Salvador Mallo (Antonio Banderas) ist ein Getriebener seines Erfolgs, körperlich am Ende, es mangelt ihm an Inspiration. Neben dem Frühstück stärkt er sich zuweilen mit Drogen

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Tragödie oder Komödie? Mit dieser Frage wird der Filmemacher Salvador Mallo immer wieder konfrontiert. Die Menschen wollen wissen, was sie zu erwarten haben, und selbst auf dem Operationstisch soll er noch beantworten, was er sich denn als Nächstes für das Publikum ausgedacht hat.

Doch von Mallo kommt nichts mehr. Er ist am Ende, ein körperliches Wrack mit zahlreichen Problemen und ständigen Schmerzen. Das Einzige, was ihm noch Inspiration bringt, sind seine Erinnerungen. Zum Beispiel jene an seine Mutter, wie sie in jungen Jahren im Fluss die Wäsche wusch: ein leuchtender Moment, der schon fast ein wenig zu idyllisch wirkt.

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Das mag vielleicht damit zu tun haben, dass Salvador Mallo eine Erfindung ist, eine Erfindung allerdings, hinter der sich ein tatsächlicher Großkünstler des Kinos verbirgt: Pedro Almodóvar, oder einfach Almodóvar, wie er sich inzwischen gern nennt. Ein Mann, der zu einer Marke geworden ist: Einen Film von Almodóvar erkennt man fast untrüglich an den Farben, an den Dekors, an seinem Blick auf die Frauen.

Latin Lover

Viele der großen Männer des Kinos haben irgendwann einen Film gemacht, für den sie sich einen Doppelgänger ausgedacht haben. So konnte Federico Fellini sich in Achteinhalb in Gestalt von Marcello Mastroianni auf der Leinwand bewundern (oder doch eher den Star um sein ganz anderes Charisma beneiden). In Leid und Herrlichkeit (Dolor y gloria) spielt Almodóvar ein vergleichbares Spiel mit Antonio Banderas.

Der prototypische Latin Lover spielte 1982 in einem Film mit dem Titel Labyrinth der Leidenschaften unter der Regie von Pedro Almodóvar. Nun spielt Banderas einen Regisseur, der zur Wiederaufführung seines ersten Films in die Cinemathek kommen soll, um dort mit seinem Star von einst ein Gespräch zu führen.

Die Einladung löst in Leid undHerrlichkeit alles andere aus. Eine Reihe von Begegnungen und Rückblenden, die prägenden Episoden im Leben von Salvador Mallo. Auf treten ein ehemaliger Geliebter, der verfeindete Schauspieler, und zwischen allen immer wieder die Mutter Jacinta, in verschiedenen Lebensaltern und mit zwei großen Darstellerinnen besetzt: Julieta Serrano spielt die Mutter kurz vor dem Tod, und Penélope Cruz spielt die Mutter in der Phase des blühenden Lebens.

Oberflächen

In dieser Zeit hatte Salvador/Pedro auch eine Erscheinung, die sein weiteres Leben prägte: Ein junger Mann namens Eduardo kommt ins Haus, um die Wände zu streichen. Als er sich danach auszieht, um sich zu waschen, begreift der Bub zum ersten Mal, worauf sich fortan sein Begehren richten wird: auf männliche Körper und dabei immer auch auf eine kindliche Verbindung mit der Mutter, die in dieser Szene unsichtbar gegenwärtig ist.

Pedro Almodóvar hat das europäische Autorenkino für viele Register geöffnet, die davor meist noch stärker verschlüsselt werden mussten: Eine schwule oder queere Ästhetik gab es natürlich auch schon vor 1980, mit ihm aber wurde sie zum ersten Mal Teil des Mainstreams.

Und Almodóvar machte eine Kunst daraus, alles an die Oberfläche zu bringen. Den schillernden Identitäten entsprachen extravagante Räume, und das Tempo, das Spanien nach der langen Zeit der Erstarrung unter der Diktatur plötzlich vorlegte, machte Almodóvar mit seinen Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs sprichwörtlich.

Der Preis des Erfolgs

Mit Leid und Herrlichkeit zieht Almodóvar auch eine Bilanz dieser Errungenschaften. Sie hatten einen Preis: Wenn die Glieder so schmerzen, dass sie jegliche Kreativität lähmen, dann ist das auch ein Symptom dafür, dass Salvador durch seinen frühen Erfolg ein Getriebener wurde. Ein zentrales Thema in Leid und Herrlichkeit sind schließlich die Drogen: Wie man sich Heroin zuführt, wird in allen Einzelheiten immer wieder gezeigt.

Dabei muss man nicht unbedingt davon ausgehen, dass Almodóvar mit allen diesen Offenbarungen sich selbst meint: Leid und Herrlichkeit überschreitet die Diskretionsschwelle und zeigt einen intimen Blick auf einen Mann, der mit Pedro Almodóvar vor allem gemeinsam hat, dass der ihn erfunden hat. Darüber hinaus aber gilt ein Begriff, den die Mutter kurz vor dem Tod ihrem Sohn vermacht wie ein Programm: Er soll es mit der "Metafiktionalität" nicht übertreiben.

Das ist eine schöne Pointe, denn jenseits (meta) des Erfundenen wartet vielleicht wieder das eigene Selbst – aber verwandelt, gegangen durch einen Prozess, der schließlich auch die Frage nach Komödie oder Tragödie beantwortet. Das Heitere und das Erschütternde sind Geschwister in einem Leben, das Ende und Anfang so sehnsüchtig zu verbinden weiß wie dieser große Film. (Bert Rebhandl, 25.7.2019)