Boris Johnson auf dem Weg in die Downing Street.

Frage: Welchen Hintergrund hat Johnson?

Antwort: Alexander Boris Johnson – von der Familie Al, vom Rest der Welt meist nur Boris genannt – wurde 1964 in New York geboren und wuchs weitgehend in Brüssel auf, wo sein Vater für die EWG arbeitete. Er ist Abkömmling der französischen Adelsfamilie de Pfeffel, Nachfahre einer illegitimen Tochter des Prinzen Paul von Württemberg sowie eines 1922 ermordeten türkischen Dichters. Ein Europäer par excellence.

Wer ist Boris Johnson, Großbritanniens neuer Premierminister?
DER STANDARD

Johnson macht seine Schwester Rachel für seinen Ehrgeiz verantwortlich; dass er nach Privatschule in Brüssel und Internat im Eton-College sein Studium der Altphilologie in Oxford nur mit einer Zwei abschloss, führte zu Tränen.

Es folgte ein Job bei der "Times", wo er wegen eines gefälschten Zitats gefeuert wurde. Der "Daily Telegraph" schickte ihn nach Brüssel, wo Johnson mit zugespitzten (und teils erlogenen) Artikeln Furore machte. Als Chefredakteur des rechten "Spectator" zog der Liberalkonservative 2001 ins Unterhaus ein.

Frage: Welche politischen Ämter hatte er bisher inne?

Antwort: Als kulturpolitischer Sprecher wurde der verheiratete Vater von vier ehelichen Kindern 2004 gefeuert, weil er über die Affäre mit einer Kollegin gelogen hatte. Als im Jahr darauf David Cameron konservativer Parteichef wurde, wandte Johnson seinen politischen Ehrgeiz dem Bürgermeisteramt der Hauptstadt London zu. Sein Triumph in der Metropole machte ihn 2008 endgültig zum Politstar. 2015 errang Johnson erneut ein Unterhausmandat. "Times"-Kommentator Tim Montgomerie: "Das moderne Britannien mag Johnson, weil Johnson das moderne Britannien mag."

Als Londoner Bürgermeister hatte Johnson de facto nur wenige Kompetenzen, war vor allem Bittsteller und Botschafter für seine Stadt. Der versprochene soziale Wohnungsbau blieb aus, mit teuren Prestigeprojekten – wie einer Seilbahn über die Themse sowie einer Gartenbrücke – verschleuderte Johnson Millionen.

Frage: Hat er internationale Erfahrungen?

Antwort: Theresa May berief den Brexit-Vormann 2016 in ihr Kabinett, 2018 trat er aus Protest gegen einen Brexit-Kompromiss zurück. Von einer Erfolgsbilanz im Foreign Office kann keine Rede sein. Im Rat der EU-Außenminister fiel er durch schlechte Vorbereitung auf, Geschäftsleute verschreckte er mit Sprüchen wie "Fuck business". Der im Iran inhaftierten iranisch-britischen Bürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe schadete Johnson, indem er indirekt den Vorwurf Teherans bestätigte, sie habe dort junge Journalisten ausgebildet, während die Angeklagte von einem Privatbesuch sprach.

Die diplomatische Öltanker-Krise mit Teheran kommt zur Unzeit; der Biograf von Kriegspremier Winston Churchill (1874–1965) verfügt, anders als sein großes Vorbild, über keinerlei militärische Erfahrung.

Immer wieder steht dem seriösen Politiker Johnson der polemische Journalist Johnson im Weg. In einer vernichtenden Kolumne für die "Times" attestierte der frühere Tory-Abgeordnete Matthew Parris dem Parteifreund eine Reihe von Charaktermängeln, etwa "lässige Unehrlichkeit, Grausamkeit, Verrat; das Fehlen jeglicher echten Ambition, mit dem Amt, das man erreicht hat, auch etwas anzufangen".

Frage: Was bedeutet Johnson der neue Job?

Antwort: Aus der Familie stammt die Anekdote, schon als Bub habe Johnson "König der Welt" werden wollen. Dass ihm nun der Posten als Premierminister Ihrer britannischen Majestät winkt, stellt die Verwirklichung eines langgehegten Traums dar.

Finanziell stehen dem Vater von mindestens fünf Kindern allerdings Einbußen ins Haus. Der Bestsellerautor erhält bisher für seine Kolumne im "Daily Telegraph" über 300.000 Euro pro Jahr. Seit dem Rücktritt als Außenminister hat er damit sowie mit Reden und Auftritten weltweit über 920.000 Euro verdient; das vergleichsweise klägliche Premierministergehalt von knapp 178.000 Euro wird also Einschränkungen nach sich ziehen müssen. Immerhin darf Johnson mit seiner Partnerin Carrie Symonds (31) in der Downing Street und auf dem Landsitz Chequers kostenfrei wohnen und sich auf Steuerzahlerkosten neue Möbel kaufen – die alten hat seine in Scheidung lebende Frau Marina einbehalten.

Frage: Wie gut sind seine Erfolgsaussichten?

Antwort: Selbst mit Unterstützung der nordirischen Unionistenpartei DUP verfügen die Tories im Unterhaus nur noch über eine knappe Mehrheit von zwei bis drei Stimmen. Insofern steht seine einstweilen unklare, von großer Rhetorik gekennzeichnete Brexit-Linie in Zweifel. Einen Vorgeschmack auf die Regierungszeit lieferten übers Wochenende die angekündigten Rücktritte der Minister Philip Hammond (Finanzen), David Gauke (Justiz) und Rory Stewart (Entwicklungshilfe). Das Trio kam der Entlassung durch den neuen Premier um zwei Tage zuvor und sorgte für problematische Schlagzeilen.

Viel hängt davon ab, ob Johnson in die Kernressorts Brexit-Hardliner beruft oder auch Kompromissbereiten eine Chance gibt. In jedem Fall gilt: Anders als das Parlament selbst, das ab Freitag für fast sechs Wochen in die Sommerferien geht, werden die neuen Minister Sonderschichten einlegen müssen. Schließlich will Johnson nicht den Negativrekord von George Canning unterbieten: Der Tory amtierte 1827 lediglich 114 Tage als Premierminister. (Sebastian Borger, 23.7.2019)