Lob ist schlecht", heißt es bei Rainald Goetz, einst Bürgerschreck, heute Büchner-Preis-Träger: "Zustimmung schwächt, Kritik stachelt an, energiefiziert die Welt." Ich bin also auf der Hut. Lob und Ruhm ist Michel Houellebecq, Träger des Prix Goncourt, Ritter der Ehrenlegion, reichlich zuteilgeworden.

Er hat sich auch über einen Mangel an anstachelnder Kritik bisher nicht beklagen können. Ich spreche hier über Michel Houellebecq, und ich spreche über die sieben Todsünden, die in der Sprache der "aufgeklärten" Kirche seit dem Zweiten Vatikanum gern "Hauptsünden" genannt werden oder, noch genauer, "Hauptlaster", aus denen die Sünden erst erwachsen. (...)

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Könnte es nicht sein, dass Michel Houellebecq in seinem Werk einen literarischen Sündenkatalog herunterbetet? Ziemlich sicher! Im Bild: Hieronymus Boschs "Jüngstes Gericht".
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Vielleicht ist Houellebecqs Werk, bei aller ausdrücklichen Distanzierung von der Religion, zu der es unermüdlich zurückkehrt, eine Art Versuchslabor für die sieben Todsünden und ihre Wandlungsfähigkeit in der zeitgenössischen Gesellschaft. Jede dieser Sünden hat, so scheint es, auch einen tugendhaften Kern oder eine schöne Kehrseite. Hieronymus Bosch, über dessen Darstellung der Höllenstrafen der Literaturprofessor François im Roman Unterwerfung nachdenkt, hat Die sieben Todsünden in seinem Bild kreisförmig angeordnet: Zorn, Neid, Habgier, Völlerei, Trägheit, Wollust und Hoffart.

Im Zentrum befindet sich das Auge Gottes und darin die Figur Christi. Aber was geschieht mit den Todsünden, wenn die Mitte leer und die Erlösung ausbleibt? Gibt es die Sünde noch in den Koordinaten eines atheistischen Humanismus? "Ich wäre gern ein Sünder gewesen, aber es gelang mir einfach nicht", resümiert Bruno seine Routinen der Ausschweifung. Und in Unterwerfung heißt es: "Allein das Wort 'Humanismus' verursachte bei mir ein leichtes Gefühl von Übelkeit, aber vielleicht waren es auch die warmen Teigtaschen, mit denen ich es übertrieben hatte."

Von Friedrich Nietzsche, zu dem unser Preisträger ein nicht unkompliziertes Verhältnis unterhält, stammt der Satz: "Große Dinge verlangen, dass man von ihnen schweigt oder groß redet: groß, das heißt zynisch und mit Unschuld." In diesem Sinne erzählt Houellebecq in seinem literarischen Sündenkatalog, was Nietzsche angekündigt hat, nämlich "die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus."

1. Hochmut – Superbia

Das Laster des Hochmuts, der Hoffart reicht von der Eitelkeit als Charakterschwäche bis zur Hybris als Beleidigung des Allerhöchsten. "Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt", hat Thomas Bernhard anlässlich einer Preisverleihung gesagt. Für die unzähligen Eitelkeiten der anderen haben Houellebecqs Protagonisten und Erzähler, die sich auf Partys und Vernissagen langweilen, einen scharfen Blick, für die feinen Unterschiede, auf die sich manch einer etwas einbildet, für die Mühen der Verkleidung, hinter der der nackte Mensch doch immer wieder nur nackt ist – zum Beispiel im Roman Karte und Gebiet, in dem der Künstler Jed Martin auf einer Vernissage den PR-Direktor von Michelin France beobachtet: "ein Absolvent der ,École Polytechnique' in Reinkultur", der seine gesamte Garderobe durchprobiert hatte", um sich einen "Künstlerlook" zuzulegen, "um schließlich mit einem seiner üblichen grauen Anzüge vorliebzunehmen – allerdings ohne Krawatte".

Houellebecq, der in dieser amüsanten Milieustudie des Kunstbetriebs als er selbst auftritt, tut das in seinem irischen Domizil als wandelnde Verneinung der Eitelkeit: "in Pantoffeln, einer Cordhose und einer bequemen Strickjacke aus ungebleichter Wolle".

