Zu sehen in der Verbund-Schau in Barcelona: Annegret Soltaus Fotoserie und Einschnürungsstudie "Selbst" von 1975.

Verbund Collection, Vienna

Cindy Shermans "Untitled (Bus Riders II)" von 1976/2005.

Verbund Collection, Vienna

Sie kann getrost als bestbesuchte österreichische Ausstellung aller Zeiten bezeichnet werden: Mit Stationen in mittlerweile elf europäischen Metropolen hat die Kunstsammlung des Energiekonzerns Verbund so viel Publikum erreicht wie noch keine andere heimische Schau. Und ihr Fokus auf feministische Kunst erscheint heute sogar noch aktueller als im Jahr 2009, als sich die Direktorin der Kollektion Gabriele Schor sich für diesen Schwerpunkt entschied.

Seit damals wurden über 600 Arbeiten erworben; viele davon verstaubten seit Jahrzehnten im Lager. Ein Drittel der stetig wachsenden Kollektion wird nun in Barcelona gezeigt; von den 67 Künstlerinnen stammen zehn aus Österreich. "Ich wollte der Sammlung Verbund ein einzigartiges Gesicht verleihen", erklärte Schor bei der gut besuchten Pressekonferenz im Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB).

Das prominentere Museum zeitgenössischer Kunst (MACBA) nebenan zeigt keine Privatsammlungen. Der Andrang war auch bei der Vernissage und beim Ausstellungsgespräch im Auditorium des katalanischen Kulturzentrums sehr groß. Zu den Ehrengästen der Veranstaltung zählten spanische Pionierinnen der "feministischen Avantgarde" (Schor), deren Kunstwerke in der aktuellen Schau vertreten sind und teilweise angekauft wurden.

Feminismus erst nach Francos Tod

"Bis zu Francos Tod war die Frauenbewegung in Spanien kaum existent. Männer und Frauen kämpften gemeinsam gegen die Diktatur", erzählte die Künstlerin Àngels Ribé im Gespräch. Erst nach 1975 sei der Kampf um gleiche Rechte für beide Geschlechter losgegangen. Unter Francos Regime durften Frauen ohne Zustimmung von Vater oder Gatte keinen Führerschein machen, kein Bankkonto eröffnen und keinen Mietvertrag unterzeichnen.

Scheidung war im erzkatholischen Spanien ebenso verboten wie Abtreibung. Das Klischee der sittsamen Spanierin stellte die mit der typischen Mantilla verschleierte Kirchgängerin dar, die sich in erster Linie um die Familie kümmern sollte. Der Katholizismus beglaubigte die Unterlegenheit der Frau und stärkte der iberischen Machokultur den Rücken.

Kein Wunder also, dass junge selbstbewusste Spanierinnen damals flüchten wollten. Die meisten der gezeigten Künstlerinnen kehrten in den 1970er-Jahren ihrer Heimat den Rücken, so auch Àngels Ribé. Die Katalanin ging 1967 nach Paris, um an der Sorbonne Soziologie zu studieren. Ihre feministische Erweckung erlebte Ribé im Zuge der Studentenrevolte durch die Frauenorganisation Le Torchon Brûle ("Der brennende Putzfetzen"), ehe sie 1972 in die USA zog.

Ungesagtes, Ungemachtes, Ungesehenes

In Chicago und später in New York kreierte die Künstlerin Arbeiten mit ihrem eigenen Körper, wie den jetzt vom Verbund angekauften Triptychon El no dit. El no fet. El no vist (The Unseen. The Unmade. The Unsaid) - "Das Ungesagte. Das Ungemachte. Das Ungesehene" -, der nach dem dem Sinnbild der drei Affen entstand. Besonderen Eindruck macht die erste dieser Fotogravuren: Dabei reißt die Künstlerin sich selbst den Mund derart heftig auf, als wäre es ein fremder Übergriff. Das schwarze Loch im Gesicht lässt automatisch an den Schrei von Edvard Munch denken.

Gewalt gegen Frauen und deren Verharmlosung hat in Spanien 2018 Massenproteste ausgelöst. Auslöser war eine Gruppenvergewaltigung am Rande der Stierhatz von Pamplona. Fünf Männer, die sich dort an einer 18-Jährigen vergangen hatten, wurden wegen "sexuellen Missbrauchs" milde verurteilt. Dieser Prozess löste im ganzen Land Demonstrationen aus und verlieh der spanischen Frauenbewegung – auch in der Folge von #Me Too – Einigkeit und Präsenz wie schon lange nicht mehr.

Den verzweifelten Ausdruck im Gesicht einer Frau verewigte auch Marisa González, die Ende der 1970er-Jahre zum Kunststudium nach Washington ging. Die Spanierin produzierte ihre Fotoarbeit Serie violencia mujer, nachdem sie auf einen Artikel über die gefolterten Frauen der Militärdiktatur von Augusto Pinochet gestoßen war. "Ich wollte mein Umfeld aufrütteln. Schließlich haben die USA Pinochets Regime an die Macht gebracht, aber dafür gab es kaum ein kritisches Bewusstsein", erzählte die 1945 geborene Künstlerin beim Ausstellungsrundgang.

Befreiung mit der Schere

Zur Eröffnung der jetzigen Schau reisten auch Ulrike Rosenbach und Annegret Soltau aus Deutschland an. Mit gezücktem Revolver zielt Rosenbach vom Ausstellungsposter auf die Betrachter. Die Künstlerin stellte damals einen Siebdruck von Andy Warhol nach, der Elvis Presley als Cowboy zeigt. Ein anderes Mal verkörperte die Videokunstpionierin Botticellis Venus und andere weibliche Archetypen der Kunstgeschichte.

Weniger das Rollenspiel als existenzielle Nöte beschäftigten Annegret Soltau, die für die Fotoserie Selbst ihr Gesicht 1975 mit Fäden umwickelte, bis weder Augen noch Mund mehr zu sehen waren. Ihren Körper einzuschnüren fiel in jener Epoche auch Künstlerinnen in anderen Ländern ein, wie die Schau beeindruckend zeigt. Unter den versammelten Arbeiten blieb Soltau jedoch die Einzige, die zur Schere griff. "Ich wollte mich unbedingt selbst befreien!", betonte die heute 73-Jährige, der das nicht nur in der Kunst gelungen ist. (Nicole Scheyerer, 23.7.2019)