Im Gegensatz zu Physik oder Chemie werden im Finanzsektor selten allgemeingültige Regeln formuliert. Das Verhalten der einzelnen Akteure ist vielfältig und oft unvorhersehbar, Versuche können nicht wiederholt werden, und generell scheint die Logik der Börse keinen Naturgesetzen zu gehorchen. Doch es gibt sehr wohl Konstanten, wie das Projekt von Christa Cuchiero zeigt. Sie forscht am Institut für Statistik und Mathematik der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) am Schnittpunkt von Mathematik und Finanzwissenschaft. Erst kürzlich bekam sie als einzige Frau einen von den sechs begehrten Start-Preisen, die jährlich vom Wissenschaftsfonds FWF und dem Wissenschaftsministerium verliehen werden.

Finanzmathematikerin Christa Cuchiero ist heuer die einzige weibliche Start-Preisträgerin.
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Cuchiero erklärt die überraschende Universalität an einigen Beispielen: Da wären einerseits die Kurven der Marktkapitalisierungen. Ein Maß, für das die Börsenkurse mit der Anzahl der im Umlauf befindlichen Aktien eines Unternehmens multipliziert werden. Die Verteilung dieser Werte sehe über die letzten 90 Jahre immer gleich aus – unbeeindruckt von einer Finanzkrise oder einer florierenden Wirtschaft. Und auch bei der sogenannten Volatilität, die Cuchiero nach den Preisen als zweitwichtigste Größe auf dem Finanzmarkt bezeichnet, ist solch ein allgemeingültiges Phänomen zu beobachten: "Volatilität beschreibt die Schwankungen von Preisen. Und wir haben gesehen, dass sie als mathematische Größe ein besonderes, nämlich raues Verhalten hat." Wird eine solche stabile Größe erstmals statistisch ermittelt, kann man versuchen, ihr Verhalten zu modellieren und so Voraussagen zu treffen.

Preissetzung und Risikoeinschätzung

Auf mathematischer Seite geschieht das mit sogenannten stochastischen Prozessen: "Das individuelle Verhalten am Aktienmarkt, also wie einzelne Händler kaufen und verkaufen, ist schwer abzuschätzen", erklärt die gebürtige Oberösterreicherin. Stochastische Modelle können die Dynamiken der Preise abbilden und berechnen, wie sich ihre Wahrscheinlichkeit verteilt.

Dieses Wissen fließt daraufhin wieder in den Finanzsektor ein und wird dort etwa für Preissetzungen und Risikoeinschätzungen eingesetzt. "Gerade nach der Finanzkrise ist das wichtig. Wir können so zum Beispiel einschätzen, ob es ein Event geben könnte, an dem das ganze System bankrottgeht." Universelle Modellierungsansätze spielen auch im Bereich von Maschine Learning und künstlicher Intelligenz eine große Rolle. Ihre Forschungsgruppe an der WU kooperiert deshalb auch eng mit der ETH Zürich. Cuchiero: "Finanzmathematik und Machine Learning inspirieren sich gegenseitig."

Schon in der Volksschule habe sie lieber gerechnet als Aufsätze geschrieben, meint die Mathematikerin. Während des Studiums an der Technischen Universität Wien und an der ETH Zürich konzentrierte sie sich auf die Bereiche Stochastik und Wahrscheinlichkeitstheorie. Auch heute fasziniere es sie, dass man Fragestellungen aus der Praxis auf beweisbare, mathematische Aussagen zurückführen könne. "Das ist für mich, wie Rätsel zu lösen."

Das Leben jenseits der Wissenschaft verbringt Cuchiero jedoch nicht mit Spekulationen auf dem Aktienmarkt. Viel lieber investiert sie ihre Zeit und Muße in Wintersport wie Skitouren und Tiefschneefahren und in Kinobesuche. (Katharina Kropshofer, 27.7.2019)