Gedenken zum 24. Jahrestag des Massakers im Juli 2019.

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Jedes Jahr im Juli werden die im Laufe des Vorjahrs neu identifizierten Opfer des Massakers von 1995 beerdigt.

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Es war das größte Massenverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Das niederländische Höchstgericht hat nun entschieden, dass der Staat Niederlande teilweise für den Tod von 350 Menschen in Srebrenica im Juli 1995 verantwortlich ist. Die 350 Männer und Burschen wurden am 13. Juli 1995 aus dem Stützpunkt des niederländischen Uno-Bataillons in Potocari vertrieben. Daraufhin wurden sie von bosnisch-serbischen Truppen ermordet.

Damit wurde ein Gerichtsurteil bestätigt, wonach die niederländische Blauhelme, die in Srebrenica stationiert waren, um die Menschen in der Zone zu schützen, versagt haben. Den Niederlanden werden allerdings nur zehn Prozent Mitschuld gegeben, nicht 30 Prozent wie in einem früheren Gerichtsurteil.

Die niederländischen Soldaten übergaben die männlichen Zivilisten Mitte Juli 1995 an die Armee der Republika Srpska, die zuvor die Schutzzone eingenommen hatte. In den folgenden Tagen und Wochen wurden diese Leute – insgesamt über 8000 Menschen –, die in Srebrenica Schutz suchten, von Angehörigen der Armee der Republika Srpska, von Polizeikräften und serbischen Freischärlern ermordet, nur weil sie muslimische Namen hatten. Die Armee der Republika Srpska hatte zum Ziel, einen Teil von Bosnien-Herzegowina "ethnisch zu säubern", sodass dort hauptsächlich nur mehr Menschen mit orthodoxen Namen leben sollten, um diese Region später an Serbien anzuschließen und ein Großserbien zu schaffen.

Dieses politische Ziel wird bis heute von der mächtigste Partei im bosnischen Landesteil Republika Srpska, der rechtsextremen nationalistischen SNSD, verfolgt, die weiterhin den Staat Bosnien-Herzegowina auflösen will.

Schadenersatzforderungen

Die Angehörigen der 350 Opfer des Genozids in Srebrenica, die damals den Stützpunkt in Potocari hatten verlassen müssen, können nun Schadenersatzforderungen an den niederländischen Staat stellen. Denn dem Gerichtsurteil zufolge hätten die niederländischen Blauhelmsoldaten damals sehr wohl gewusst, dass die 350 Burschen und Männer, die an die Truppen des mittlerweile verurteilten Kriegsverbrechers Ratko Mladić ausgeliefert worden waren, in Gefahr waren, gefoltert und ermordet zu werden.

Erst vor wenigen Tagen wurde ein weiteres Massengrab in einer Art Höhle in der Nähe der ostbosnischen Stadt Višegrad gefunden. Für den Völkermord an Menschen mit muslimischen Namen in Srebrenica wurden vom Jugoslawien-Tribunal bisher 47 Personen zu insgesamt 704 Jahren Haft verurteilt. Der damalige Präsident der Republika Srpska, Radovan Karadžić, wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Geschichtsklitterung und Verschwörungstheorien

Trotz all dieser Urteile werden der Völkermord und die gezielte Vernichtung und Vertreibung von Bürgern mit nichtorthodoxen Namen von vielen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina, aber auch in Serbien geleugnet. Karadžić wird von diesen Rechtsextremen sogar glorifiziert. Deshalb wird zunehmend darüber nachgedacht, die Leugnung der Kriegsverbrechen und die Glorifizierung von Kriegsverbrechern unter Strafe zu stellen. Dies wird auch vom Internationalen Hohen Beauftragen in Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko, unterstützt.

Erst kürzlich unterbrachen rechtsextreme Nationalisten ein Theaterstück zum Thema Srebrenica, das in Belgrad aufgeführt wurde. Sie behaupteten, dass es in Srebrenica keinen Völkermord gegeben habe, dass die Geschichte verzerrt würde, dass Ratko Mladić ein Held sei und dass viele Opfer gar keine Muslime, sondern Serben gewesen seien. All diese Verschwörungstheorien und Geschichtsklitterungen sind sowohl in Bosnien-Herzegowina als auch in Serbien weit verbreitet. Viele Leute verbreiten etwa falsche Zahlen und behaupten, es habe ähnlich viele serbische Opfer wie Opfer mit muslimischen Namen gegeben.

Verherrlichung von Verbrechen

In den 1990ern war im ehemaligen Jugoslawien vor allem gegen Muslime (Bosniaken) und Albaner gehetzt worden. Dies hatte zu einer Stimmung geführt, die die Massenverbrechen erst ermöglichte.

In den vergangenen Wochen kam es im Umfeld von Moscheen in Ostbosnien immer wieder zu Zwischenfällen, etwa in Zvornik und in Bijeljina. So wurden Grabsteine auf dem islamischen Friedhof in Zvornik geschändet und ein Sticker an einer Tür in Bijeljina angebracht, der ein Messer und einen Stacheldraht zeigte, worunter "Srebrenica" zu lesen war. Andere Sticker waren mit dem Slogan "Das ist serbische Heimat" versehen. Der Fascho-Slogan "Messer, Draht, Srebrenica" wird von Rechtsextremen bei Fußballspielen, aber auch bei politischen Veranstaltungen gebrüllt.

Frauen in Schwarz

Aber in Serbien gibt es auch ganz andere Gruppen wie die "Frauen in Schwarz", die sich solidarisch mit den Opfern des Völkermords zeigen. Sie gingen nun zum Jahrestag Mitte Juli auf die Straße und zeigten Plakate, auf denen zu lesen war: "Wir vergessen niemals den Genozid in Srebrenica." Das Thema ist in Serbien von großer Bedeutung: Denn ohne die politische und militärische Unterstützung des serbischen Staates (damals noch Jugoslawien) hätte die Armee der Republika Srpska den Bosnienkrieg (1992–1995) gar nicht führen können.

Staša Zajović von den "Frauen in Schwarz" kritisierte nun auch Premierministerin Ana Brnabić, die den Genozid in Srebrenica leugnet. Sie warf Brnabić und Präsident Aleksandar Vučić vor, ein Klima zu schüren, in dem es an Respekt für die Urteile der Internationalen Gerichtshöfe mangle. Erst kürzlich hatte beispielsweise ein Abgeordneter von Vučićs Regierungspartei den Völkermord in Srebrenica als "Befreiung" dargestellt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 22.7.2019)