Kurz und sein Team geraten ins Blickfeld der Staatsanwälte: Fünf Festplatten wurden geheim geschreddert.

Foto: apa/fohringer
Foto: STANDARD/Rentate Graber

Dem Team von Sebastian Kurz ist ein weiterer bedauerlicher Fehler unterlaufen: Es war nun also doch nicht nur eine Festplatte, die ein Mitarbeiter unter falschem Namen (der erste bedauerliche Fehler) zum Schreddern zur Firma Reisswolf gebracht hat, es waren gleich fünf Festplatten, wie man jetzt einräumen muss. Ursprünglich behauptete die ÖVP, es handle sich um eine einzige Druckerfestplatte. Tatsächlich hat der Mitarbeiter des früheren Kanzlers Kurz nach Auffliegen der Ibiza-Affäre aber die Festplatten aus allen Druckern im Umfeld des Bundeskanzlers ausgebaut, um sie vernichten zu lassen.

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer sagte in der ZIB2 zu den Vorwürfen, man müsse zwei Dinge trennen: "Dass Dinge gelöscht und vernichtet werden", sei bei Regierungswechseln nicht an sich verwerflich. Dass der Mitarbeiter einen falschen Namen angegeben und nicht bezahlt habe, sei aber "falsch und unkorrekt".
ORF

Dreimal geschreddert

Der Falter beschreibt den Vorgang unter Berufung auf Mitarbeiter der Firma Reisswolf im Detail: Arno M., der im Kanzleramt für den Social-Media-Auftritt von Kurz zuständig war, gab das Schreddern unter falschem Namen in Auftrag, nämlich "Walter Maisinger" – und legte eigens für die Festplattenvernichtung sogar eine E-Mail-Adresse auf diesen Namen an. Laut den Reisswolf-Mitarbeitern habe er extrem nervös gewirkt. Nach dem Schreddern der Festplatten habe er das, was noch übrig blieb, noch einmal durch den Reißwolf laufen lassen, bis am Ende nur noch Staub durchrieselte. Einmal hätte gereicht, um die Datenträger nachdrücklich zu vernichten. Danach bestand M. auch noch darauf, den Staubüberrest mitzunehmen, heißt es.

Da der Kurz-Mitarbeiter die läppische Rechnung von 76,45 Euro trotz mehrerer Mahnungen nicht bezahlte, erstattete die Firma eine Betrugsanzeige. Der Mann war leicht auszuforschen: Er hatte seine richtige Telefonnummer angegeben. Mittlerweile waren aber auch die Mitarbeiter von Reisswolf auf M. alias Maisinger gestoßen: Sie identifizierten ihn als jenen Mann, der bei der im Fernsehen übertragenen Abschiedsrede von Sebastian Kurz nach dessen Absetzung durch das Parlament im Springer-Schlössl der Parteiakademie links hinter ihm stand.

Die Betrugsanzeige wanderte über die Korruptionsstaatsanwaltschaft zur Sonderkommission Ibiza der Polizei: Der Zeitpunkt der Datenvernichtung legte einen Zusammenhang mit der Publikation des Ibiza-Videos nahe. Am 23. 5. wurde M. mit den Festplatten bei der Firma Reisswolf vorstellig. Eine knappe Woche davor, am 17. Mai, hatten Süddeutsche Zeitung und Spiegel das Ibiza-Video mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus veröffentlicht. Vier Tage danach, am 27. Mai, geht der Misstrauensantrag gegen Kurz als Kanzler im Parlament durch.

Belastender Mailverkehr

In der ÖVP wird jeglicher Zusammenhang mit dem Ibiza-Video heftig dementiert. Auch in Umlauf gebrachte E-Mails, die belegen sollen, dass Kurz und Kanzleramtsminister Gernot Blümel bereits im Februar von dem belastenden Video wussten, seien Fälschungen, heißt es aus der Volkspartei.

Fest steht, die Korruptionsstaatsanwälte weiteten ihre Ermittlungen nun auch um die Causa Reisswolf aus. Welchen Tatverdacht sie hier prüfen und ob er sich gegen Arno M. und womöglich auch andere ÖVP-Funktionäre oder Mitarbeiter von Kurz richtet, wird nicht bekanntgegeben: Es handle sich um einen Verschlussakt, heißt es nur. Im Kanzleramt sind Ermittlungsbeamte aber bereits vorstellig geworden.

