Hier ist Essebsi bei einer Pressekonferenz im November 2018 zu sehen.

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Er war der erste demokratisch gewählte Staatspräsident Tunesiens: Béji Caïd Essebsi verstarb gestern, Donnerstag, nach einer Serie schwerer gesundheitlicher Probleme im Alter von 92 Jahren, nur wenige Monate vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit. Essebsi war nach der britischen Queen Elizabeth II das älteste amtierende Staatsoberhaupt der Welt.

Nach dem Sturz des Langzeitdiktators Zine el-Abidine Ben Ali 2011 wurde er zunächst zum vorläufigen Ministerpräsidenten des Landes an der Spitze eines Technokratenkabinetts ernannt. Seine 2012 neu gegründete, säkulare, bürgerlich-konservative Partei Nidaa Tounès konnte in den darauffolgenden Wahlen 2014 einen beachtlichen Erfolg einfahren, Essebsi selbst wurde daraufhin auch zum Präsidenten gewählt.

Der Politikveteran versuchte in seiner Amtszeit, das krisengeschüttelte muslimische Land politisch zu stabilisieren und die tiefen politischen Gräben zwischen Liberalen, Konservativen, Islamisten und Gewerkschaften zu minimieren. Auch engagierte sich "Bajbouj", wie ihn seine Anhänger nannten, in gesellschaftlichen Fragen wie der Gleichberechtigung von Mann und Frau vor dem Gesetz und mischte sich immer wieder in das tagespolitische Geschehen ein. Vieldiskutiert war beispielsweise die Reform des diskriminierenden Erbschaftsgesetzes, die Essebsi vorantrieb.

Kandidatur ausgeschlossen

Eine erneute Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im November schloss der für seinen Galgenhumor bekannte Essebsi übrigens bereits im April aus. "In aller Ehrlichkeit denke ich nicht, dass ich mich noch einmal zur Wahl stelle", erklärte er während eines Parteikongresses. Jüngeren müsse "die Tür geöffnet werden".

Béji Caïd Essebsi wurde am 29. November 1926 in Sidi Bou Saïd bei Karthago in eine angesehene Familie hineingeboren. Zeit seines Lebens engagierte er sich politisch. In den 1940er-Jahren schon setzte sich der Jusstudent für die Unabhängigkeit Tunesiens von Frankreich ein. Während seiner frühen Anwaltsjahre vertrat Essebsi politische Angeklagte, später wurde er für den Kassationsgerichtshof zugelassen.

Seine aktive politische Karriere begann er mit der Unabhängigkeit im März 1956 im Beraterstab des ersten Premierministers Habib Bourguiba. Während Bourguibas drei Jahrzehnte dauernder Herrschaft, in der politisch Andersdenke teilweise brutal verfolgt wurden, bekleidete Essebsi auch die Posten des Chefs des Sicherheitsdienstes, des Innen-, Verteidigungs- und Außenministers.

Juristisches Problem

In einem Abschlussbericht der "Wahrheitskommission", die sich mit der Aufarbeitung der Menschenrechtsverstöße zwischen 1955 und 2013 in Tunesien befasste, wurden schwere Vorwürfe auch gegen Essebsi erhoben. In der Zeit von Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali hatte sich Essebsi allerdings nach einem Zerwürfnis mit Bourguibas Nachfolger aus der Politik zurückgezogen und war wieder als Anwalt tätig.

Gestern, Donnerstag, wurde Parlamentspräsident Mohamed Ennaceur vorläufig als Interimspräsident vereidigt. Laut Verfassung müsste Tunesien eigentlich für den Rest der Amtsperiode einen neuen Präsidenten wählen lassen. Was ein juristisches Problem darstellt: Denn eigentlich müsste das Verfassungsgericht offiziell den Bedarf einer Wahl vor den nächsten regulären Wahlen bestätigen. Dieses wurde aber nach wie vor nicht gegründet. Am 6. Oktober finden jedenfalls in Tunesien planmäßig Parlamentswahlen statt, die regulären Präsidentenwahlen sind für November angesetzt. (Manuela Honsig-Erlenburg, 25.7.2019)