Ein beschädigtes syrisches Geschäft im Istanbuler Stadtteil Küçükçekmece.

Foto: AFP / Bülent Kiliç

Die Lage für syrische Flüchtlinge in Istanbul wird schwieriger. Bis 20. August haben Syrer ohne offizielle Aufenthaltserlaubnis Zeit, die Stadt zu verlassen. Wer der Aufforderung nicht nachkomme, werde in die Stadt zurückgebracht, in der er oder sie registriert sei, hieß es aus dem Gouverneursamt von Istanbul. Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung werden außer Landes gebracht.

Es ist unklar, wie viele Syrer genau in Istanbul leben. Offizielle Zahlen sprechen von etwa einer halben Million. Die inoffiziellen Zahlen dürften weitaus höher sein. Viele Bürgerkriegsflüchtlinge sind in anderen Städten des Landes registriert, halten sich aber in Istanbul auf, weil es dort mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt.

In den vergangenen Wochen war es wiederholt zu antisyrischen Ausschreitungen gekommen. Am 29. Juni zerstörte ein Mob im Istanbuler Stadtteil Küçükçekmece syrische Geschäfte. Anlass war ein Gerücht, das sich später als falsch herausstellte, wonach ein syrischer Mann ein türkisches Mädchen belästigt haben soll. Auch vor der Ankündigung der Stadtverwaltung war es zu Razzien gekommen, bei denen illegale Flüchtlinge inhaftiert wurden.

Angst vor Islamisierung durch Syrer

Die syrischen Flüchtlinge waren auch Thema des Bürgermeister-Wahlkampfs. Sowohl AKP-Kandidat Binali Yildirim als auch Wahlsieger Ekrem Imamoglu hatten angekündigt, sich mit der Flüchtlingsfrage beschäftigen zu wollen. So sollen arabische Schilder von Geschäften verschwinden, um den türkischen Charakter der Stadt zu bewahren. Die Abschaffung der arabischen Schrift und die Einführung des lateinischen Alphabets ist eines der Vermächtnisse Kemal Atatürks und deswegen vielen säkularen Wählern ein Anliegen. Viele befürchten auch eine zunehmende Islamisierung durch die tendenziell religiöseren Flüchtlinge aus Syrien.

In der Türkei leben rund 3,6 Millionen Syrer. Die meisten von ihnen haben einen Gaststatus, mit dem auch eine Arbeitsgenehmigung verbunden ist. Von einzelnen Zwischenfällen abgesehen verlief die Integration der Bürgerkriegsflüchtlinge relativ problemlos.

Arbeiten ohne Erlaubnis

Seitdem sich die türkische Wirtschaft in einer Rezession befindet, verschärfen sich aber auch die Spannungen. Die Arbeitslosigkeit erreichte im April mit 15 Prozent ein Rekordhoch. Viele der syrischen Flüchtlinge arbeiten ohne Erlaubnis und umgehen den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, was wiederum die Löhne für türkische Arbeiter drückt.

Klagten 2017 noch 54 Prozent der Türken über die Präsenz der Syrer, liegt dieser Anteil laut Umfragen nun bei 67,7 Prozent. Vor allem die beiden nationalistischen Parteien, die MHP und die Iyi-Partei, machen Stimmung gegen die arabischen Flüchtlinge. Während die MHP ein Wahlbündnis mit Erdogans AKP eingegangen ist, steht die Iyi-Partei der säkularen CHP nahe.

Keine Rückkehr nach Syrien

Seit 2015 ist die Grenze zu Syrien geschlossen. Seit 2017 werden in zehn türkischen Provinzen, neun davon an der Grenze zu Syrien, auch keine neuen Flüchtlinge aus dem Nachbarland mehr registriert. Präsident Tayyip Erdogan hatte immer wieder angekündigt, dass bald eine Million Flüchtlinge in die von der türkischen Armee befriedeten Gebiete in Afrin und Idlib zurückkehren werde. Bisher ist das aber nicht geschehen. Vor allem in der Provinz Idlib kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen Rebellen und der syrischen Armee.

Sollte die Provinz in die Hände des Assad-Regimes fallen, dürften sich abermals Hunderttausende auf die Flucht machen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 23.7.2019)