Superbia als Ruhmsucht und Geltungsdrang prägt die Motivation der Akteure in Unterwerfung, die auch unter neuen Bedingungen mitspielen wollen, und gegen die schmeichelhaften Avancen des Rektors der islamisch gleichgeschalteten Sorbonne ist auch François, Spezialist für Joris-Karl Huysmans und die französische Dekadenz, nicht gefeit: "Ich glaube, ich hatte mich noch nie so begehrt gefühlt." Der Rektor ist es auch, der den Atheismus, den "atheistischen Humanismus" anmaßend nennt. Gott den Rücken zu kehren sei "ein ungeheurer Hochmut".

2. Habgier – Avaritia

"Wir haben ein System geschaffen, in dem es ganz einfach unmöglich geworden ist zu leben; und dieses System exportieren wir noch dazu", heißt es im Roman Plattform. Habgier, Geiz, die Anbetung des Götzen Mammon – Houellebecqs Bücher lassen keinen Zweifel daran, dass dies der Motor des kapitalistischen Wirtschaftsgeschehens ist, eines sich selbst erhaltenden Systems des "ständigen Kriegszustands". – Michel, der kulturfeindliche Kulturbeamte, lernt dies in Plattform von seiner Geliebten Valerie, die als Tourismusmanagerin das Prinzip des Wachstums um jeden Preis längst verinnerlicht hat. (...)

In Houellebecqs bürgerlicher Welt hat alles seinen exakten Preis, die Immobilie, das Auto, die Frau. Seine Antihelden sind nicht geizig und im Grunde frei von Habgier, im Allgemeinen haben sie aber auch keine Geldsorgen. Häufig erben sie beträchtliche Summen von fernen, fremden, superreichen Vätern. Flaurent-Claude, der schwer depressive Protagonist von Serotonin versucht, die Sache umzudrehen: sein Vermögen nicht zu mehren, sondern es zügig zu konsumieren.

Er verschwindet Schritt für Schritt aus seinem Leben, aus seiner Beziehung mit einer ungeliebten Frau, aus seinem Job, aus seiner Wohnung, bis am Ende der Selbstmord immer konkreter lockt. Dennoch ist es ihm ein unerträglicher Gedanke zu sterben, solange er noch Geld auf dem Konto hat. Sein Verschwinden ist eine Form der Strafe für die Untreue seiner zwanzig Jahre jüngeren japanischen Lebensgefährtin, die personifizierte Habgier, der er unterstellt, seinen Tod als Teil ihrer Lebensplanung einkalkuliert zu haben.

Mit einer ironischen Spitze gegen sich selbst hat der Autor in Karte und Gebiet die Diskrepanz zwischen Kunstideal und Preis sowie seinen eigenen Marktwert verhandelt. Der Starmaler Jed Martin will ein Porträt von Michel Houellebecq, dem "Autor der Elementarteilchen", malen und diesen bitten, ein Vorwort für den Katalog seiner Ausstellung zu verfassen.

Er fragt dessen Freund Frédéric Beigbeder, den "Autor von Neundreißigneunzig", was den Schriftsteller dazu bringen könnte: "Das wird Sie vielleicht überraschen (...): das Geld. An sich ist ihm Geld scheißegal, er ist sehr genügsam; aber seine Scheidung hat ihn völlig blank gemacht." Also bietet der Maler ein Honorar von 10.000 Euro für das Vorwort und verspricht, ihm außerdem das Porträt zu schenken. Das hat bald einen Wert von 900.000 Euro, ein paar Jahre später sind es sechs Millionen. Davon hat der Porträtierte aber nichts mehr, denn er ist tot, ermordet. (...)

