Zehn Kilometer auf Gras also. "Wellig". "Wellig" heißt auf Deutsch "immer wieder bergauf" – und auch wenn man auf einem Rund- oder Hin-und-her-Kurs dort, wo man aufwärts rennt, wieder hinunterläuft, sind Bergauf-Parts immer länger. Und steiler. Das ist ein Naturgesetz.

Und auch noch auf Gras. Nein, nicht auf Fußball- oder Golfrasen, sondern über stinknormale Wiesen. Futter- oder Weidewiesen, gemischt mit Spazierweg. Uneben. Unregelmäßig: "Oida", sagen die Füße. Und das ist kein "Wow, wie cool ist das denn"-Oida, sondern ein "Geht's noch?"-Oida.

Obwohl das unfair ist. Weil der Laufpart beim Mürzer-Oberland-Naturpark-Triathlon in Wirklichkeit nämlich super ist. Landschaftlich sowieso. Aber auch sonst in jeder Hinsicht. Also fange ich lieber noch einmal von vorn an.

Foto: thomas rottenberg

Zehn Kilometer auf Gras können großartig sein. Speziell für immer noch müde Beine, Füße und Sprunggelenke: So hart wie Asphalt ist eine frisch gemähte Wiese nämlich nie. Auch nicht, wenn schon 500 oder 1.000 Leute drübergetrampelt sind. Schon gar nicht, wenn da gerade 250 Leute unterwegs sind und man nicht einmal Letzter ist.

Genau das war das Setting, als ich Samstagnachmittag im Neuberg an der Mürz neben dem Urani-Naturbadeteich aus der Wechselzone trabte und mich gemächlich auf die Laufstrecke machte: 250 Teilnehmer, hatte mir Gernot Greylinger ein paar Stunden zuvor gesagt, seien für heute angemeldet.

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Greylinger ist in der Obersteiermark eine Legende. Dazu später. Denn heute ging es nicht um ihn, sondern um dreieinhalb Bewerbe, die sein Verein, das "Fun Sports Tri Team", zum zehnten Mal im und um den Urani-Teich in der 1998 gegründeten Naturparkregion (und zum 26. Mal in der Vereinsgeschichte) ausrichtete: Ein Kinder-Aquathlon, also Schwimmen und Laufen (entweder über 50 und 600 Meter oder 170 und 1.200 Meter), ein Hobby-Triathlon (0,2 Kilometer im Wasser, 11 Kilometer auf dem Rad und 3 laufen) und ein Triathlon über die Olympiadistanz ("OD") – also 1.500 Meter Schwimmen, 40 auf dem Rad und dann noch zehn Kilometer laufen. Die OD konnte man auch als Staffel absolvieren.

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Insgesamt 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind kein riesiges Starterfeld – und das ist super. Für Jedermann- und -frausportler sind solche Events perfekt, um zu probieren, ob einem Multisport eventuell sogar taugt. Für lokale Die-Hards eine Möglichkeit, daheim zu zeigen, was man draufhat. Für die Region ein Impuls.

Für den Sport, egal welchen, schöne Leuchttürme, dass Sich-ein-bissi-Quälen sinn- und gemeinschaftsstiftend sein kann – und Spaß macht. Und es rechnet sich: "Ja", lacht Gernot Greylinger, "wir verdienen damit Geld: Mit dem Triathlon finanzieren wir unsere Weihnachtsfeier."

Foto: thomas rottenberg

Was mich hierher verschlug? Freunde, für die der Event Tradition und Positionsbestimmung dafür ist, wo sie trainingstechnisch stehen.

Darüber, ob es schlau ist, zwei Wochen nach einer Langdistanz (speziell nach einem Haarscharf-am-Absturz-vorbei-Stunt wie dem in Klagenfurt) eine OD anzuhängen, kann man diskutieren. Aber: Ich fühle mich fit, weiß, dass mein Körper noch ein paar Wochen im Schongang nicht nur verträgt, sondern braucht: "Mach ein Koppeltraining draus, aber pass auf, nicht auf Anschlag unterwegs zu sein: Hab einfach Spaß", hatte mir Harald mit auf den Weg gegeben. Dass "auf Anschlag" jetzt noch ein gutes Stück unter dem ist, was ohne Vorbelastung drin sein könnte, weiß ich eh.

