Jährlicher geografischer Mittelpunkt des Popfest Wien mit der großen Seebühne (nicht im Bild): der Teich am Wiener Karlsplatz.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

"Wien, du Vielvölkerstadt! Zeig her deine Schätze!", heißt es gleich am Anfang des Mission Statement zum diesjährigen Jubiläumspopfest. Bereits zum zehnten Mal geht das Musikfestival mit rund 70 Live-Acts über die zehn Bühnen rund um den Wiener Karlsplatz.

Die Musikerinnen und erklärten Feministinnen Mira Lu Kovacs (Schmieds Puls, 5K HD) und Yasmin Hafedh (Yasmo) zeichnen heuer für das Programm verantwortlich, das auch ein Statement sein soll: Queere Künstlerinnen oder Musikerinnen mit Mirgrationshintergrund und viele Personen oder Plattformen, die ihre Musik aktivistisch oder zumindest dezidiert politisch verstehen (Mascha, Gürtel Squad etc.), finden sich im Programm.

Frauen in der Mehrheit

Deutlich mehr Frauen als Männer werden von 25.bis 28. Juli ihre Popentwürfe vorstellen. Den Kuratorinnen ist wichtig, unbekannteren und unterrepräsentierten Stimmen zu Sichtbarkeit zu verhelfen, ihnen die Möglichkeit zu geben, neue Fans zu gewinnen.

In all den Jahren Popfest war der Popbegriff immer sehr breit definiert und natürlich auch von den Präferenzen der jeweiligen Kuratoren abhängig. Heuer findet sich mit Künstlerinnen wie Lylit, Soia, Lou Asril oder The Unused Word sehr viel Souliges. Hip Hop – von Storytelling bis Trap – gibt’s schwerpunktartig mit Acts wie Monobrother, Ebow, Hunney Pimp oder Keke. Ja, die E-Gitarren sind spärlicher gesät als in früheren Jahren, aber auch vorhanden: Bei der neuen Hype-Band My Ugly Clementine, in der Kuratorin Kovacs selbst Gitarre spielt, oder bei den Riot-Punkern Lime Crush, um nur zwei Beispiele zu nennen. Für die Eurovision-Fans sind Paenda und WURST, das junge Elektropop-Projekt von Thomas Neuwirth, der uns "den Schas" anno 2014 als Conchita gewann, da.

Vermessung der Popszene

Auch im Rahmenprogramm, das natürlich nicht offiziell so heißt, wird die Handschrift der Kuratorinnen deutlich. Die Zeichen stehen ganz auf Austausch. Im Rahmen der Popfest Wien Sessions, eines zweitägigen Diskursprogramms, können vom Publikum Fragen an Personen aus der Musikindustrie gestellt werden, Jamsessions und Open-Mics zum Netzwerken und Teilhaben gehören auch zum Programm.

Wiens erster politisch korrekter Comedy Club, der PCCC* oder die Grande Dame des Poetry Slam, Mieze Medusa, machen in der Festivalzentrale im Wien Museum halt – die Existenz einer solchen ist übrigens ein Novum und heuer nur möglich, weil im Wien Museum umgebaut wird. Im Karlsgarten wird am Sonntag von Marie Luise Lehner, Martin Peichl und anderen gelesen, die Buchpräsentation der Jubiläumspublikation Ein Deka Pop des Popfest-Mitbegründers Robert Rotifer findet am Freitag im Wien Museum statt.

Fette Pop-Jahre

Die letzten zehn Jahre waren für Pop aus Österreich durchaus fette. Dementsprechend muss eine Bibel her. Robert Rotifer, Journalist und Musiker, hat sich dieser Aufgabe angenommen: In Ein Deka Pop stellt er in kurzweiligen Porträts alle 400 Acts vor, die seit 2010 die Bühnen des Popfests geziert haben und vermisst so die österreichische Musiklandschaft der jüngeren Vergangenheit.

Einige wenige längere Texte von Katharina Seidler, Christoph Möderndorfer und Gabriela Hegedüs oder Rotifer selbst geben Einblick, wie der Karlsplatz vom "wüsten Land" zum jährlichen Hot-Spot wurde oder schwelgen in ganz persönlichen Erinnerungen. Im Kern ist Ein Deka Pop aber ein praktisches Nachschlagewerk von einem Musikfan für Musikfans. Ein verlässlicher Überblick mit Option auf Neuentdeckungen. (Amira Ben Saoud, 23.7.2019)

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Unsere Popfest-Tipps

Die zwischen München und Wien jetsettende Ebru Düzgün alias Ebow ist längst kein Geheimtipp mehr. Ihr letzter Longplayer K4L (Kanak for Life) beschäftigt sich aufrichtig und angriffig, aber nicht ohne Schmäh mit Identitätsfragen. Es klingt aber auch gut, wenn's nur ums Kiffen geht. 25. 7., Seebühne, 18.30

EBOW OFFICIAL

Wortkarg und geheimnisvoll gibt sich der erst 19-jährige Lukas Riel aus Oberösterreich, wenn er in die Rolle des Lou Asril schlüpft. Lieber lässt er seine Songs sprechen. Diese zeichnen sich durch Gespür für die große Popgeste und eingängige Melodien mit Twist aus, doch ist es die geschmeidige (Falsett-)Stimme, die ihn unverkennbar macht. Außerdem besetzt er eine interessante Nische: Alternative-RnB made in Austria gab es so vielversprechend noch nicht. 26. 7., Seebühne, 20.00

Lou Asril

Die neue Band My Ugly Clementine um Popfest-Kuratorin Mira Lu Kovacs, die sich hier auf die Gitarre beschränkt, wird gerade ordentlich gehypt. Möglicherweise wird das dem Edel-Grunge des Frauenquartetts, dem auch Sophie Lindinger von Leyya als Songschreiberin angehört, nicht ganz gerecht. Aber Nummern wie die erste Single Never Be Yours rocken amtlich. 26. 7., Prechtl-Saal, 23.00

My Ugly Clementine