3. Neid – Invidia

Neid, Eifersucht, Missgunst erscheinen in Houellebecqs Romanen fast immer sexuell motiviert. Grundsätzlich beneiden die Protagonisten die Jungen, die ihnen als Konkurrenten um die Gunst junger Frauen überlegen erscheinen; bei Bruno in Elementarteilchen gipfelt dieser Neid im Hass auf den eigenen Sohn. Bruno beneidet die Aussteiger um ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Coolness. Im Debüt Ausweitung der Kampfzone wird der alltägliche Rassismus unverblümt als Sexualneid, als männlicher Penisneid enttarnt, als der Erzähler seinen sexuell zu kurz gekommenen Arbeitskollegen zum Mord an einem Schwarzen aufhusst, der diesem seine Tanzpartnerin ausgespannt hat.

In Elementarteilchen fängt der von der Natur benachteiligte Bruno an, wie es heißt, "die Neger zu hassen", weil er sie für überreich ausgestattet hält. Er macht sich als Möchtegernschriftsteller daran, "ein rassistisches Pamphlet zu verfassen", wobei er "fast ununterbrochen eine Erektion hatte".

"Groß, das heißt zynisch und mit Unschuld": Michel Houellebecq, aufgenommen im Jahr 2017.
Foto: APA / AFP / Eduardo Munoz Alvarez

4. Zorn – Ira

"Der Hass ist ein fruchtbares, der Neid ein steriles Laster", meinte Marie von Ebner-Eschenbach. Houellebecq zeigt mit beinahe beiläufiger Geste die Fruchtlosigkeit auch des Hasses und dass er nicht selten aus dem Neid resultiert. Die Ausweitung der Kampfzone führt zu Autoaggression, nicht zu Aggression, der Mord am Strand, der wie ein Echo auf Camus' Der Fremde anmutet, findet nicht statt.

Zorn, Vergeltung, Rachsucht: Rache als sinnstiftendes Element entdeckt Michel in Plattform, nachdem die Liebe seines Lebens bei einem Islamisten-Angriff auf eine thailändische Ferienkolonie getötet wurde. "In den folgenden Tagen bemühte ich mich, die Muslime zu hassen. Es gelang mir ganz gut (...)." Zumindest bis ihm ein alter Moslem das baldige Ende des Islam voraussagt. In Serotonin überlegt der Held ernsthaft, seine japanische Freundin durch einen Fenstersturz loszuwerden und sich der Polizei zu stellen. Er zweifelt jedoch an der Reichhaltigkeit des Hummus-Angebots im Gefängnis: "Letztlich war es der Hummus, der den Ausschlag gab. Abgesehen von den moralischen Fragen im Zusammenhang mit einem Mord natürlich."

(...) Im selben Buch stellt der Autor den Zorn der französischen Bauern über die Landwirtschaftspolitik der EU als einen grundsätzlich gerechten dar, die drastischen Mittel führen jedoch zur Eskalation, sein Freund stirbt bei einer Autobahnblockade. Man hat dies in Frankreich als eine Vorahnung der Gelbwesten-Bewegung gelesen, so wie das in Plattform beschriebene Massaker in Thailand von einem ähnlichen auf Bali eingeholt wurde. Houellebecqs Fähigkeit der präzisen Prophetie war im Falle von Unterwerfung einmal mehr nicht willkommen.(...) Am Erscheinungstag des Buches geschah das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo.

Dabei malt der Roman kein Szenario der Repression und Gewalt, sondern zeigt mit den Mitteln der Satire die schleichende Veränderung unter dem Deckmantel der demokratischen Verfassung. Gerade deshalb war die Irritation so groß: François, Prototyp des Franzosen, der Politik als Fernsehereignis konsumiert und den Übertritt zum Islam überlegt, um seine Karriere an der von den Saudis erworbenen Sorbonne fortsetzen zu können, ist ein Bürger der Gegenwart, nicht der Zukunft.

Houellebecqs wie immer realistische Fantasie kündigt den herrschenden Diskurs des Appeasement auf und stellt der Gesellschaft einen Spiegel zur Verfügung, um den sie nicht gebeten hat. (...) "Ich hätte dem Front National beitreten können", resümiert Bruno in Elementarteilchen, "aber was hatte es für einen Sinn, mit Halbidioten Sauerkraut zu essen"?

