Der alte Bach hatte ein versöhntes Verhältnis mit dem Tod. Zumindest klingt seine Musik danach. Das absteigende Bassmotiv aus der frühen Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen hat Bach im Crucifixus der späten h-Moll Messe wieder aufgegriffen. Wenn sich Franz Liszt zum Zwecke einer Trauermusik dieses Motivs bedient, ist das keine Übung zur Ars Moriendi, kein Ausdruck von Erlösungshoffung in christlicher Ergebenheit. Liszts Variationen über ein Motiv von Bach, geschrieben nach dem frühen Tod der Tochter, sind eine Anklage Gottes.

Igor Levit eröffnete das erste seiner beiden Solistenkonzerte mit Werken von Franz Liszt, in denen reichlich Tränen fließen. Mit der ihm eigenen Delikatesse gestaltete Levit die ruhigen Momente. Das Recitativo lento etwa steigert er, über ein unerbittliches Cescendo, bruchlos zum aberwitzigen Fortissimo. Dem wie eine Versöhnungshoffnung aufsteigenden Choral Was Gott tut, das ist das wohlgetan machen pianistischer Theaterdonner und Bildersturm alsbald wieder den Garaus: All diese Extreme im Ausdruck rundet Igor Levit zu Klängen aus einem einzigen Guss. Atemberaubend.

Am Klavier gegen Nationalismus

Auch im Stück Sunt lacrymae rerum aus Années de pèlerinage III wurden die wenigen lichten Momente zermalmt von Felsstürzen aus Klang. Geschrieben 1872 sollte En mode hongrois an die Gefallenen des gescheiterten Ungarnaufstandes von 1848/49 erinnern. Keine Folklore, purer Pessimismus. In der Lesart von Igor Levit ein Stück für unsere Gegenwart des aufkeimenden Nationalismus.

Eine Liszt’sche Bearbeitung des Lacrimosa aus dem Mozart-Requiem war die Atempause vor dem Gipfelsturm Richtung Fantasia contrappuntistica von Ferruccio Busoni. Dieser hatte es sich in den Kopf gesetzt, die fuga a 3 soggetti zu vollenden. Herausgekommen ist ein aberwitziges kontrapunktisches Monumentalwerk, dessen komplexte Strukturen Igor Levit zum Mitschreiben transparent als quasi "Romantischen Kontrakpunkt" in den Raum gestellt hat. (klaba, 23.7.2019)