Haneul Jang (links im Bild) untersuchte im tropischen Regenwald in der Republik Kongo die Navigationsfähigkeiten der Mbendjele BaYaka. Hier zeigt ein achteinhalb Jahre alter Mbendjele-Junge in die Richtung, in der sich eine bekannte Nahrungsquelle befindet.

Foto: Karline Janmaat

Bei den Mendjele BaYaka sind Männer und Frauen gleichgestellt. Entsprechend gibt es auch keine Unterschiede bei den Orientierungsfähigkeiten. Hier macht sich eine Mendjele-Frau auf den Weg zur Jagd, ausnahmsweise ausgerüstet mit einem GPS-Gerät.

Foto: Haneul Jang

Für die Nahrungssuche ist die Orientierung in der Natur essenziell. Das gilt gleichermaßen für Mensch und Tier. Vor allem für Jäger und Sammler, die täglich weite Strecken durch den Regenwald zurücklegen, ist das Wissen, in welche Richtung man gehen muss, um eine Nahrungsquelle oder sein Zuhause zu erreichen, unentbehrlich.

Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben nun untersucht, wie sich die Mbendjele BaYaka in der Republik Kongo im dichten Urwald orientieren. Zu diesem Zweck hat das Team um Haneul Jang mehr als 600 Tests über 60 verschiedenen Regenwaldstandorten (einschließlich des Camps) durchgeführt. Insgesamt nahmen 54 Mbendjele BaYaka Männer, Frauen und Kinder im Alter zwischen sechs und 76 Jahren an den Untersuchungen teil, in denen sie die Richtung zu einem nicht in Sichtweite liegendem Ziel per Zeigegeste weisen sollten.

Hohe Treffsicherheit

Der Test ergab, dass die Mbendjele BaYaka mit einer hohen Genauigkeit die Richtung hin zu entfernten und außer Sichtweite liegenden Zielorten weisen können. Dabei war die Zielgenauigkeit bei Frauen genauso gut wie bei Männern. "Das überrascht nicht und könnte darin begründet sein, dass bei den Mbendjele BaYaka Männer und Frauen gleichgestellt sind. Mbendjele-Frauen entfernen sich, wenn sie auf Fischfang oder auf die Jagd gehen, genauso weit vom Camp in den Wald hinein wie die Männer", sagt Jang, die Erstautorin der Studie.

"Unsere Ergebnisse stimmen mit früheren Studien überein, die hinsichtlich der Orientierungsfähigkeit in Jäger-Sammler-Gesellschaften, in denen sich beide Geschlechter im Rahmen ihrer Tagesaufgaben aktiv vom Wohnort wegbewegen, keine geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellen konnten", ergänzt die Forscherin. "Andere Studien zu Menschen aus verschiedenen Kulturen deuten zudem darauf hin, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Orientierungsfähigkeit tatsächlich auf geschlechtsspezifische Mobilität zurückgeführt werden können."

"In unserer Gesellschaft arbeiten Frauen teils häufiger zu Hause oder in der Nähe ihres Wohnorts als Männer. Bei den Mbendjele BaYaka hingegen entfernen sich beide Geschlechter genauso weit von ihrem Zuhause. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Frauen bei Orientierungsaufgaben genauso gut abschneiden", sagt Karline Janmaat, die die Studie betreute. Die in den "Proceedings of the Royal Society B" präsentierten Ergebnisse zeigten demnach auch, wie wichtig Erfahrung für die kognitive Entwicklung sei.

Orientierung unter erschwerten Bedingungen

Die Studie ergab außerdem, dass Mbendjele-BaYaka-Kinder bereits im Alter von etwa sechs Jahren genauso zielsicher den Weg weisen können wie Erwachsene, sofern sie sich in der Nähe des Camps befinden. Darüber hinaus nimmt die Zeigegenauigkeit der Kinder vor allem in entfernteren und ihnen weniger bekannten Gebieten erheblich zu, wenn die Sonne am Himmel sichtbar ist.

"Im Gegensatz zu den Erwachsenen, die auch an weit entfernten Orten und bei stark bedecktem Himmel einen sehr guten Orientierungssinn haben, liegen die Kinder in ihnen weniger bekannten Gebieten, wenn sie die Sonne nicht sehen können, häufiger falsch. Sehen sie die Sonne aber, so verbessert sich ihre Leistung erheblich", sagt Jang. "Die Mbendjele BaYaka leben im Flachland in Tieflandregenwäldern, wo dichte Vegetation und das Fehlen von Referenzpunkten, wie zum Beispiel einem Berggipfel, die Orientierung erschweren. In einer solchen Umgebung ist es von großem Nutzen, schon im Kindesalter zu erlernen, wie man den Stand der Sonne nutzen kann, um die Himmelsrichtung zu bestimmen."

Wichtiger Sonnenkompass

Den Wissenschaftern zufolge belegt die aktuelle Studie erstmals wissenschaftlich, dass Menschen die Sonne als Kompass nutzen. "Wir wissen, dass Bienen die Sonne zum Navigieren nutzen. Überraschenderweise gab es aber bisher noch keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass auch Menschen diese Fähigkeit besitzen und Kinder sie bereits im Alter von sechs Jahren anwenden können", sagt Janmaat. "Unsere Studie zeigt, dass es noch so viel zu entdecken gibt und dass dabei Eile geboten ist. Alle im Kongo von Jägern und Sammlern bewohnten Wälder wurden an ausländische Unternehmen verkauft, sodass diese Menschen perspektivisch nicht nur Lebensraum und Jagdgefilde, sondern auch ihre faszinierenden Navigationsfähigkeiten verlieren könnten." (red, 29.7.2019)