Man hasst oder liebt ihn: Michel Houellebecq gilt als Partyschreck der Literatur. Die Aufnahme aus dem Jahr 2017 zeigt den Autor in für seine Verhältnisse gutem Zustand.

Foto: Eduardo Munoz Alvarez

Es soll, hört man, nicht leicht gewesen sein, für den dem Nikotin stark zusprechenden Michel Houellebecq (63) in Salzburg ein Raucherzimmer zu bekommen. Auch sonst weiß man nie, wie und ob das Enfant terrible auftauchen wird. Ein paar Stichworte zu Werk und Person.

Auszeichnungen Houellebecq ist viele Male für seine Bücher ausgezeichnet worden – unter anderem mit dem Prix Goncourt. In Frankreich, wo es üblich ist, dass Literaturpreise neben Geld mit einer gewissen Menge Wein dotiert sind, bekam der Autor 1992 für seinen Lyrikband Suche nach Glück den Tristan-Tzara-Preis (5.000 Francs und 50 Flaschen Sancerre). 1996 gewann er ebenfalls mit Gedichten – Der Sinn des Kampfes – den Prix de Flore (40.000 Francs und 365 Gläser Pouilly Fumé). Houellebecq rechnete die Alkoholmenge zusammen und folgerte: Der Prix de Flore ist besser! Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur ist mit 25.000 Euro dotiert. Wein wird nach der Veranstaltung gereicht.

Gentechnologie Sie spielt wie Sex und das Klonen im Werk des Ausgezeichneten, besonders in den Romanen Elementarteilchen (1998) und Die Möglichkeit einer Insel (2005), eine zentrale Rolle. Der geklonte, geschlechtslose Mensch jenseits von Egoismus und sexuellem Elend ist für den Autor allerdings nicht – wie oft unterstellt – eine Utopie, sondern ein Höllenszenario. Das Leid, so der Autor, lässt sich nicht lindern, indem man alle Begierden stillt. Ganz im Gegenteil. Trotzdem schreibt Houellebecq recht gern über Sex. In Frankreich soll es unter Lesern ein Gesellschaftsspiel gegeben haben, bei dem man ein Houellebecq-Buch an einer beliebigen Stelle aufschlägt, mit dem Ziel, eine Sexstelle zu treffen. Funktioniert fast immer.

Liebe "Und die Liebe, die alles so leicht macht, / Dir alles schenkt, und zwar sogleich, / Es gibt in der Mitte der Zeit / Die Möglichkeit einer Insel", schreibt Houellebecq 2013 im Gedichtband Gestalt des letzten Ufers. Auch oder gerade weil die Unmöglichkeit der Liebe und des Angenommenwerdens in seinen Büchern so zentral ist, kann für diesen Autor "ohne Liebe nichts geheiligt werden", wie er im Roman Plattform (2001) schreibt. Valérie, eine der großen Heldinnen, die es in seinem Werk trotz eines gewöhnungsbedürftigen Frauenbildes eben doch auch gibt, verblutet am Ende von Plattform. In den Armen einer Figur namens Michel.

Mutter Den wahlweise 1956 oder 1958 auf La Réunion geborenen Preisträger verbindet mit seiner Mutter seltsamerweise ein komplexes Verhältnis. Unter anderem macht Houellebecq die Ärztin, sein Vater war Bergführer, dafür verantwortlich, dass über sein Geburtsjahr Unklarheit herrscht. Sie habe es nach vorn datiert, damit er, statt "mit sechs, schon mit vier Jahren zur Schule gehen konnte". Der als Michel Thomas geborene Autor wuchs bei den Großmüttern in Algerien und in Clamart nahe Paris auf. Dort nahm er den Mädchennamen seiner Großmutter väterlicherseits an: Houellebecq.

Provokation Houellebecq, der auf angepasstes Verhalten keinen besonderen Wert legt, hat von Anfang an polarisiert und provoziert. Seine zuweilen seltsamen politischen Sager (Trump als bester Präsident je, Islam als die dümmste aller Religionen) haben ihm schlechte Presse und eine Menge Skandale eingebracht. Er betreibt auch gern die Vermischung von Werk und Autorenperson, indem er die Sphären Literatur und öffentliche Rede vermischt. Das macht es unmöglich, seine öffentlichen Äußerungen von der Lektüre seiner Bücher zu trennen. Letzteres gehört zur Strategie und führt dazu, dass man den Autor entweder mag oder total ablehnt.

Zerfall Die Auflösung der Paarbeziehung, sämtlicher Verbindlichkeiten sowie des Humanismus und der Solidarität unter dem Primat einer entfesselten Ökonomie, deren Verwertbarkeitsdenken bis in die Beziehungen diffundiert, hat Houellebecq von Anfang an interessiert. Er nennt diesen Vorgang Ausweitung der Kampfzone (1994). Das Konkurrenzdenken und der Markt zermalmen das Individuum. Rosig sieht Houellebecq die Zukunft nicht: "Wenn es eine Idee gibt, die all meine Romane durchzieht, dann ist es die Idee von der absoluten Unumkehrbarkeit von Verfallsprozessen, wenn sie einmal begonnen haben." Dass er sich das wünschen würde, hat er nie behauptet. (Stefan Gmünder, 26.7.2019)