So nüchtern und scheinbar unbeteiligt Houellebecqs Protagonisten auf politische Verwerfungen reagieren, hie und da meint man, in der Erzählstimme doch ein Zornbeben zu vernehmen. So behauptet Bruno fälschlich, die Wiener Aktionisten hätten ihre Aktionen an lebenden Tieren veranstaltet.

5. Wollust – Luxuria

Sie gilt für die Houellebecq-Exegese wohl als die Top-Todsünde: Wollust, Unkeuschheit, Genusssucht. Von Anfang an ist die Haltung der Figuren zur körperlichen Liebe um ihrer selbst willen gespalten. Einerseits gilt sie zumindest als "schwache Entschädigung" für unser Unglück als "törichte, grausame, sterbliche Wesen" (Plattform), manchmal sogar als Quelle reinen Glücks und mystischer Entgrenzung.

Andererseits wird die sexuelle Befreiung im Schlepptau des Wirtschaftsliberalismus verantwortlich gemacht für eine ungleiche Verteilung der Güter, Sex wird nach dem Modell des Sexualdarwinismus zu einem Mittel der Hierarchisierung unabhängig vom Geld: Manche haben alles, andere sind mit sich allein. So führt das Laissez-faire der Hippiezeit für die schwer Vermittelbaren und jedenfalls für das Personal Houellebecqs geradewegs in die erotische Armutsfalle.

Die Ausweitung der Kampfzone überträgt die Dschungelgesetze der Wirtschaftswelt auf das Intimleben "aller Altersstufen und Gesellschaftsklassen". Vom "Supermarkt der Körper" spricht Houellebecq in einem Gedicht, supermarché des corps. Deshalb beklagt so manches Alter Ego des Autors die Zerstörung von Ehe und Familie als Bastionen gegen den Markt und mokiert sich über New-Age-Angebote wie "Zen-Meditation und argentinischer Tango" oder "Tantra und Rechnungswesen".

Hat es die sinnliche Begierde an sich einmal als Ursprung des Leidens und des Hasses erkannt, reagiert es ähnlich allergisch auf die übersexualisierte Öffentlichkeit wie ein Hardcore-Katholik: Die Begierde werde allenthalben angefacht, deren Befriedigung sei jedoch Privatsache. Die Selbstkastration ist eine ernste Versuchung.

Während Bruno bemüht ist, seinem Notstand marktgerecht zu begegnen (mithilfe der käuflichen Liebe), bastelt sein autistischer Bruder Michel als Molekularbiologe an der Entkoppelung von Fortpflanzung und Sexualität – was den Kern des Problems nicht wirklich berührt. Ohne Zweifel erleben Houellebecqs Helden sich nur als lebendig, wenn sie ein geschlechtliches Leben führen; das Antidepressivum, das die Libido abtötet, tötet quasi auch den Mann. Dass der Stellenwert der Wollust vom Standpunkt des Geschlechts abhängt, hat Houellebecq früh geahnt. In Ausweitung der Kampfzone bestreitet er es noch mit beinahe pubertärem Trotz: "Vielleicht sind Sie, geneigter Freund und Leser, ja selbst eine Frau. Das kann schon vorkommen; machen Sie sich nichts daraus. Außerdem ändert es wenig an dem, was ich Ihnen zu sagen habe."

In Elementarteilchen spricht Michel den Männern glattweg die Fähigkeit zur Liebe ab: "Sie kennen nur Begierde, sexuelle Begierde der niedersten Art." Und die schöne Annabelle hat genug davon, von den Männern "als austausch- bares Stück Vieh behandelt zu werden", genug vom "bescheuerten Gesichtsausdruck, wenn sie einen Orgasmus hatten", und vor allem von der "Rüpelhaftigkeit" danach. Die Theorie männlicher und weiblicher Liebe, die Florent-Claude in Serotonin entwickelt, beschreibt die Liebe der Frau als Anfang und die des Mannes als "Ziel", als "Errungenschaft", die der Frau gilt, die ihm "so viel Lust bereitet". Damit geht Houellebecq nicht wesentlich über das hinaus, was Eduard von Keyserling, Décadent und Erotiker, vor mehr als hundert Jahren Über die Liebe herausgefunden hat. (...)

