Wunderbare Tänzerinnen und Tänzer und doch eine Ansammlung von Gemeinplätzen

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Enttäuschungen können auch Geschenke sein. Das zeigt gerade das Balé da Cidade de São Paulo bei Impulstanz im Burgtheater mit dem Stück "Um Jeito de Corpo": Je weiter es voranschreitet, desto ernüchternder wird es erst einmal. Dabei hat die Compagnie einiges zu bieten: angefangen bei 33 wunderbaren Tänzerinnen über noch mehr bunte Kostüme, feine Musik von Caetano Veloso, wohldosiertes Temperament und ordentlich Gefühl bis hin zu einem alles andere als irrelevanten Inhalt.

Bei genauerem Blick treten aber entscheidende Mängel zutage: Die Choreografie bleibt trotz schöner Effekte bescheiden, eine schlüssige Dramaturgie ist nicht zu erkennen. Das unterdrückt Spannung, weil sich die Art der Verbindung zwischen den aufeinanderfolgenden Bildern nicht erschließt.

Andererseits ist zu sehen, dass Morena Nascimento als Choreografin und Ballettleiter Ismael Ivo, von dem der Entwurf von "Um Jeito de Corpo" stammt, sich wirklich angestrengt haben und es ihnen gelungen ist, ihre Compagnie auf modernen Tanz einzuschwören. Noch viel klarer wird, dass sich das Stück auf die neue politische Situation Brasiliens unter Präsident Jair Bolsonaro bezieht. Es ist ein Appell für Offenheit, Vielfalt, Liebe und Freiheit und bezieht Position gegen Einschüchterung Gewalt und autoritäre Politik.

Riskante Deutlichkeit

Das kann natürlich nicht falsch sein – und doch zu einer Ansammlung von Gemeinplätzen führen, die zur Enttäuschung über dieses Stück beitragen. Aber halt! "Um Jeito de Corpo" ist nicht für ein Publikum gemacht, das sich bei Impulstanz im wohligen Bad einer gesicherten liberalen Demokratie aufhält. Unter dieser Voraussetzung braucht es für das Gastspiel aus São Paulo eine zweite Einschätzung. Was in Wien wie eine melodramatische Übersteigerung aussieht, kann für ein brasilianisches Publikum ein mutiges Statement oder herausfordernd sein: Männer in bunten Kleidchen, ein schwuler Kuss, Verwirrungen von Gesten im Gänsemarsch ausgeführt.

Diese in Verspieltheiten eingesponnene Vordergründigkeit transportiert eine riskante Deutlichkeit und gibt dem Stück etwas Heldenhaftes. So ist die vermeintliche Enttäuschung letztendlich ein Gewinn. (Helmut Ploebst, 24.7.2019)