Foto: thomas rottenberg

Und Spaß kann man bei einem Event wie in Neuberg haben, eben weil hier alles zwar professionell, aber auch niederschwellig und mit Augenzwinkern abläuft: Eine Badehaube wie diese wird man anderswo eher nicht sehen. "Sonst muss man die Veranstalter-Badehauben tragen, heute aber kann ich endlich mal die hier aufsetzen", lachte Kevin.

Was bei kleinen Bewerben oft schlimmer als bei großen ist: das Gedränge im Wasser, die Massenschlägerei auf dem Weg, zumindest zur ersten Wendeboje. Bei Großevents gibt es mittlerweile fast überall "Rolling Starts" und eine Zeitnehmungsmatte, die die tatsächliche Startzeit misst. Bei Kleinevents macht es "Tröt" – und die Uhr läuft für alle. Wer ehrgeizig ist, drückt an – wurscht, wer oder was da neben, vor oder unter einem schwimmt.

Foto: thomas rottenberg

Der Urani-Teich ist winzig. Dementsprechend eng ist es bei den Bojen. Wer nicht geprügelt werden (oder andere prügeln) will, hat keine Chance auf eine gute Schwimmzeit: Ich stellte mich in die allerletzte Reihe – auch um zu fotografieren – und schwamm als Allerletzter los. Vorbei an einem Dutzend Brustschwimmer, weit außen – und landete trotzdem in einem Pulk. Raus an die Seite, vorbei.

Aber bei der nächsten Boje war ich dann wieder im Pulk. Der Vorteil: Im Wasserschatten einer Gruppe wird man mitgezogen. Der Nachteil: Wenn das noch schwächere Schwimmer sind als man selbst, hängen die sich dann, wenn man sie überholt, an einen an. Mitunter sogar im Wortsinn.

Foto: thomas rottenberg

Ich gestehe: Ein- oder zweimal fielen meine Beinschläge vielleicht eine Spur fester aus, als wenn ich allein schwimme. Aber die meiste Zeit schwamm ich eh allein: zwei Runden im kleinen Teich, unter der Brücke durch, eine Runde im zweiten Teich, raus aus dem Wasser und zu Fuß 200 Meter in die Wechselzone.

Das Gute an solchen Schwimmstrecken: Man ist nie weiter als zehn, 15 Meter vom Ufer entfernt. Gerade für weniger sichere Schwimmer kann das ein Vorteil sein, weil man weiß, dass es sich immer an Land ausgehen würde: Mitten in einem großen See kann einem das Kopfkino Streiche spielen.

Foto: thomas rottenberg

Die Radstrecke in Neuberg ist nicht sonderlich originell, aber super: Es geht es die B23 flussaufwärts. Über Mürzsteg bis nach Frein sind es 20 Kilometer durch wunderschöne, typisch steirische Postkartenlandschaften: Berge, der Fluss, Uferlandschaften, weite Wiesen, Höfe, Dörfer, Schluchten und Klammen.

Immer leicht, nie wirklich steil bergauf. Das Beste aber ist die Luft. Der Duft von Nadelwald. Auch wenn diese Strecke auch auf dem Motorrad ein Traum ist: Den Wald riecht man, so man nicht wandert, nur auf dem Rad so intensiv.

Foto: thomas rottenberg

Bei Frein geht es dann um einen großen Hof, Fieserweise, in dem ist auch ein Gasthaus. Dort sitzen Rennradfahrer und feuern an. Eh nett. Nur: Es hat gefühlt 34 Grad, und irgendwer winkt mir mit einem Eisbecher zu. Danke, ganz lieb.

