaissance durchlebt. Stefan Thurner, Alexia Fürnkranz-Prskawetz, Nuno Maulide, Judith Simon und Gabriel Felbermayr und viele andere haben von Österreich aus auch im internationalen Maßstab bemerkenswerte akademische Karrieren absolviert.

Diesem Land fehlt es nicht an brillanten Köpfen. Aber den brillanten Köpfen wird oft die Möglichkeit verwehrt, ihre Fähigkeiten auszuspielen. Speziell den Lebens-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften fehlt es oft am Zugang zu forschungsrelevanten Daten. Die moderne Wissenschaft ist generell sehr empirisch ausgerichtet und beschäftigt sich im Allgemeinen mit praktischen und relevanten Fragestellungen. Die empirische Forschung kann nur so gut sein wie die Datenbasis, die ihr zur Verfügung steht.

Gerade wenn es um die Evaluierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen geht, steigt die Aussagekraft der empirischen Evidenz substanziell mit der Qualität und der Detailliertheit der verfügbaren Daten. Die qualitativ-höchstwertigen Datensätze finden sich zum einen in den Registern der öffentlichen Hand sowie in der offiziellen Statistik eines Landes. Viele hochentwickelte Länder wie etwa Dänemark, Schweden, Frankreich und die USA haben das Potenzial und die Notwendigkeit erkannt, Daten der öffentlichen Hand für ausschließlich wissenschaftliche Forschung zur Verfügung zu stellen, um die jeweilige Politik stärker an der vorhandenen Evidenz ausrichten zu können.

Die Hälfte ist geschafft … immerhin

In Österreich ist man (wie so oft) auf halber Strecke stehengeblieben. Durch eine Novelle des Forschungsorganisationsgesetzes wurde es möglich, mittels Verordnung Register der öffentlichen Verwaltung für die Forschung freizugeben. Diese Daten können allerdings nur dann optimal für wissenschaftliche Zwecke genützt werden, wenn sie mit den Daten der öffentlichen Statistik verknüpfbar sind. Dies ist in Österreich aufgrund des sehr restriktiven Bundesstatistikgesetzes nicht möglich.

Ein Antrag auf Änderung dieses Gesetzes hat vor kurzem nicht die notwendige Mehrheit erhalten, um im September im Nationalrat behandelt zu werden. Somit bleibt die österreichische Wissenschaft weiterhin in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, Evidenz bereitstellen zu können. Im internationalen Vergleich wird Österreich unter dieser Rechtslage nur in einem sehr eingeschränkten Ausmaß evidenzbasierte Politik umsetzen können, was wiederum ein Wettbewerbsnachteil für den Wirtschaftsstandort ist.

Think Austria? Think harder!

Kehren wir jedoch nochmals zum Ursprungsbefund der wissenschaftlichen Arbeit über Brasilien zurück: Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben ihre Maßnahmen dann stärker an Evidenzen ausgerichtet, wenn sie ausreichend darüber informiert worden sind. Um wirkmächtig zu werden, müssen Forschungsergebnisse also den politischen Entscheidungstragenden nachhaltig kommuniziert werden.

Auch in dieser Richtung gab es in der Vergangenheit Bemühungen. Mit "Think Austria" schuf Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz einen Thinktank zur strategischen Beratung der Bundesregierung, der aber von seiner Nachfolgerin sang- und klanglos aufgelöst wurde.

Die Idee, die Bundesregierung strategisch beraten zu lassen, war sicherlich richtig. Die reale Umsetzung in Form von "Think Austria" wirkte jedoch auf Außenstehende etwas undurchsichtig und uninspiriert – aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Die künftige Regierung hätte jedenfalls die Gelegenheit, ein neues Beratungsgremium aus österreichischen Spitzenwissenschafterinnen und -wissenschaftern zu schaffen, das transparent agiert und mit den Regierenden in einen öffentlichen Diskurs tritt – hart, aber fair.