6. Völlerei – Gula

Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht – alles, was durch die Gula, die Kehle, den Schlund, den Gaumen geht, kommt als Objekt der Völlerei infrage, Speisen, Getränke, Rauchwaren. Die Menschen in Houellebecqs Büchern überessen sich nicht selten, an dem, was ihnen schmeckt, vor allem trinken sie mehr, als ihnen guttut: Chablis, Whiskey, Wodka, Armagnac, sogar Anislikör. Und natürlich, sie rauchen: "Zigarettenrauchen ist das einzige Stück echter Freiheit in meinem Leben. Das Einzige, was ich aus voller Überzeugung und ganzer Seele tue. Mein einziger Lebensinhalt", behauptet der Erzähler im Erstling. Im letzten Buch gehört die Suche nach einem raucherfreundlichen Hotel zu den verzweifelten Bemühungen des Kranken um ein Überleben in Würde.

Den Ruf eines Alkoholikers verdanke er im Übrigen den Journalisten, in deren Gesellschaft er trinken müsse, um sie überhaupt zu ertragen, sagt Houellebecq.

Nicht dass Houellebecq so etwas wie der Gérard Depardieu der Literatur wäre, aber Essen und Trinken spielt eine überraschend große Rolle, nicht bloß als Exzess, sondern auch als hedonistischer Zeitvertreib, wobei dessen Ersatzfunktion auf der Hand liegt: Die neue patriotische Begeisterung für die alte französische Landküche füllt ein libidinöses Vakuum aus oder tröstet über eine Trieb-Frustration. Gegen die Vergänglichkeit hilft solcher Trost wenig: "Die Rollmöpse konnten keinesfalls eine Lösung darstellen, aber auch ein Seebarsch mit Fenchel hätte da nichts genützt."

Ein Gericht kann in seiner symbolischen Aufladung aber auch erst auf den Mangel hinweisen: "eine Platte mit Meeresfrüchten allein, das ist eine Grenzerfahrung, selbst Françoise Sagan hätte derlei nicht schildern können, das ist wirklich zu krass."

Die Romanfigur Michel Houellebecq erscheint trotz Depression als veritabler Feinschmecker von beträchtlichem Appetit. Als er sich bei einem gemeinsamen Essen in Irland über den lauwarmen Chablis alteriert, antwortet er auf die Frage des Malers Martin, ob er sich für Weine interessiere: "Das erleichtert es mir, Haltung zu bewahren, und es wirkt französisch. Außerdem muss man sich ja im Leben für irgendetwas interessieren, ich finde, das hilft." Den Ruf eines Alkoholikers verdanke er im übrigen den Journalisten, in deren Gesellschaft er trinken müsse, um sie überhaupt zu ertragen.

7. Trägheit – Acedia

Es wird viel "nichts getan" in Houellebecqs Büchern, viel Auszeit genommen, Zeit totgeschlagen. Dass das sündhaft ist, die Faulheit, die Trägheit des Herzens, des Geistes, dem Herrgott die Zeit zu stehlen, wie man sagt, lässt sich nachvollziehen – aber ist die Depression eine Sünde, wo die Krankheit doch jede freie Entscheidung unmöglich macht?

Zudem wissen Houellebecqs gemütskranke Protagonisten, dass die "fortgesetzte Langeweile" sich früher oder später in einen "positiven Schmerz" verwandelt.

Gemeint sein kann hier nur der zelebrierte Überdruss, die widerstandslose Hingabe an das Taedium Vitae, die Blindheit gegen die "kleinen Wunder" des Glücks, von denen Houellebecq in seinem Schopenhauer-Essay spricht. Darin zitiert er auch eine Stelle aus den Aphorismen zur Lebensweisheit, nach der der Mensch zwischen "die beiden Feinde des menschlichen Glücks, den Schmerz und die Langeweile", gespannt bleibt; entfernt er sich von dem einen, nähert er sich unweigerlich dem anderen.

