"Wir als Sozialpartner können nicht damit zufrieden sein, dass der Nationalrat gerade einmal das Nötigste getan hat", sagt Seniorenratspräsidentin Ingrid Korosec.

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Die Beschlussfreudigkeit der Parlamentsabgeordneten nach dem Bruch der türkis-blauen Koalitionsregierung brachte auch einen konkreten Nutzen für Österreichs Pensionisten. Vor der Sommerpause beschloss der Nationalrat einige Verbesserungen. Für Mindestpensionisten mit vielen Versicherungsjahren gibt es eine leichte Erhöhung ihrer Ansprüche: Wer 40 Beschäftigungsjahre vorweisen kann, bekommt künftig eine Mindestpension von monatlich 1.315 Euro brutto, mit 30 Erwerbsjahren sind es mindestens 1.080 Euro. Kindererziehung wird mit maximal fünf Jahren für die Pension angerechnet. Für Ingrid Korosec, Vorsitzende des Seniorenrats, ist das dennoch nicht genug. Sie fordert für alle Pensionisten die Abgleichung mit der Inflationsrate.

STANDARD: Vor der Sommerpause hat der Nationalrat einige Verbesserungen für Pensionisten beschlossen. Warum reicht das nicht?

Korosec: Ich spreche jetzt auch für den Seniorenrat, die Interessenvertreter aller Senioren. Wir als Sozialpartner können nicht damit zufrieden sein, dass der Nationalrat gerade einmal das Nötigste getan hat. Auch wir, alle Pensionisten, müssen am Wirtschaftswachstum beteiligt werden. Wir sprechen hier von immerhin 2,3 Millionen Menschen in Österreich.

STANDARD: Wie hoch soll diese Beteiligung ausfallen?

Korosec: Derzeit gehen die Wirtschaftsforscher von 1,9 Prozent Inflationsrate aus. Davon ausgehend muss noch etwas draufgelegt werden, vor allem für die kleinen und mittleren Einkommen.

STANDARD: Es gibt immer mehr Bezieher sehr geringer Pensionen in Österreich, die Altersarmut steigt. Wie wollen Sie dieses Problem angehen?

Korosec: Ich trete seit langem für ein Pensionssplitting für Ehepartner ein. Nicht auf freiwilliger Basis, wie wir es jetzt haben: Da haben sich in zehn Jahren gerade einmal 800 Menschen gefunden, die das machen wollten. Wir brauchen eine Opting-out-Variante, das heißt: Pensionssplitting zwischen Ehepartnern ist die Norm – wer das gar nicht will, muss sich bei der Pensionsversicherung melden.

STANDARD: Vor allem Frauen bekommen sehr wenig Pension – weil sie oft viele Jahre in Teilzeitjobs gearbeitet haben. Soll die Teilzeitarbeit aus Ihrer Sicht künftig erschwert werden?

Korosec: Nein, das ist nicht mein Zugang. Der Mensch braucht schon die freie Wahl, wie er sein Leben gestalten möchte. Allerdings: Wir müssen die Frauen informieren, worauf sie sich einlassen, wenn sie ihr Leben lang Teilzeit arbeiten. Die meisten wissen das ja gar nicht. Teilzeit ist ein gutes Modell, wenn man eine Familie gegründet und kleine Kinder hat. Für das gesamte Arbeitsleben war das nie gedacht.

"Von der neuen Regierung erwarte ich als Erstes, dass sie diese Diskriminierungen beseitigt."
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STANDARD: Es gibt aber auch bei jüngeren Generationen ein Umdenken, unabhängig vom Geschlecht. Viele jüngere Menschen wollen gar nicht mehr Vollzeit arbeiten, sie wünschen sich mehr Freizeit. Muss man da nicht grundsätzlich umdenken, eher in Richtung Grundeinkommen?

Korosec: Nein, so weit gehe ich nicht. Jeder soll die Freiheit haben, so zu leben und zu arbeiten, wie er oder sie möchte – allerdings aufgeklärt über die Folgen und Risiken. Man soll zum Beispiel auch die Freiheit haben, früher in Pension zu gehen.

STANDARD: Das ist aber ein weiteres Problem: Die Österreicher gehen zu früh in Pension – und oft nicht freiwillig, sondern von ihren Arbeitgebern gedrängt.

Korosec: Das liegt am sehr ausgeprägten Senioritätsprinzip in Österreich, das so seine Tücken hat. Im EU-Durchschnitt verdienen die 55- bis 59-Jährigen um 45 Prozent mehr als 25- bis 29-Jährige. In Österreich beträgt der Unterschied aber 58 Prozent. Für viele Unternehmen werden Ältere dadurch teurer.

STANDARD: Was wollen Sie dagegen tun?

Korosec: Ich plädiere seit Jahrzehnten für eine Veränderung der Lebenseinkommenskurve. Es darf nicht sein, dass die älteren Arbeitnehmer die teuersten sind.

STANDARD: Die Neos haben die ÖVP-FPÖ-Regierung kritisiert, weil diese wichtige Themen nicht aufgegriffen habe – etwa auch eine Pensionsreform. Sind Sie auch dieser Meinung?

Korosec: Diese Regierung hat sich dazu bekannt, das faktische dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter anzugleichen. So etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wir müssen darauf drängen, dass auch die nächste Regierung dieses Ziel zu ihrem macht. Menschen müssen länger berufstätig bleiben, auch weil das volkswirtschaftlich in jeder Hinsicht sinnvoll ist. Die Leute bleiben länger gesund, sie sind zufriedener – und die Finanzierbarkeit der Pensionen ist kein Thema mehr.

STANDARD: Die Pensionszeit wird,aufgrund der guten Gesundheitsversorgung und der steigenden Lebensqualität, immer mehr zum eigenen, längeren Lebensabschnitt. Muss die Gesellschaft grundsätzlich umdenken beim Umgang mit Älteren?

Korosec: Auf jeden Fall muss man weiter nachdenken, wie ältere Menschen an der Gesellschaft teilhaben können und sollen. Vor allem die bestehenden Diskriminierungen müssen beseitigt werden. Ältere Arbeitnehmer haben kaum Chancen auf Weiterbildung. Ab 70 bekommt man keinen Kredit mehr – egal welche Sicherheiten man vorlegt und wie rüstig man auch ist. Arbeitet man in der Pension, muss man trotzdem einen Pensionsbeitrag zahlen, das sind 18 bis 22 Prozent. Das ist eine große Ungerechtigkeit, gegen die sich der Seniorenrat einsetzt. Von der neuen Regierung erwarte ich als Erstes, dass sie diese Diskriminierungen beseitigt. (Petra Stuiber, 26.7.2019)