Historikerin und Kandidatin der grünen Wiener Landesliste für die Nationalratswahl, Eva Blimlinger, gibt rechtliche Aufklärung in der Causa "Schredder-Gate". Die Rechtslage ist dabei relativ klar.

In 40, 50 Jahren, dann, wenn interessierte junge Historiker und Historikerinnen ins Österreichische Staatsarchiv gehen und über die Regierung Kurz/Strache forschen und zum Beispiel eine Dissertation schreiben wollen, werden sie verzweifeln. Ja, sagt ihnen der bemühte Mitarbeiter, da gibt es ein paar Kartons mit Schriftstücken, also auf Papier, und eine paar elektronische Akten in der Cloud, aber sonst haben wir da leider gar nichts.

Misstrauisch glaubt die Historikerin, der Archivar enthalte ihr wichtiges Material vor, und sie beginnt in Zeitungsarchiven und bei Zeitzeugen zu recherchieren. "Na, da werden S' wirklich nix mehr finden", erzählt der alte, im Ruhestand befindliche ehemalige Spitzenbeamte. "Damals 2019, da hat es so etwas gegeben, das hat Festplatte geheißen, da hat man alles drauf gespeichert, alle Daten, und fünf von diesen Dingern hat dann ein junger Mitarbeiter des Bundeskanzlers, ich glaube, er hat Maisinger geheißen, oder war das der Deckname, ich glaube zur Firma Reißwolf, ja, so hat die geheißen, gebracht und hat die dort vernichten lassen – und dann hat er nicht einmal gezahlt, der Hiafla, und deswegen is er und die Gschicht aufgflogen."

Verwirrte Historiker

Die Historikerin ist verwirrt. Hätten Akten und all das nicht wie früher auch abgegeben werden müssen, das muss doch erhalten werden, oder waren es gar keine Akten, aber was war es dann? Doch, doch, auch damals 2019 war das alles eigentlich genau geregelt. Nach langen Diskussionen und auch aufgrund der Forderung der Historikerkommission der Republik Österreich, die das Mandat hatte, den Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen der Republik Österreich ab 1945 zu erforschen und darüber zu berichten, wurde 1999 endlich ein Bundesarchivgesetz genau ein Bundesgesetz über die Sicherung, Aufbewahrung und Nutzung von Archivgut des Bundes beschlossen. Bis dahin waren der Erhalt, die Aufbewahrung und vor allem auch die Nutzung von Schriftgut des Bundes, wie es so schön heißt, nicht gesetzlich geregelt. Und weil wir ja in einem föderalistischen Land leben, gab es auch nach und nach Landesarchivgesetze.

Bundesarchivgesetz

Dort im Bundesarchivgesetz ist ganz klar geregelt, wie vorzugehen ist. Dort lesen wir unter Paragraf 5 (1): "Die Bundesdienststellen, die gemäß Paragraf 3 Abs. 2 kein eigenes Archiv führen (das BKA führt kein eigenes Archiv, Anm. der Verf.), haben (...) das gesamte Schriftgut, das bei der Erfüllung ihrer Aufgaben oder der ihrer Rechtsvorgänger angefallen ist und zur Erfüllung ihrer laufenden Aufgaben nicht mehr benötigt wird, auszusondern und dem Österreichischen Staatsarchiv grundsätzlich zusammen mit den für die Benützung notwendigen Behelfen (z. B. Register) zur Übernahme anzubieten."

Sebastian Kurz bestaunte zuletzt im Silicon Valley die Wunder der Technik. Währenddessen lief im alten Europa das eine oder andere für die ÖVP aus dem Ruder.
Foto: APA/NEUE VOLKSPARTEI/JAKOB GLASER

Und was ist nun dieses Schriftgut? Schriftgut gemäß Paragraf 25 Abs. 2 des Denkmalschutzgesetzes, ausgenommen persönliche Unterlagen wie beispielsweise Aufzeichnungen und Notizen. Und dort im Denkmalschutzgesetz wird unter anderem erklärt: "Schriftgut sind schriftlich geführte oder auf elektronischen Informationsträgern gespeicherte Aufzeichnungen aller Art wie Schreiben und Urkunden samt den damit in Zusammenhang stehenden Karten, Plänen, Zeichnungen, Siegel, Stempel mit deren Anlagen einschließlich der Programme, Karteien, Ordnungen und Verfahren, um das Schriftgut auswerten zu können."

Nicht legitim und richtig

Ja, ja, es waren ja auf den Druckerspeicherfestplatten angeblich nur "nichtveraktete Daten, die gelöscht und vernichtet" worden sind, also alles "privat", musste "effizient vernichtet werden", wie der Generalsekretär der ÖVP Karl Nehammer im "ZiB 2"-Interview mit Armin Wolf hektisch bemüht ist zu erklären. Und dann sagt er noch, das sei "legitim und richtig". Nein, Herr Generalsekretär, es ist nicht legitim und richtig, es ist rechtswidrig, und das wissen Sie genau, denn niemand kann in dieser kurzen Zeit beurteilen – und das hätte im Kanzleramt geschehen müssen -, ob hier tatsächlich nur persönliche Unterlagen wie beispielsweise Aufzeichnungen und Notizen gespeichert waren. Und wenn es tatsächlich, wie Sie behaupten, nur das Schreddern von Druckerspeicherfestplatten war, bitte, wo sind dann die Originaldaten? Wurden die ebenfalls vernichtet? Haben die der ehemalige Bundeskanzler und seine Kabinetts- und Parteimitarbeiter jetzt auf ihren Laptops, die sie vielleicht zu Hause stehen haben?

Zilks Stapo-Akt

Aber darin hat ja die ÖVP Übung: Schon Franz Soronics, der von 1968 bis 1970 ÖVP-Innenministers war, hat den Stapo-Akt von Helmut Zilk 1970 bei seinem Ausscheiden mitgenommen und später angeblich in die Politische Akademie der ÖVP gebracht, wie er 2009 kurz vor seinem Tod erklärte – nach dem Motto: Wer weiß, wofür es gut ist. Auch der Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser hat einige Unterlagen zu den Eurofighter-Anschaffungen mitgenommen, "weil damals schon klar war, dass es ein umstrittenes Thema war".

Die Historikerin ändert ihr Thema: Aktenvernichtung und Aktenunterschlagung in der Zweiten Republik. Die Praxis der Bundesregierungen und die Folgen für die Politik und die Geschichtswissenschaft. (Eva Blimlinger, 25.7.2019)