Zudem wissen Houellebecqs gemütskranke Protagonisten, dass die "fortgesetzte Langeweile" sich früher oder später in einen "positiven Schmerz" verwandelt. Houllebecq schreibt nicht die Krankengeschichte des Individuums, an das er nicht glaubt, sondern der sozialen Klasse, die sich Langeweile leisten kann. Der Ich-Erzähler von Serotonin ist nicht anders als jener der Ausweitung in erster Linie Patient, leidende, duldende Kreatur, voll Angst, die heiklen Feiertage zwischen Weihnachten und Neujahr nicht zu überstehen, abhängig von einem verständnisvollen afrikanischen Arzt, der da Dr. Nepote heißt und dort Dr. Azote. Dessen Wundermedikament Captorix macht Florent-Claude das Leben erträglich und nimmt es ihm zugleich, es bemächtigt sich auch des Textes, den er schreibt, Houellebecqs spröder Prosa-Ton wirkt plauderselig gelöst, ohne eine gewisse Gehetztheit verbergen zu können.

Das Hellsichtige der Depression besteht nach Michel in Elementarteilchen darin, dass der Kranke sich nicht für Dinge interessiert, die tatsächlich uninteressant sind. Er könne sich eventuell verlieben, aber bestimmt keine "patriotischen Gefühle" entwickeln. Der Drang, an der Welt teilzuhaben, ist überhaupt gering bei erwachsenen Menschen, die von der "absoluten, wunderbaren Macht des Lesens" schwärmen: "Ein Leben lang nichts als Lesen, das hätte meine Wünsche erfüllt."

Bei aller Seelenverwandtschaft wäre es verfrüht, davon auf das Engagement des Autors zu schließen – sonst wären seine Romane nicht die, die sie sind. Einen Hinweis darauf gibt er selbst, wenn er die Bibliothek seines Doppelgängers in Serotonin beschreibt: kaum Romane, viel Sozialphilosophie des 19. Jahrhunderts.

"Und wenn ich die Liebe nicht verstanden habe, was nützt es mir, daß ich den Rest verstehe?", fragt der Erzähler in Plattform. (...) Houellebecq ist also nichts anderes als ein verschämter Romantiker, ein zusehends weniger verschämter. In einem seiner Gedichte heißt es: "Manche ließen, indem sie liebten, die Erde erbeben, / Andere gehen in die Liebe, wie man ins Meer geht." Wie etwa Marlen Haushofer in ihrem Roman Die Wand stellt Houellebecq sich eine "weibliche" als eine bessere Welt vor. Es habe Menschen gegeben, resümiert Michel in Elementarteilchen, die ihr Leben aus "Hingabe und Liebe den anderen buchstäblich geschenkt haben". – "In der Praxis waren diese Menschen im allgemeinen Frauen."

An Schopenhauer bewundert unser Preisträger nicht zuletzt, dass er "die Wahrheit systematisch über die Originalität" gestellt habe, "was für jemanden von seinem Niveau alles andere als einfach gewesen sein muss." Er selbst hat es nicht anders gehalten. Von Anbeginn ist Houellebecqs literarischer Lehre von den Todsünden die Fantasie der Erlösung eingeschrieben, gleichsam zwischen den Zeilen in Ausweitung der Kampfzone, als der (freilich geisteszerrüttete) Erzähler sich mit Christus vergleicht. (...)

In seinem Schopenhauer-Buch denkt Houellebecq über das Movens des Schreibens nach: "Kein Dichter, der die Bezeichnung verdient, hat jemals eine Ehrenwürde, die Avancen einer sexuell erregten Bewunderin oder einen aus hohen Auflagen resultierenden Geldbetrag zurückgewiesen, aber es war auch noch keiner so dumm zu glauben, es könnte eine Verbindung zwischen der Wirkkraft seiner Wünsche und der seines Werks geben." Der Künstler ist vielmehr einer, so fasse ich zusammen, den es drängt, sich möglichst absichtslos in die Betrachtung der Welt zu versenken. Und von den Dingen, die er als groß erkennt, groß zu reden: "groß, das heißt zynisch und mit Unschuld". Was für ein Glück für Houellebecq-Leser, dass ihr Autor durch Preise nicht zu verderben ist! (Daniela Strigl, ALBUM, 27.7.2019)