Auch beim Tätowieren oder Piercen kann eine Ansteckung mit Hepatitis erfolgen.

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Angelika Widhalm ist die Vorsitzende der Hepatitis-Hilfe Österreich (HHÖ) und des Bundesverbands Selbsthilfe Österreich (BVSHOE).

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STANDARD: Wie viele Menschen sind in Österreich von Hepatitis C und B betroffen?

Widhalm: Das ist eine schwierige Frage, weil es hier keine wirklichen Zahlen gibt. Seit das Melderegister für Hepatitis-C-Kranke strenger geführt wird, wissen wir zwar, wie viele gemeldete Neuerkrankungen es in Österreich gibt – das sind zwischen 1200 und 1500 Personen pro Jahr. Es gibt aber immer noch eine sehr hohe Dunkelziffer. Bei Hepatitis B kennen wir die Zahlen etwas besser. Man geht hier von etwa 46.000 Betroffenen aus, das sind aber nur Schätzwerte. Hepatitis B ist eine der häufigsten Infektionserkrankungen weltweit und somit eine globale Bedrohung.

STANDARD: Sind die Betroffenen in Österreich gut versorgt?

Widhalm: Diejenigen, die von ihrer Erkrankung wissen, sind gut versorgt. Das Problem ist nur: Wir müssen diejenigen, die betroffen sind und es nicht wissen, auch finden. Deswegen steht der diesjährige Welt-Hepatitis-Tag auch unter dem Motto "Find The Missing Millions". Die Menschen merken speziell bei Hepatitis C oft über viele Jahre nicht, dass sie erkrankt sind. Es ist eine stille Epidemie. Sie merken es oft erst, wenn es schon zu spät ist. Auch bei Hepatitis B kann die Erkrankung chronisch werden, wenn sie nicht von selbst ausheilt.

STANDARD: Wie bemerkt man eine chronische Hepatitis-Erkrankung?

Widhalm: Oft bemerkt man sie eben leider nicht. Die Leber hat keine Nerven, sie tut also nicht weh. Mit der Zeit können sich dann unspezifische Symptome wie zum Beispiel Müdigkeit, Depressionen, gastrointestinalen Störungen, Hautprobleme, Gewichtsschwankungen oder Gedächtnis- und Sprachstörungen ausbilden, die oft falsch interpretiert oder gar nicht behandelt werden. Wenn die Leber bereits massiv geschädigt ist, kann es dann zur Bauchwassersucht, zu Wasseransammlungen, Herzproblemen und vielen anderen starken Symptomen kommen – spätestens dann wird von Betroffenen meist ein Arzt konsultiert.

STANDARD: Wie geht das Leben nach einer Hepatitis-C-Diagnose weiter?

Widhalm: Das ist unterschiedlich. Ich habe hier einen sehr persönlichen Bezug, weil bei mir selbst 1995 Hepatitis C diagnostiziert wurde – zu dieser Zeit wurde Hepatitis C noch anders behandelt als heute. Damals wurden Betroffene mit einer Interferon-Therapie therapiert, die hatte aber wahnsinnig viele Nebenwirkungen. Ich habe drei davon gemacht – ohne Erfolg. Vor etwa zehn Jahren habe ich dann im letzten Moment eine Lebertransplantation bekommen – ich hatte bereits eine Leberzirrhose im letzten Stadium.

STANDARD: Verschwindet das Virus durch eine Transplantation?

Widhalm: Selbst nach einer Lebertransplantation ist man das Virus nicht los – ich war dann sehr schnell wieder auf der Transplantationsliste. Vor fünf Jahren war ich eine der ersten lebertransplantierten Patientinnen in Europa, die die neuen antiviralen Medikamente (DAAs) bekommen haben. Nach 18 Wochen Therapie war ich virenfrei und bin es heute noch.

STANDARD: Die neuen Medikamente waren eine Zeitlang umstritten. Warum?

Widhalm: Als die sogenannten DAA-Medikamente (Direct Acting Antivirals) auf den Markt kamen, kosteten sie in Österreich noch 160.000 Dollar pro Therapie. Zu dieser Zeit konnte man noch nicht alle Patienten behandeln, das war finanziell einfach nicht möglich. Zuerst wurden nur diejenigen therapiert, die es am dringendsten brauchten, also die, deren Leber schon stark angegriffen war. Seit März 2018 bekommen endlich alle Patienten mit Diagnose auch gleich eine Therapie.

STANDARD: Wie viele Menschen werden in Österreich jährlich mit diesen Medikamenten behandelt?

