Als kalt und unersättlich gilt vielen Franzosen der sehr kultivierte Kunstsammler Bernard Arnault. Reich wurde der Mann auch durch seinen guten Riecher.

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Bernard Arnault legt auch im bestandenen Alter von 70 Jahren noch ein unerhörtes Tempo vor – beim Geldverdienen. In einer Stunde nimmt der Hauptaktionär des Konzerns LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy) gut sieben Millionen Dollar ein. In gut einem halben Jahr macht das 39 Milliarden: Diese Zunahme hat Arnaults Vermögen seit Jänner verzeichnet. Arnault kommt damit laut dem US-Magazin Forbes auf 105,1 Mrd. Dollar. Damit hat er Mitte Juli den bisherigen Zweitplatzierten Bill Gates (103,7 Milliarden) überholt. Warren Buffett und Mark Zuckerberg liegen ebenfalls hinter ihm.

Spitzenreiter bleibt Amazon-Gründer Jeff Bezos mit 164,8 Mrd. Dollar. Davon gehen allerdings 38 Milliarden an seine Exgattin MacKenzie. Die Agentur Bloomberg beziffert Bezos' Vermögen deshalb auf 126 Mrd. Dollar. Arnault ist gar nicht mehr so weit von diesem Spitzenwert entfernt, wenn man bedenkt, wie rapid sein Vermögen in diesem Jahr dank seiner Luxus-Assets zugenommen hat. Der Pariser Infosender BFM rechnet damit, dass der LVMH-Gründer bei gleichbleibendem Geschäftsfluss in acht Monaten so weit sein wird. So weit heißt: Arnault wäre der reichste Mann nicht nur Frankreichs, sondern des ganzen Planeten. Und die Franzosen wissen, dass sich Arnault nicht zu gut ist für einen solchen Spitzenplatz. Silber oder Bronze hat ihn noch nie interessiert. In Paris liefert sich Bernard Arnault seit Jahren ein erbittertes Duell mit seinem Alter Ego François Pinault (82), dem Vorstand des "anderen" Luxuskonzerns Kering (Gucci, Yves Saint-Laurent, Boucheron).

Um die Wette spenden

Das zeigte sich im April beim Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame: Als die Familie Pinault noch am Abend des Unglückstages 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau spendete, überbot Arnault am Morgen danach die Gabe, indem er 200 Millionen lockermachte. Zu behaupten, Arnault sei in Frankreich sehr beliebt, wäre übertrieben. Außerhalb der Mode- und Kulturszene – die der sehr kultivierte Kunstsammler mit seiner Fondation Louis Vuitton reich beschenkt hat – gilt er als kalt und unersättlich. In französischen Internetforen herrscht die Meinung vor, sein Vermögen habe etwas "Unmoralisches", ja "Unanständiges". Nur selten wird angeführt, dass er in seinem Land massiv Steuern zahlt; auch dass er nicht schuld an der Armut in der Welt sei.

Auch wenn Arnaults Talent der Geldvermehrung unbestritten ist, wundern sich selbst Kapitalexperten, wie rasch sein Vermögen wächst. Sein Erfolgsgeheimnis ist allerdings einfach, es lautet in etwa: Masse mal Riecher. Der aus gutem Haus stammende Nordfranzose, sein Vater war Bauunternehmer, hatte schon früh in Luxusfirmen wie Dior investiert. Seither ist er auf Shoppingtour. Einzelne Namen wie Gucci, Hermès oder Chanel sind ihm zwar entgangen; sein LVMH-Konglomerat, an dem er 47 Prozent hält, zählt aber heute 70 Marken und stellt in Paris die größte Börsenkapitalisierung dar. Der Konzernumsatz von 46,8 Mrd. Euro wird seit Jahren durch die asiatischen Märkte angekurbelt.

Kein Nationalstolz

In Paris bewirkt Arnaults unaufhaltsamer Vormarsch im internationalen Vermögensranking nicht etwa Anwandlungen von Nationalstolz, eher eine gewisse Zerknirschtheit, dass ein Franzose in das Quintett der superreichen Amerikaner eindringt. Und dass er sogar Bill Gates überholt hat, der in Paris die personifizierten Exzesse des US-Kapitalismus symbolisiert. Arnault hatte sich zwar schon – wohl aus fiskalischen Gründen, jedenfalls erfolglos – um die belgische Staatsangehörigkeit beworben; ansonsten bleibt er ein sehr pariserischer Unternehmer, der nicht nur dank seiner Tochter Delphine (44) eine ganze Familiendynastie aufbaut.

Sein Erfolg beruht auf sehr französischen Exportartikeln wie Mode, Parfums, Champagner, Uhren oder Cognac – Luxus eben. Seit Jahresbeginn hat der Aktienkurs von LVMH um über 50 Prozent zugelegt. Davon kann Amazon-Inhaber Jeff Bezos nur träumen, obwohl sein Internet-Krämerladen auch keine schlechten Zuwachsraten verzeichnet. Und jetzt scheinen seine Tage als reichster Erdenbürger gezählt. (Stefan Brändle aus Paris, 24.7.2019)