Dafür geht es jetzt die gleiche Strecke zurück. 20 Kilometer fast nur bergab machen Spaß. Aber ich muss auch ein bisserl aufpassen: 70, vielleicht 80 Prozent Druck, aber nicht auf Anschlag, habe ich mir und Harald versprochen. Leicht fällt das bei so einer Bolzerei nicht – und landschaftlich ist auch der Blick in die Gegenrichtung fein. Man könnte ja auch einfach so zum Radfahren mal herkommen. Rund 80 Prozent derer, die hier nicht auf dem Rennrad sitzen, fahren übrigens E-Bikes.

Foto: thomas rottenberg

Wechselzone: Rund die Hälfte der Räder ist schon da. Das entspricht meiner subjektiven Wahrnehmung auf der Strecke, ist aber egal. Daran erinnere ich mich jetzt noch einmal: Nicht. Auf. Anschlag.

Nebenbei: POV-Pics, also Point-of-View-Fotos, aus Wechselzone und Rennen sind nicht selbstverständlich.

Die Regeln sind strikt und eindeutig – und nachvollziehbar: Keine Gerätschaften (außer Uhren) im Bewerb. Unkoordiniertes Handy- und Selfie-Gefuchtel wäre auf dem Rad sogar lebensgefährlich. Bei einem kleinen Starterfeld kann man aber Ausnahmen machen, wenn man mit Veranstalter und Rennrichtern abklärt, wie und vor allem wie nicht fotografiert werden darf. Meine Gopro hat keinen Monitor: Ich komme also gar nicht in Versuchung zu schauen, was im Bild sein könnte. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Emotion.

Foto: thomas rottenberg

Laufen also. Zehn Kilometer Gras. Nach 300 Metern merke ich: Wenn das kein Spaziergang werden soll, wird das alles andere als ein Spaziergang. Der Boden ist eben unregelmäßig. Da einen Rhythmus zu finden dauert länger als auf Asphalt. No na. Nach 500 Metern kommt mir der Gesamtführende entgegen. Ich vermute, dass er schon am Ende seiner zweiten Fünf-Kilometer-Schleife ist, während ich gerade erst anfange: Oida!

Foto: thomas rottenberg

Auch wenn ich nicht aufdrehe, ist Laufen heute echt zaach. Den Boden haben viele unterschätzt, die hier noch nie waren. Aber das erfahre ich erst nachher: Auf der ersten Runde kämpfe ich massiv mit der Umstellung vom Rad aufs Laufen, und das Terrain macht das nicht gerade einfacher.

Foto: thomas rottenberg

Dass es hier wunderschön ist, kriege ich zwischen meinen Flüchen mit. Trotzdem frage ich mich, wieso ich meine Freunde nicht Tri spielen lasse – und selbst einfach einen schönen, stressfreien Traillauf in diese Bilderbuchlandschaft setze. Gefolgt von Plantschen im Teich und einem rustikalen Gasthausessen, das dreimal so viel Kalorien bringt, wie ich davor verbrannt habe. Aber nein: Ich renn deppert mit einer Startnummer in der Sonne im Kreis.

Foto: thomas rottenberg

Das Gute, wenn man nicht das erste Mal vom Rad auf Laufschuhe wechselt: Man weiß, dass das normal ist. Dass es besser wird. Richtig fein werden kann. Landschaft und Ausblicke helfen enorm. Auch dass man einander immer wieder begegnet: Alle lachen oder leiden so wie man selbst. Man feuerte einander an, klatscht ab, wünscht allen von Herzen das Allerbeste – und hofft trotzdem, dass man nicht doch eingeholt wird: Die anderen wirken immer schneller, als man sich selbst fühlt.

Foto: thomas rottenberg

Natürlich hilft es auch, von außen angefeuert zu werden. Auf halber Strecke haben die Fun-Sports-Leute ein Soundsystem aufgestellt.

Warum überall auf der Welt dann ein Mix aus Rammstein und AC/DC läuft, verstehe ich: Arschtritt-Sounds. Ich mag das eh. Aber seit einmal einer vor mir kollabierte und ich während der Reanimation (ein echtes Scheißgefühl, aber es ging gut aus) gefühlt eine Stunde "Highway to Hell" hörte, habe ich mit diesem Lied ein Laufproblem. (Tatsächlich waren die Sanis damals eh in eineinhalb Minuten da.)

