Zur Sicherheit jagte Arno M. die Festplatten gleich dreimal hintereinander durch den Schredder. Den Datenstaub nahm er wieder mit.

Foto: Falter

Es klingt wie aus einem schlechten Film: Ein Regierungsangestellter trägt heimlich fünf Festplatten mit womöglich heiklen staatlichen Daten aus dem Amt, bringt sie unter Vortäuschung einer falschen Identität zu einem privaten Aktenvernichter und lässt sie zu Staub schreddern. Dabei unterläuft ihm ein Fehler: Er vergisst die Rechnung zu zahlen, die Schredderfirma forscht nach und kommt ihm auf die Schliche. Aber was bedeutet das alles? Ist es nur eine Posse oder doch eine Staatsaffäre? Ein Überblick über das, was wir wissen – und was nicht.

Frage: Welche Daten wurden eigentlich vernichtet?

Antwort: Das ist die zentrale Frage – und die, auf die niemand eine Antwort weiß. Teilweise waren es offenbar Druckerdaten. Ob alle Festplatten Druckerfestplatten des Kanzleramts waren, ist allerdings unklar. Somit kann auch nicht gesagt werden, was sich auf den Datenträgern befand.

Frage: Dürfen Mitarbeiter des Kanzleramts einfach Speichermedien nach außen tragen und schreddern?

Antwort: Grundsätzlich ist Datenvernichtung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig und üblich. Und zwar bei jenen Daten, die nicht laut Gesetz archiviert werden müssen – bei privaten oder vertraulichen Daten schreibt es der Datenschutz sogar vor. Andere Daten aus den Ministerien und dem Kanzleramt wiederum müssen dem Staatsarchiv übergeben werden. Ob das bei den Daten in der Schredder-Affäre der Fall war, kann nicht beurteilt werden, da ja niemand weiß, um welche Daten es sich handelte.

Dass ein Mitarbeiter der Social-Media-Abteilung allein und ohne Beisein von Experten zu einer Vernichtungsfirma geht, scheint allerdings nicht gewöhnlich zu sein. Dass er es noch dazu unter Vortäuschung einer fremden Identität tut, schon gar nicht.

Frage: Wie erklärt die ÖVP das Verhalten ihres Mitarbeiters, und wie glaubwürdig ist diese Erklärung?

Antwort: In der ÖVP gibt es zur Schredder-Affäre folgende Darstellung: Es sei normal, vor einem Regierungswechsel Daten zu löschen. Im konkreten Fall habe eine gewisse Eile bestanden, da der Misstrauensantrag der Liste Jetzt gegen Kurz bevorstand und dann alles Schlag auf Schlag gehen konnte. Man wollte verhindern, dass der Nachfolger im Kanzleramt die womöglich sensiblen Daten für eigene Parteizwecke benutzen könnte. Jener Mitarbeiter, der die Festplatten unter fremdem Namen zum Datenvernichter brachte, der ÖVP-Mitarbeiter Arno M., sei dabei verdeckt vorgegangen, um bei den Mitarbeitern der Datenvernichtungsfirma nicht den Eindruck zu erwecken, dass Kurz damit rechne, beim Misstrauensvotum zu unterliegen. Allerdings lässt die Darstellung der ÖVP offen, welche Speichermedien es konkret waren.

Auch ist auf Basis des türkisen Erklärungsversuchs immer noch nicht nachvollziehbar, warum M. die Schredder-Aktion unter Vortäuschung einer falschen Identität und unter Angabe einer eigens dafür angelegten E-Mail-Adresse durchführte und warum die Rechnung von ihm privat beglichen werden sollte. ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer sagte dazu im ZiB 2-Interview, es handle sich bei Arno M. nun einmal um einen sehr jungen Mitarbeiter, M. sei ja erst 25 Jahre alt.

Es ist allerdings wenig wahrscheinlich und wird auch von Mitarbeitern des Kanzleramts bestritten, dass M. die geheime Mission im Alleingang und ohne Auftrag von Vorgesetzten in Angriff nahm. Und selbst wenn es so gewesen wäre, würde das die Frage aufwerfen, warum die ÖVP eine derart heikle Aufgabe in die Hände eines offenbar überforderten Mitarbeiters legte.

Frage: Warum hat Arno M. die Rechnungen bei Reisswolf nicht bezahlt?

Antwort: Die Höhe der Rechnung dürfte nicht schuld gewesen sein, das Zerstörungswerk war mit 76 Euro für einen Kanzleramtsmitarbeiter durchaus im Bereich des Erschwinglichen. Allerdings dürfte Arno M. über sein eigenes Identitätsverwirrspiel gestolpert sein. Die Rechnungen und Mahnungen von Reisswolf, die an sein Alter Ego "Walter Maisinger" adressiert waren, wurden ignoriert – laut eigenen Angaben aus "Schlamperei". Für die ÖVP, die sich sonst als Partei der "Einzahler" inszeniert, ist die Zahlungsmoral ihres Mitarbeiters jedenfalls unangenehm.

Frage: Was hat die Schredder-Aktion mit der Ibiza-Affäre zu tun?

Antwort: Bislang gibt es keine Hinweise auf einen inhaltlichen Zusammenhang. Allein das zeitliche Naheverhältnis der beiden Ereignisse gibt Anlass zur Spekulation. Zwischen der Veröffentlichung des Ibiza-Videos und der merkwürdigen Geheimniskrämerei des Kanzleramtsmitarbeiters liegen nämlich nur fünf Tage. Diese zeitliche Koinzidenz dürfte auch den Ermittlungsbehörden auffällig erschienen sein, denn der Fall wurde sogleich von der Soko Ibiza übernommen. Seitens der FPÖ gibt es seit Mai immer wieder verschwörerische Andeutungen, wonach die ÖVP schon vor dem 17. Mai über das Video Bescheid gewusst haben könnte. Seriöse Belege existieren dafür nicht. ÖVP-Generalsekretär Nehammer weist jegliche Verbindung zurück, auf den zerstörten Festplatten hätten sich keine geheimen Informationen zum Ibiza-Video befunden.

Frage: Welche Konsequenzen zieht die (frühere) Opposition aus der Schredder-Affäre?

Antwort: Die Liste Jetzt hat sich am Mittwoch für eine Sondersitzung des Nationalrats ausgesprochen, die sich der Schredder-Affäre widmet. Diese dürfte frühestens im August stattfinden – also womöglich zu einem Zeitpunkt, zu dem das Land bereits über ganz andere Themen debattiert. Die Grünen und deren Spitzenkandidat Werner Kogler gehen noch weiter, sie fordern sogar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Causa, dieser würde frühestens im Spätherbst beginnen können.

SPÖ, FPÖ und Neos haben jedenfalls schon mehrere schriftliche Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, in denen sie Antworten auf offene Fragen zur Schredder-Affäre fordern – Kanzlerin Brigitte Bierlein hatte ja zuvor eine Untersuchung der Causa eingeleitet. Bis die Antworten auf diese Anfragen vorliegen, wird aber ebenfalls einige Zeit vergehen: Die Frist für die Beantwortung der Fragen endet teils am 19. September, teils am 23. September, also wenige Tage vor Abhaltung der Nationalratswahl am 29. September. (Maria Sterkl, Theo Anders, 24.7. 2019)