Kritik an Polizei

Dem Vernehmen nach dürften einige Justizmitarbeiter über die Ermittlungsarbeit der Polizei im Fall Reisswolf nicht ganz glücklich sein: Die Beamten hätten zwar in M.s Kalender nachgeschaut, welche Termine er im zeitlichen Nahraum des Schredder-Termins und der Videos hatte, sein Handy, die darin gespeicherten Kontakte und Nachrichten in jenen Zeiträumen seien aber nicht abgecheckt worden.

Inzwischen hat der frühere Social-Media-Beauftragte Arno M. jedenfalls alle seine Accounts gelöscht, wenn auch nicht ganz vollständig. Einige Fotos aus seiner vielfältigen Reisetätigkeit mit Ex-Minister und Ex-Kanzler Kurz sind noch abrufbar – unter anderem posiert Kurz hier im Mai 2017 mit KTM-Chef Stefan Pierer, der wie berichtet im selben Jahr knapp eine halbe Million Euro für den Wahlkampf von Sebastian Kurz gespendet hat.

Seinen Auftraggeber im Kanzleramt schützt M. übrigens. Es sei ihm "nicht mehr erinnerlich", von wem er den Auftrag zum Schreddern erhalten habe, gab er bei der Polizei an.

Wie aber steht es rechtlich um die sinistre Schredder-Aktion unter falschem Namen? Neben dem Verdacht auf Betrug stellt sich auch die Frage eines datenschutzrechtlichen Vergehens. Dafür kommt es aber darauf an, welche Daten auf den Festplatten zu finden waren und ob es sich um Akten des hoheitlichen Vollzugs handelte, also beispielsweise Ministerratsvorträge, oder um Inhalte, die der politischen Ebene zurechenbar sind, erklären Datenschutzexperten dem STANDARD. Geht es um Vollzugsagenden, dann sind diese zu archivieren. Ein Schreddern dieser Akten wäre ein Verstoß gegen das Archivgebot.

Mitarbeiter müssen jedenfalls eine "Verpflichtungserklärung zur Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniksysteme des Bundeskanzleramtes" unterzeichnen. Dem Vernehmen nach hat Arno M. das nicht unterschrieben, was auch seine Vorgesetzten unter Druck bringen könnte.

ÖVP auf Themensuche

Der ÖVP ist die ganze Affäre höchst unangenehm. Dass Kurz jetzt direkt mit solchen zwielichtigen Machenschaften in Zusammenhang gebracht wird, lässt den Start in den Wahlkampf ordentlich holpern. Das Image der neuen Volkspartei unter Kurz ist damit fürs Erste beschädigt. Den Strategen in der ÖVP wäre es recht, wenn das Thema so rasch wie möglich von der Tagesordnung verschwände. Dazu muss man eigene Themen setzen. Es wird bereits gesucht.

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer sagte in der ZIB2 zu den Vorwürfen, man müsse zwei Dinge trennen: "Dass Dinge gelöscht und vernichtet werden", sei bei Regierungswechseln nicht an sich verwerflich. Dass der Mitarbeiter einen falschen Namen angegeben und nicht bezahlt habe, sei aber "falsch und unkorrekt". Der Mitarbeiter sei "25 Jahre jung", es tue ihm sehr leid. Der Darstellung des Mannes nach habe er den falschen Namen angegeben, um kein Misstrauen zu erwecken. Sonst wäre womöglich der Nehammer zufolge falsche Eindruck entstanden, Kurz‘ Mitarbeiter würde "fix damit rechnen", den wenige Tage später geplanten Misstrauensantrag im Parlament zu verlieren.

Für Christian Deutsch, Wahlkampfmanager der SPÖ, ist allein wegen des Zeitpunkts nicht glaubwürdig, dass es sich um eine Aktenvernichtung im Zuge des Regierungswechsels gehandelt habe. "Der Ex-Kanzler soll damit aufhören, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen und jetzt die Wahrheit sagen", sagte Deutsch zur APA. (Michael Völker, Maria Sterkl, Renate Graber, red, 23.7.2019)