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Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz versuchte sich mit seiner Denkfabrik "Think Austria" an evidenzbasierter Politik – mit wenig Glück.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Ein solches Gremium würde der Politik den neuesten Forschungsstand direkt vermitteln, ohne zwischengeschaltete Beratende, Interessenvertretungen, Ex-Politikerinnen und -Politiker und Managerinnen und Manager, die oftmals die Informationskanäle zur Spitzenpolitik kontrollieren. Dies wäre ein wichtiges Zeichen nach innen wie nach außen, welches den hohen Anspruch des Landes und seiner Politik an sich selbst dokumentiert.

Es versteht sich von selbst, dass dafür nur die besten Wissenschafterinnen und Wissenschafter infrage kommen. Die Politik benötigt einen intellektuellen Reibebaum, wenn sie gute Entscheidungen treffen will, die nachhaltig zum Wohle des Landes sind. Dafür bedarf es der besten Köpfe des Landes. Dies könnte ein Meilenstein zu einer besseren, faktenorientierten Politik werden.

Einbindung der Wissenschaft in die Gesetzgebung

Ein weiterer Schlüssel für evidenzbasierte Politik ist die Einbindung der Wissenschaft in den Gesetzgebungsprozess. Hierbei geht es nicht darum, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter konkrete Gesetzestexte formulieren. Vielmehr sollten sie zu anstehenden politischen Entscheidungen in einem sehr frühen Stadium des Gesetzwerdungsprozesses, die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger über die vorhandene Evidenz informieren und ihre Einschätzungen abgeben können. Hierzu gilt es geeignete Kommunikations- und Austauschforen zu entwickeln, die direkt in den Kabinetten und in der Verwaltung ansetzen, wo die Gesetzesvorhaben formuliert werden.

Der Nationalrat verfügt zwar theoretisch bereits über einige Instrumente wie zum Beispiel parlamentarische Enqueten und Expertenhearings in den Ausschüssen. Hierbei werden die Expertinnen und Experten oftmals jedoch eingeladen, um einen bereits bestehenden Gesetzesentwurf zu kommentieren.

Die Einbeziehung wissenschaftlicher Evidenz ist in diesem Stadium oftmals nicht mehr möglich. Die grundlegenden Entscheidungen fallen in aller Regel lange bevor ein Gesetzesentwurf in den Nationalrat eingebracht wird. Daher ist es notwendig, die Wissenschaft bereits vorparlamentarisch in den Gesetzgebungsprozess einzubinden, damit aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse Eingang finden können.

Drei Maßnahmen für eine bessere Politik

Es sind also drei einfache und bescheidene Maßnahmen, die den Weg zu einer besseren, evidenzbasierten Politik ebnen könnten. Erstens der Zugang der Wissenschaft zu Daten der öffentlichen Verwaltung und der amtlichen Statistik, um überhaupt Evidenzen schaffen zu können. Zweitens der unmittelbare Zugang von Spitzenwissenschafterinnen und -wissenschafter zur Regierung, damit gefundene Evidenzen direkt und ungefiltert kommuniziert werden können. Und drittens die möglichst frühzeitige Einbindung der Wissenschaft in die Gesetzgebungsprozesse, damit wissenschaftliche Evidenz auch in die Gesetze Eingang findet.

Nur ein weiser Fürst könne weise beraten werden, meinte Niccolò Machiavelli. Warten wir gespannt auf die Weisheit der künftigen Bundesregierung. (Harald Oberhofer, Gerhard Schwarz, 23.7.2019)

Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaft an der WU Wien und stellvertretender Vorstand des Instituts für Internationale Wirtschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen wirtschaftliche Integration und Außenhandelsökonomie.
Gerhard Schwarz ist Wirtschaftsforscher in Wien und Mitinitiator der "Plattform Registerforschung". Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich ökonomischer Unternehmensbefragungen und der Schaffung von Zugängen der Wissenschaft zu Register- und Statistikdaten.