Egal: Hier feuerte uns Gernot Greylinger an. Der Mann in der knallroten Motorradkombi war zuvor das Radfeld permanent abgefahren. Greylinger ist Obmann des Veranstaltervereins und eine steirische Triathlon-Ikone: Irgendwer sagte mir, Greylinger sei schon zehnmal in Kona auf Hawaii, also beim Original-Ironman gestartet – und durchgekommen. Nach Kona muss man überhaupt erst mal kommen …

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Mir ging es ab Kilometer vier super: Beine und Kopf hatten sich an Strecke und Boden gewöhnt, heiß war es trotzdem. Sauheiß. Kurz überlegte ich, zwischendurch in den See zu hüpfen. Wasser über den Kopf tut es aber auch: ein Becher von oben, einen halben trinken – und zwei Schluck Iso.

Dass mir das die Kamera verklebte und den Bildern einen Hamilton-Blur gab, bitte ich zu entschuldigen – wer Profi-Sport-Pics erwartet, ist hier eben falsch.

Anderswo wären die Becher dann über die ganze Stecke verteilt gelegen, aber hier hatten die Rennrichter klargemacht, dass das Einhalten der "Littering-Zone" keine Kann-Option ist: "Das ist eine Rennstrecke, kein Mistkübel. Ihr haltet euch dran. Ohne Ausnahme." Gut so.

Foto: thomas rottenberg

Beim Fotografieren stehenzubleiben zahlt sich meistens aus. Wegen der Bilder und der Leute: Die drei Nordic-Walking-Wanderdamen boten mir sogar Jause an. Sie fanden auch, dass der Blick vom Bankerl ins Land und auf die Kirche von Neuberg ausgesprochen nett sei. Dass sich Neuberg und der Naturpark selbst irgendwo als "instagramtauglichste Gegend der Steiermark" bezeichnen, kommt nicht von ungefähr, es gibt aber (noch) keine Insta-Pflicht für Besucher. Aber vielleicht kommt das ja noch.

Foto: thomas rottenberg

Obwohl zumindest die zweite Hälfte des Laufes ein echter Genusslauf war und überall ein bisserl mehr gegangen wäre, war ich dann doch froh, als es vorbei war. Die Zeit war mit knapp unter 2:35 in etwa das, was ich erwartet hatte.

Auch meine Freunde kamen wohlbehalten, strahlend und zufrieden ins Ziel. Fast alle Damen kamen in ihren Altersklassen sogar aufs Stockerl, was zwar wurscht ist, aber eben doch jede und jeden freut. Kurz: ein perfekter Tag bei einem perfekten Event in einer perfekten Umgebung. Schöner, freundlicher und einladender kann man Sport kaum inszenieren: eine echte Empfehlung – auch zum Schnuppern und Probieren.

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Obwohl es da schon auch ein massives Aber gibt. Am Tag nach dem Rennen fand ich auf der Facebook-Seite des Veranstalters eine Anmerkung: Für die tatsächlich Schnellsten (also nicht die Agegrouper) hatte man Geldpreise ausgelobt. Nicht viel, aber eben doch. Ich hatte mir (wozu auch?) diesen Teil der Eventbeschreibung nicht einmal angeschaut.

Zumindest eine Frau aber sehr wohl: Dass die Preisgelder für Frauen halb so hoch wie für Männer waren, machte sie fassungslos. Vollkommen zu Recht. "Glaubt Ihr, dass wir uns nur halb so viel anstrengen? Oder dass wir uns nach der halben Strecke hinsetzen und die Nägel lackieren? Wir zahlen ja auch nicht nur das halbe Startgeld."

Die Veranstalter reagierten, zumindest online, nach einem kurzen Abwiegelversuch ("Wir werden das Thema bei der nächsten Jahreshauptversammlung aufgreifen") dann einsichtig: "Ja, manchmal braucht's halt jemanden, der auf etwas aufmerksam macht. Besser spät als nie."

Gut so, ich würde in Neuberg nämlich auch 2020 gerne wieder starten. (Thomas Rottenberg, 23.7.2019)


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