Widhalm: Etwa 2500 Personen nehmen die Therapie in Anspruch. Mehr gehen sich derzeit logistisch in den Therapiezentren nicht aus. Die Medikamente dürfen nur in den 22 Hepatologiezentren verabreicht werden, die vom Hauptverband dafür festgelegt wurden.

STANDARD: Wann gilt man als geheilt?

Widhalm: Wenn man ein halbes Jahr nach Abschluss der Therapie virenfrei ist, gilt man als geheilt. Ich sage jedoch lieber virenfrei als geheilt, denn das, was das Virus in seiner aktiven Zeit im Körper angestellt hat, wird durch diese Therapie ja nicht rückgängig gemacht. Die Schäden im Gehirn, in den Knochen, im gastrointestinalen Bereich, in den Muskeln und viele weitere, oft irreparable Schäden sind ja noch da.

STANDARD: Wie kommen Ansteckungen mit Hepatitis C typischerweise zustande?

Widhalm: Hepatitis C ist nur über Blut-zu-Blut-Kontakt übertragbar. Sie wird zwar von der WHO generell nicht zu den sexuell übertragbaren Erkrankungen gezählt, bei Sexualpraktiken, bei denen es zu Blutkontakt kommt, lässt sich eine Übertragung jedoch nicht auszuschließen.

STANDARD: Gibt es Risikogruppen?

Widhalm: Zu den Risikogruppen zählen laut den Hepatologen vor allem Personen aus dem Drogenmilieu – hier kommt es häufig zu "Needle-Sharing", also dem gemeinsamen Benutzen derselben Nadeln, und Ähnlichem – und aus dem MSM-Bereich, also bei Männern, die Sex mit Männern haben – hier kann es zum Beispiel beim Analsex vermehrt zu kleinen Verletzungen und somit auch zu Infektionen kommen. Hepatitis C ist bei Blutkontakt hochinfektiös – tausendmal infektiöser als HIV. Eine sehr geringe Menge Blut reicht bereits für eine Infektion.

STANDARD: Welche Ansteckungsgefahren gibt es außerhalb der Risikogruppen?

Widhalm: Früher waren häufig Blutkonserven betroffen – so wurde ich damals infiziert. Dieses Problem haben wir heute zum Glück im Griff. Jede Blutkonserve in Österreich wird diesbezüglich getestet. Beim Piercen und Tätowieren, aber auch bei Fuß- und Nagelpflege kann eine Übertragung durch unhygienisches Arbeiten stattfinden – da ist noch viel Handlungsbedarf und Bewusstseinsschaffung nötig, um die Sicherheit der Behandelnden und der Kunden zu gewährleisten. Das Abwischen der Werkzeuge reicht nicht. Es muss steril gearbeitet werden. Deshalb sind etwa Tattoo-Conventions und Ähnliches sehr gefährlich.

STANDARD: Was halten Sie vom Hepatitis-Screening bei Risikogruppen?

Widhalm: Prinzipiell finde ich es gut, verstärkt in Risikogruppen zu beginnen. Im Endeffekt sollten aber nicht nur diese Gruppen, sondern die ganze Bevölkerung durchgetestet werden – und zwar immer wieder. Nach einer ausgeheilten Hepatitis-B-Erkrankung ist man nachher immun, nach Hepatitis C nicht – man kann sich wieder neu infizieren. Vor Hepatitis ist niemand gefeit. Das ist eine wesentliche Aussage, die man oft nicht gerne hört. Jeder kann betroffen sein.

STANDARD: Wie lässt sich eine Hepatitis-C-Ansteckung vermeiden?

Widhalm: In allen Bereichen, in denen es zu Blutkontakt kommen könnte, sollte Vorsicht herrschen beziehungsweise extrem sauber gearbeitet werden. Wir haben deshalb zum Beispiel ein Gütesiegel herausgebracht, das für steril arbeitende Nagel- und Fußpflege-Studios über Antrag verliehen wird. Man kann sich auch eigenes fachlich hochwertiges Besteck besorgen, das man dann immer zur Nagelpflege mitnimmt, so kann man sich auch schützen.

STANDARD: Wie könnte man die Situation in Österreich verbessern?

Widhalm: Infektionskrankheiten müssen wesentlich mehr als bisher in den Gesundheitszielen Österreichs angesprochen werden. Man muss den Politikern die Ernsthaftigkeit der Situation klar aufzeigen – das Thema muss von der neuen Bundesregierung in das Regierungsprogramm aufgenommen werden. Aufklärung ist die einzige Möglichkeit, Prävention zu betreiben. (Katharina Janecek, 28.7.2019)